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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Sibylle, das die Dichtung der Zeitgenossen jenes griechischen
Prophetenzeitalters in sagenhafte Vorwelt zurückgespiegelt
hatte 1).

5.

Die Thätigkeit des Sehers war nicht auf die Voraussicht
und Vorausverkündigung der Zukunft beschränkt. Von einem
Bakis wird erzählt, wie er in Sparta die Weiber von einer
epidemisch unter ihnen verbreiteten Raserei "gereinigt" und
befreit habe 2). Aus jenem Prophetenzeitalter schreibt es sich
her, wenn auch später es zu den Obliegenheiten des "Sehers"
gehörte, bei Krankheiten, vornehmlich des Geistes, zur Heilung
mitzuwirken 3), Schaden aller Art durch seltsame Mittel ab-
zuwenden, namentlich bei "Reinigungen" religiöser Art Rath

1) Homer kennt Kassandra als eine der Töchter des Priamos, und
zwar als Priamoio thugatron eidos aristen (Il. 13, 365); wohl als solche ist
sie dem Agamemnon selbst als Beute zugefallen und wird mit ihm ge-
tödtet (Od. 11, 421 ff.). Von ihrer Wahrsagekraft erzählten zuerst die
Kopria. War es die Erzählung Il. 24, 699 ff., die ihr solche Vorschau des
Kommenden zuzutrauen die neoteroi veranlasste? (in Wahrheit ist dort
nur von der ahnenden sumpatheia der Tochter und Schwester, nicht von
Mantik die Rede: Schol. B. O 699). Später ist ihre Wahrsagekunst in
vielen Erzählungen ausgeschmückt worden. Von Bakchylides z. B.: Porph.
zu Horat. carm. 1, 15 (Bacchyl. fr. 29). Aeschylos stellt sie vor Augen als
Typus einer ekstatischen Seherin (phrenomanes, theophoretos Agam. 1141.
1216). Als solche heisst sie bei Euripides mantipolos bakkhe (Hec. 119),
phoibas (ib. 810). to bakkheion kara tes thespiodou Kassandras (666). Sie
wirft ihr Haupt, wie die Bakchen, otan theou mantosunoi pneusos anagkai
Jph. Aul. 756 ff.
2) Von dem arkadischen Bakis (genannt Kydas oder Aletes) Theopom-
pos
en te th ton Philippikon alla te polla istorei paradoxa, kai oti pote
ton Lakedaimonion tas gunaikas maneisas ekatheren, Apollonos toutois
touton katharten dontos Schol. Arist. Pac. 1071. Die Geschichte ist der Sage
von Melampus und den Proetiden (oben p. 338 f.) sehr ähnlich.
3) Vgl. z. B. Hippocrat. p. parthenion II p. 528 K.: nach über-
standenen hysterischen Hallucinationen weihen die Weiber kostbare imatia
der Artemis keleuonton ton manteon. Dies der allgemeine Name für die
magoi, kathartai, agurtai (Tiresias dolios agurtes Soph. O. R. 388; Kas-
sandra wird phoitas agurtria gescholten, Aesch. Ag. 1273), von deren Treiben
bei der Heilung der Epilepsie Hippokrates anderswo redet (I p. 588).

Sibylle, das die Dichtung der Zeitgenossen jenes griechischen
Prophetenzeitalters in sagenhafte Vorwelt zurückgespiegelt
hatte 1).

5.

Die Thätigkeit des Sehers war nicht auf die Voraussicht
und Vorausverkündigung der Zukunft beschränkt. Von einem
Bakis wird erzählt, wie er in Sparta die Weiber von einer
epidemisch unter ihnen verbreiteten Raserei „gereinigt“ und
befreit habe 2). Aus jenem Prophetenzeitalter schreibt es sich
her, wenn auch später es zu den Obliegenheiten des „Sehers“
gehörte, bei Krankheiten, vornehmlich des Geistes, zur Heilung
mitzuwirken 3), Schaden aller Art durch seltsame Mittel ab-
zuwenden, namentlich bei „Reinigungen“ religiöser Art Rath

