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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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wandernde Wahrsager, insoweit den homerischen Zeichendeutern
gleich 1) und Fortsetzer ihrer Thätigkeit. Aber sie sind von
diesen völlig verschieden in der Art ihrer Weissagung. Wie
der Gott sie ergreift, im ekstatischen Hellsehen, verkünden sie
alles Verborgene. Nicht zunftgerechtes Wissen lehrt sie An-
zeichen, die Jeder sehn kann, nach ihrer Bedeutung auslegen;
sie sehen was nur der Gott sieht und die Seele des Menschen,
die der Gott ausfüllt 2). In rauhen Tönen, in wilden Worten 3)
stösst, in göttlichem Wahnsinn, die Sibylle hervor, was nicht
eigene Willkür, sondern der Zwang der göttlichen Uebermacht
sie sagen lässt, der sie in Besitz genommen hat. Noch belebt
sich die Ahnung solches dämonischen Seelenzwanges in seiner,
für die von ihm Gepackten vollkommen wirklichen Furchtbar-
keit an den erschütternden Klängen, die im "Agamemnon"
Aeschylos seiner Kassandra geliehen hat, dem Urbild einer

1) Odyss. 17, 383 ff.
2) Ueber die Sibylle kommt der furor divinus von der Art, ut
quae sapiens non videat ea videat insanus, et is qui humanos sensus ami-
serit divinos assecutus sit.
Cicero de divin. 2, 110. Vgl. 1, 34. nosemata
manika kai enthousiastika der Sibyllen und Bakiden: Aristot. probl. 954 a, 36.
Die Sibylle weissagt mantike khromene entheo Plat. Phaedr. 244 B; mainomene
te kai ek tou theou katokhos Paus. 10, 12, 2; deo furibunda recepto Ovid.
met. 14, 107. In ihr ist divinitas et quaedam caelitum societas: Plin. n.
h.
7, 119. katokhe kai epipnoia: Pseudojustin. coh. ad Gr. 35 E. So redet
denn auch in unseren Sibyllenorakeln die Sibylle oft von ihrer göttlichen
Raserei u. dgl.: z. B. II 4. 5; III 162 f., 295 ff.; IX 317, 320, 323 f., 294 f.
u. s. w. Raserei der cumaeischen Sibylle bei Virgil Aen. 6, 77 ff. -- Bakis
hat seine Wahrsagergabe von den Nymphen (Arist. Pac. 1071), er ist
kataskhetos ek numphon, maneis ek numphon (Paus. 10, 12, 11; 4, 27, 4), num-
pholeptos (wie theoleptos, phoiboleptos, panoleptos, metroleptos. Lym-
phati
: so Varro L. Lat. VII p. 365 Sp. Paul. Festi p. 120, 11 ff.; Placid.
p. 62, 15 ff. Deuerl.).
3) Sibulla de mainomeno stomati ktl. Heraklit bei Plut. Pyth. orac. 6.
(die Worte: khilion-theou gehören nicht mehr dem Heraklit, sondern dem
Plutarch. Clemens Strom. I 304 C benutzt nur den Plutarch). Unter
Heraklits Sibylle die Pythia zu verstehen (mit Bergk u. A.) ist (abgesehen
davon, dass die Pythia nie Sibulla genannt wird) nach der Art wie
Plutarch a. O. die Worte des Her. einführt und c. 9 an c. 6 anknüpft,
unmöglich. Allerdings aber vergleicht Pl. die Art der Sibylle mit der
der Pythia.

wandernde Wahrsager, insoweit den homerischen Zeichendeutern
gleich 1) und Fortsetzer ihrer Thätigkeit. Aber sie sind von
diesen völlig verschieden in der Art ihrer Weissagung. Wie
der Gott sie ergreift, im ekstatischen Hellsehen, verkünden sie
alles Verborgene. Nicht zunftgerechtes Wissen lehrt sie An-
zeichen, die Jeder sehn kann, nach ihrer Bedeutung auslegen;
sie sehen was nur der Gott sieht und die Seele des Menschen,
die der Gott ausfüllt 2). In rauhen Tönen, in wilden Worten 3)
stösst, in göttlichem Wahnsinn, die Sibylle hervor, was nicht
eigene Willkür, sondern der Zwang der göttlichen Uebermacht
sie sagen lässt, der sie in Besitz genommen hat. Noch belebt
sich die Ahnung solches dämonischen Seelenzwanges in seiner,
für die von ihm Gepackten vollkommen wirklichen Furchtbar-
keit an den erschütternden Klängen, die im „Agamemnon“
Aeschylos seiner Kassandra geliehen hat, dem Urbild einer

