weit die ursprünglich ohne Zweifel wörtlich genommene Ver- pflichtung, dem Todten seinen gesammten beweglichen Besitz mitzugeben, in homerischer Zeit schon zu symbolischer Be- deutung (deren unterste Stufe die später übliche Mitgebung eines Obols "für den Todtenfährmann" war) herabgemindert war, wissen wir nicht. Endlich wird das Leichenmahl, welches nach beendigtem Begräbniss eines Fürsten (Il. 24, 802. 665) oder auch vor der Verbrennung der Leiche (Il. 23, 29 ff.) dem leidtragenden Volke von dem König ausgerichtet wird, seinen vollen Sinn wohl nur aus alten Vorstellungen, welche der Seele des also Geehrten einen Antheil an dem Mahle zuschrieben, genommen haben. An dem Mahl zu Patroklos' Ehren nimmt ersichtlich der Todte, dessen Leib mit dem Blut der geschlachteten Thiere umrieselt wird (Il. 23, 34), seinen Theil. Aehnlich den Leichenspielen scheint dieses Todten- mahl bestimmt zu sein, die Seele des Verstorbenen freundlich zu stimmen: daher selbst Orest, nachdem er den Aegisthos, seines Vaters Mörder, erschlagen hat, das Leichenmahl aus- richtet (Od. 3, 309), sicherlich doch nicht aus harmloser "Pie- tät". Die Sitte solcher Volksspeisungen bei fürstlichen Be- gräbnissen begegnet in späterer Zeit nicht mehr; sie ist den später üblichen Leichenmahlen der Familie des Verstorbenen (perideipna) weniger ähnlich als den, neben den silicernia in Rom vorkommenden grossen cenae ferales, zu denen Ver- wandte vornehmer Verstorbener das ganze Volk luden 1). Im Grunde ist die hierbei vorausgesetzte Betheiligung der Seele an dem Leichenmahle des Volkes nicht schwerer zu verstehen als die vorausgesetzte Theilnahme des Gottes an einem grossen Opfermahle, das, von den Menschen genossen, doch "das Mahl der Götter" (Od. 3, 336) heisst und sein soll.
war, werden die Verwandten oder Freunde die kterea gleich mit dem Leichnam verbrannt haben. So geschieht es bei Ection und bei Elpenor, und so wird man auch die enge Verbindung: en puri keaien kai epi kterea kterisaien (Il. 24, 38), ophr etaron thaptoi kai epi kterea kteriseien (Od. 3, 285) verstehen müssen.
1) Die Beispiele bei O. Jahn, Persius, p. 219 extr.
weit die ursprünglich ohne Zweifel wörtlich genommene Ver- pflichtung, dem Todten seinen gesammten beweglichen Besitz mitzugeben, in homerischer Zeit schon zu symbolischer Be- deutung (deren unterste Stufe die später übliche Mitgebung eines Obols „für den Todtenfährmann“ war) herabgemindert war, wissen wir nicht. Endlich wird das Leichenmahl, welches nach beendigtem Begräbniss eines Fürsten (Il. 24, 802. 665) oder auch vor der Verbrennung der Leiche (Il. 23, 29 ff.) dem leidtragenden Volke von dem König ausgerichtet wird, seinen vollen Sinn wohl nur aus alten Vorstellungen, welche der Seele des also Geehrten einen Antheil an dem Mahle zuschrieben, genommen haben. An dem Mahl zu Patroklos’ Ehren nimmt ersichtlich der Todte, dessen Leib mit dem Blut der geschlachteten Thiere umrieselt wird (Il. 23, 34), seinen Theil. Aehnlich den Leichenspielen scheint dieses Todten- mahl bestimmt zu sein, die Seele des Verstorbenen freundlich zu stimmen: daher selbst Orest, nachdem er den Aegisthos, seines Vaters Mörder, erschlagen hat, das Leichenmahl aus- richtet (Od. 3, 309), sicherlich doch nicht aus harmloser „Pie- tät“. Die Sitte solcher Volksspeisungen bei fürstlichen Be- gräbnissen begegnet in späterer Zeit nicht mehr; sie ist den später üblichen Leichenmahlen der Familie des Verstorbenen (περίδειπνα) weniger ähnlich als den, neben den silicernia in Rom vorkommenden grossen cenae ferales, zu denen Ver- wandte vornehmer Verstorbener das ganze Volk luden 1). Im Grunde ist die hierbei vorausgesetzte Betheiligung der Seele an dem Leichenmahle des Volkes nicht schwerer zu verstehen als die vorausgesetzte Theilnahme des Gottes an einem grossen Opfermahle, das, von den Menschen genossen, doch „das Mahl der Götter“ (Od. 3, 336) heisst und sein soll.