1) Homer kennt Kassandra als eine der Töchter des Priamos, und
zwar als Πριάμοιο ϑυγατρῶν εἶδος ἀρίστην (Il. 13, 365); wohl als solche ist
sie dem Agamemnon selbst als Beute zugefallen und wird mit ihm ge-
tödtet (Od. 11, 421 ff.). Von ihrer Wahrsagekraft erzählten zuerst die
Κόπρια. War es die Erzählung Il. 24, 699 ff., die ihr solche Vorschau des
Kommenden zuzutrauen die νεώτεροι veranlasste? (in Wahrheit ist dort
nur von der ahnenden συμπάϑεια der Tochter und Schwester, nicht von
Mantik die Rede: Schol. B. Ω 699). Später ist ihre Wahrsagekunst in
vielen Erzählungen ausgeschmückt worden. Von Bakchylides z. B.: Porph.
zu Horat. carm. 1, 15 (Bacchyl. fr. 29). Aeschylos stellt sie vor Augen als
Typus einer ekstatischen Seherin (φρενομανής, ϑεοφόρητος Agam. 1141.
1216). Als solche heisst sie bei Euripides μαντιπόλος βάκχη (Hec. 119),
φοιβάς (ib. 810). τὸ βακχεῖον κάρα τῆς ϑεσπιῳδοῦ Κασσάνδρας (666). Sie
wirft ihr Haupt, wie die Bakchen, ὅταν ϑεοῦ μαντόσυνοι πνεύσωσ̕ ἀνάγκαι
Jph. Aul. 756 ff.
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πος
ἐν τῇ ϑ̅ τῶν Φιλιππικῶν ἄλλα τε πολλὰ ἱστορεῖ παράδοξα, καὶ ὅτι ποτὲ
τῶν Λακεδαιμονίων τὰς γυναῖκας μανείσας ἐκάϑηρεν, Ἀπόλλωνος τούτοις
τοῦτον καϑαρτὴν δόντος Schol. Arist. Pac. 1071. Die Geschichte ist der Sage
von Melampus und den Proetiden (oben p. 338 f.) sehr ähnlich.
3) Vgl. z. B. Hippocrat. π. παρϑενίων II p. 528 K.: nach über-
standenen hysterischen Hallucinationen weihen die Weiber kostbare ἱμάτια
der Artemis κελευόντων τῶν μάντεων. Dies der allgemeine Name für die
μάγοι, καϑαρταί, ἀγύρται (Tiresias δόλιος ἀγύρτης Soph. O. R. 388; Kas-
sandra wird φοιτὰς ἀγύρτρια gescholten, Aesch. Ag. 1273), von deren Treiben
bei der Heilung der Epilepsie Hippokrates anderswo redet (I p. 588).
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[357/0373] Sibylle, das die Dichtung der Zeitgenossen jenes griechischen Prophetenzeitalters in sagenhafte Vorwelt zurückgespiegelt hatte 1). 5. Die Thätigkeit des Sehers war nicht auf die Voraussicht und Vorausverkündigung der Zukunft beschränkt. Von einem Bakis wird erzählt, wie er in Sparta die Weiber von einer epidemisch unter ihnen verbreiteten Raserei „gereinigt“ und befreit habe 2). Aus jenem Prophetenzeitalter schreibt es sich her, wenn auch später es zu den Obliegenheiten des „Sehers“ gehörte, bei Krankheiten, vornehmlich des Geistes, zur Heilung mitzuwirken 3), Schaden aller Art durch seltsame Mittel ab- zuwenden, namentlich bei „Reinigungen“ religiöser Art Rath 1) Homer kennt Kassandra als eine der Töchter des Priamos, und zwar als Πριάμοιο ϑυγατρῶν εἶδος ἀρίστην (Il. 13, 365); wohl als solche ist sie dem Agamemnon selbst als Beute zugefallen und wird mit ihm ge- tödtet (Od. 11, 421 ff.). Von ihrer Wahrsagekraft erzählten zuerst die Κόπρια. War es die Erzählung Il. 24, 699 ff., die ihr solche Vorschau des Kommenden zuzutrauen die νεώτεροι veranlasste? (in Wahrheit ist dort nur von der ahnenden συμπάϑεια der Tochter und Schwester, nicht von Mantik die Rede: Schol. B. Ω 699). Später ist ihre Wahrsagekunst in vielen Erzählungen ausgeschmückt worden. Von Bakchylides z. B.: Porph. zu Horat. carm. 1, 15 (Bacchyl. fr. 29). Aeschylos stellt sie vor Augen als Typus einer ekstatischen Seherin (φρενομανής, ϑεοφόρητος Agam. 1141. 1216). Als solche heisst sie bei Euripides μαντιπόλος βάκχη (Hec. 119), φοιβάς (ib. 810). τὸ βακχεῖον κάρα τῆς ϑεσπιῳδοῦ Κασσάνδρας (666). Sie wirft ihr Haupt, wie die Bakchen, ὅταν ϑεοῦ μαντόσυνοι πνεύσωσ̕ ἀνάγκαι Jph. Aul. 756 ff. 2) Von dem arkadischen Bakis (genannt Kydas oder Aletes) Θεόπομ- πος ἐν τῇ ϑ̅ τῶν Φιλιππικῶν ἄλλα τε πολλὰ ἱστορεῖ παράδοξα, καὶ ὅτι ποτὲ τῶν Λακεδαιμονίων τὰς γυναῖκας μανείσας ἐκάϑηρεν, Ἀπόλλωνος τούτοις τοῦτον καϑαρτὴν δόντος Schol. Arist. Pac. 1071. Die Geschichte ist der Sage von Melampus und den Proetiden (oben p. 338 f.) sehr ähnlich. 3) Vgl. z. B. Hippocrat. π. παρϑενίων II p. 528 K.: nach über- standenen hysterischen Hallucinationen weihen die Weiber kostbare ἱμάτια der Artemis κελευόντων τῶν μάντεων. Dies der allgemeine Name für die μάγοι, καϑαρταί, ἀγύρται (Tiresias δόλιος ἀγύρτης Soph. O. R. 388; Kas- sandra wird φοιτὰς ἀγύρτρια gescholten, Aesch. Ag. 1273), von deren Treiben bei der Heilung der Epilepsie Hippokrates anderswo redet (I p. 588).

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/373>, abgerufen am 25.11.2024.