1) Odyss. 17, 383 ff.
2) Ueber die Sibylle kommt der furor divinus von der Art, ut
quae sapiens non videat ea videat insanus, et is qui humanos sensus ami-
serit divinos assecutus sit.
Cicero de divin. 2, 110. Vgl. 1, 34. νοσήματα
μανικὰ καὶ ἐνϑουσιαστικά der Sibyllen und Bakiden: Aristot. probl. 954 a, 36.
Die Sibylle weissagt μαντικῇ χρωμένη ἐνϑέῳ Plat. Phaedr. 244 B; μαινομένη
τε καὶ ἐκ τοῦ ϑεοῦ κάτοχος Paus. 10, 12, 2; deo furibunda recepto Ovid.
met. 14, 107. In ihr ist divinitas et quaedam caelitum societas: Plin. n.
h.
7, 119. κατοχὴ καὶ ἐπίπνοια: Pseudojustin. coh. ad Gr. 35 E. So redet
denn auch in unseren Sibyllenorakeln die Sibylle oft von ihrer göttlichen
Raserei u. dgl.: z. B. II 4. 5; III 162 f., 295 ff.; IX 317, 320, 323 f., 294 f.
u. s. w. Raserei der cumaeischen Sibylle bei Virgil Aen. 6, 77 ff. — Bakis
hat seine Wahrsagergabe von den Nymphen (Arist. Pac. 1071), er ist
κατάσχετος ἐκ νυμφῶν, μανεὶς ἐκ νυμφῶν (Paus. 10, 12, 11; 4, 27, 4), νυμ-
φόληπτος (wie ϑεόληπτος, φοιβόληπτος, πανόληπτος, μητρόληπτος. Lym-
phati
: so Varro L. Lat. VII p. 365 Sp. Paul. Festi p. 120, 11 ff.; Placid.
p. 62, 15 ff. Deuerl.).
3) Σίβυλλα δὲ μαινομένῳ στόματι κτλ. Heraklit bei Plut. Pyth. orac. 6.
(die Worte: χιλίων-ϑεοῦ gehören nicht mehr dem Heraklit, sondern dem
Plutarch. Clemens Strom. I 304 C benutzt nur den Plutarch). Unter
Heraklits Sibylle die Pythia zu verstehen (mit Bergk u. A.) ist (abgesehen
davon, dass die Pythia nie Σίβυλλα genannt wird) nach der Art wie
Plutarch a. O. die Worte des Her. einführt und c. 9 an c. 6 anknüpft,
unmöglich. Allerdings aber vergleicht Pl. die Art der Sibylle mit der
der Pythia.
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[356/0372] wandernde Wahrsager, insoweit den homerischen Zeichendeutern gleich 1) und Fortsetzer ihrer Thätigkeit. Aber sie sind von diesen völlig verschieden in der Art ihrer Weissagung. Wie der Gott sie ergreift, im ekstatischen Hellsehen, verkünden sie alles Verborgene. Nicht zunftgerechtes Wissen lehrt sie An- zeichen, die Jeder sehn kann, nach ihrer Bedeutung auslegen; sie sehen was nur der Gott sieht und die Seele des Menschen, die der Gott ausfüllt 2). In rauhen Tönen, in wilden Worten 3) stösst, in göttlichem Wahnsinn, die Sibylle hervor, was nicht eigene Willkür, sondern der Zwang der göttlichen Uebermacht sie sagen lässt, der sie in Besitz genommen hat. Noch belebt sich die Ahnung solches dämonischen Seelenzwanges in seiner, für die von ihm Gepackten vollkommen wirklichen Furchtbar- keit an den erschütternden Klängen, die im „Agamemnon“ Aeschylos seiner Kassandra geliehen hat, dem Urbild einer 1) Odyss. 17, 383 ff. 2) Ueber die Sibylle kommt der furor divinus von der Art, ut quae sapiens non videat ea videat insanus, et is qui humanos sensus ami- serit divinos assecutus sit. Cicero de divin. 2, 110. Vgl. 1, 34. νοσήματα μανικὰ καὶ ἐνϑουσιαστικά der Sibyllen und Bakiden: Aristot. probl. 954 a, 36. Die Sibylle weissagt μαντικῇ χρωμένη ἐνϑέῳ Plat. Phaedr. 244 B; μαινομένη τε καὶ ἐκ τοῦ ϑεοῦ κάτοχος Paus. 10, 12, 2; deo furibunda recepto Ovid. met. 14, 107. In ihr ist divinitas et quaedam caelitum societas: Plin. n. h. 7, 119. κατοχὴ καὶ ἐπίπνοια: Pseudojustin. coh. ad Gr. 35 E. So redet denn auch in unseren Sibyllenorakeln die Sibylle oft von ihrer göttlichen Raserei u. dgl.: z. B. II 4. 5; III 162 f., 295 ff.; IX 317, 320, 323 f., 294 f. u. s. w. Raserei der cumaeischen Sibylle bei Virgil Aen. 6, 77 ff. — Bakis hat seine Wahrsagergabe von den Nymphen (Arist. Pac. 1071), er ist κατάσχετος ἐκ νυμφῶν, μανεὶς ἐκ νυμφῶν (Paus. 10, 12, 11; 4, 27, 4), νυμ- φόληπτος (wie ϑεόληπτος, φοιβόληπτος, πανόληπτος, μητρόληπτος. Lym- phati: so Varro L. Lat. VII p. 365 Sp. Paul. Festi p. 120, 11 ff.; Placid. p. 62, 15 ff. Deuerl.). 3) Σίβυλλα δὲ μαινομένῳ στόματι κτλ. Heraklit bei Plut. Pyth. orac. 6. (die Worte: χιλίων-ϑεοῦ gehören nicht mehr dem Heraklit, sondern dem Plutarch. Clemens Strom. I 304 C benutzt nur den Plutarch). Unter Heraklits Sibylle die Pythia zu verstehen (mit Bergk u. A.) ist (abgesehen davon, dass die Pythia nie Σίβυλλα genannt wird) nach der Art wie Plutarch a. O. die Worte des Her. einführt und c. 9 an c. 6 anknüpft, unmöglich. Allerdings aber vergleicht Pl. die Art der Sibylle mit der der Pythia.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/372>, abgerufen am 25.11.2024.