war, werden die Verwandten oder Freunde die κτέρεα gleich mit dem Leichnam verbrannt haben. So geschieht es bei Ection und bei Elpenor, und so wird man auch die enge Verbindung: ἐν πυρὶ κήαιεν καὶ ἐπὶ κτέρεα κτερίσαιεν (Il. 24, 38), ὄφρ̕ ἔταρον ϑάπτοι καὶ ἐπὶ κτέρεα κτερίσειεν (Od. 3, 285) verstehen müssen.
1) Die Beispiele bei O. Jahn, Persius, p. 219 extr.
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mitzugeben, in homerischer Zeit schon zu symbolischer Be-
deutung (deren unterste Stufe die später übliche Mitgebung
eines Obols „für den Todtenfährmann“ war) herabgemindert
war, wissen wir nicht. Endlich wird das Leichenmahl,
welches nach beendigtem Begräbniss eines Fürsten (Il. 24,
802. 665) oder auch vor der Verbrennung der Leiche (Il. 23,
29 ff.) dem leidtragenden Volke von dem König ausgerichtet
wird, seinen vollen Sinn wohl nur aus alten Vorstellungen,
welche der Seele des also Geehrten einen Antheil an dem
Mahle zuschrieben, genommen haben. An dem Mahl zu
Patroklos’ Ehren nimmt ersichtlich der Todte, dessen Leib mit
dem Blut der geschlachteten Thiere umrieselt wird (Il. 23, 34),
seinen Theil. Aehnlich den Leichenspielen scheint dieses Todten-
mahl bestimmt zu sein, die Seele des Verstorbenen freundlich
zu stimmen: daher selbst Orest, nachdem er den Aegisthos,
seines Vaters Mörder, erschlagen hat, das Leichenmahl aus-
richtet (Od. 3, 309), sicherlich doch nicht aus harmloser „Pie-
tät“. Die Sitte solcher Volksspeisungen bei fürstlichen Be-
gräbnissen begegnet in späterer Zeit nicht mehr; sie ist den
später üblichen Leichenmahlen der Familie des Verstorbenen
(περίδειπνα) weniger ähnlich als den, neben den silicernia in
Rom vorkommenden grossen cenae ferales, zu denen Ver-
wandte vornehmer Verstorbener das ganze Volk luden 1). Im
Grunde ist die hierbei vorausgesetzte Betheiligung der Seele
an dem Leichenmahle des Volkes nicht schwerer zu verstehen
als die vorausgesetzte Theilnahme des Gottes an einem grossen
Opfermahle, das, von den Menschen genossen, doch „das Mahl
der Götter“ (Od. 3, 336) heisst und sein soll.
3)
1) Die Beispiele bei O. Jahn, Persius, p. 219 extr.
3) war, werden die Verwandten oder Freunde die κτέρεα gleich mit dem
Leichnam verbrannt haben. So geschieht es bei Ection und bei Elpenor,
und so wird man auch die enge Verbindung: ἐν πυρὶ κήαιεν καὶ ἐπὶ
κτέρεα κτερίσαιεν (Il. 24, 38), ὄφρ̕ ἔταρον ϑάπτοι καὶ ἐπὶ κτέρεα κτερίσειεν
(Od. 3, 285) verstehen müssen.
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/40>, abgerufen am 22.11.2024.
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