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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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wie Manche zu glauben geneigt sind, von vorneherein einen
symbolischen oder allegorischen Charakter trugen, und eben
hiermit von anderem griechischen Gottesdienst sich unterschie-
den? 1) Aehnliche Deutungen haben griechische Philosophen
und Halbphilosophen auch den Götterfabeln Homers und der
Volkssage angedeihen lassen; von einem Vorrang der Mysterien
in dieser Beziehung ist gerade den Liebhabern der Mythen-
ausdeutung im Alterthum wenig bewusst. Wenn man den
eleusinischen Darstellungen mit einer gewissen Vorliebe einen
"tieferen Sinn" unterschob, so folgt daraus im Grunde nichts
als dass Vieles an diesen Darstellungen unverständlich geworden
war oder dem Geiste der philosophirenden Jahrhunderte, eigent-
lich verstanden, nicht mehr zusagte, zugleich aber dass man
diesem, mit beispiellosem Glanz, unter der, ehrfürchtige Er-
wartung weckenden Hülle der Nacht und des gebotenen Ge-
heimnisses 2), nach alterthümlichem, in stufenweisem Fortschritt
der Weihungen aufsteigendem Ritual, unter Betheiligung von
ganz Griechenland begangenem Feste und dem, was es dem
Auge und Ohr darbot, ungewöhnlich guten Willen entgegen-

1) Von dem wesentlich von anderem griechischem Götterdienst ab-
weichenden Charakter und Sinn der Verehrung der chthonischen Götter
redet (durch K. O. Müller angeregt) namentlich Preller oft und gern.
Beispielsweise in Paulys Realencykl. Art. Eleusis, III p. 108: "Der
Religionskreis, zu welchem der eleusinische Cult gehört, ist der der chtho-
nischen Götter, ein seit der ältesten Zeit in Griechenland heimischer und
viel verbreiteter Cultus, in welchem sich die Ideen von der segnenden
Fruchtbarkeit des mütterlichen Erdbodens und die von der Furchtbarkeit
des Todes, dessen Stätte die Erdtiefe, der alttestamentliche Scheol, zu
sein schien, auf wundersame, ahndungsvolle Weise kreuzen, in einer Weise,
welche von vornherein der klaren bestimmten Auffassung widerstrebte,
und somit von selbst zur mystischen, im Verborgenen andeutenden, sym-
bolisch verschleiernden Darstellung hinführen musste". -- Alles dies und
alle weiteren Ausführungen in gleichem Sinne beruhen auf dem unbeweis-
baren Axiom, dass die Thätigkeit der khthonioi als Ackergötter und als
Götter des Seelenreiches sich "gekreuzt" habe, die ahnungsvolle Ver-
schwommenheit des Uebrigen ergiebt sich daraus ganz von selbst. Aber
was ist hieran noch griechisch?
2) -- e krupsis e mustike ton ieron semnopoiei to theion, mimoumene ten
phusin autou pheugousan emon ten aisthesin. Strabo 10, 467.
Rohde, Seelencult. 18

wie Manche zu glauben geneigt sind, von vorneherein einen
symbolischen oder allegorischen Charakter trugen, und eben
hiermit von anderem griechischen Gottesdienst sich unterschie-
den? 1) Aehnliche Deutungen haben griechische Philosophen
und Halbphilosophen auch den Götterfabeln Homers und der
Volkssage angedeihen lassen; von einem Vorrang der Mysterien
in dieser Beziehung ist gerade den Liebhabern der Mythen-
ausdeutung im Alterthum wenig bewusst. Wenn man den
eleusinischen Darstellungen mit einer gewissen Vorliebe einen
„tieferen Sinn“ unterschob, so folgt daraus im Grunde nichts
als dass Vieles an diesen Darstellungen unverständlich geworden
war oder dem Geiste der philosophirenden Jahrhunderte, eigent-
lich verstanden, nicht mehr zusagte, zugleich aber dass man
diesem, mit beispiellosem Glanz, unter der, ehrfürchtige Er-
wartung weckenden Hülle der Nacht und des gebotenen Ge-
heimnisses 2), nach alterthümlichem, in stufenweisem Fortschritt
der Weihungen aufsteigendem Ritual, unter Betheiligung von
ganz Griechenland begangenem Feste und dem, was es dem
Auge und Ohr darbot, ungewöhnlich guten Willen entgegen-

1) Von dem wesentlich von anderem griechischem Götterdienst ab-
weichenden Charakter und Sinn der Verehrung der chthonischen Götter
redet (durch K. O. Müller angeregt) namentlich Preller oft und gern.
Beispielsweise in Paulys Realencykl. Art. Eleusis, III p. 108: „Der
Religionskreis, zu welchem der eleusinische Cult gehört, ist der der chtho-
nischen Götter, ein seit der ältesten Zeit in Griechenland heimischer und
viel verbreiteter Cultus, in welchem sich die Ideen von der segnenden
Fruchtbarkeit des mütterlichen Erdbodens und die von der Furchtbarkeit
des Todes, dessen Stätte die Erdtiefe, der alttestamentliche Scheol, zu
sein schien, auf wundersame, ahndungsvolle Weise kreuzen, in einer Weise,
welche von vornherein der klaren bestimmten Auffassung widerstrebte,
und somit von selbst zur mystischen, im Verborgenen andeutenden, sym-
bolisch verschleiernden Darstellung hinführen musste“. — Alles dies und
alle weiteren Ausführungen in gleichem Sinne beruhen auf dem unbeweis-
baren Axiom, dass die Thätigkeit der χϑόνιοι als Ackergötter und als
Götter des Seelenreiches sich „gekreuzt“ habe, die ahnungsvolle Ver-
schwommenheit des Uebrigen ergiebt sich daraus ganz von selbst. Aber
was ist hieran noch griechisch?
2) — ἡ κρύψις ἡ μυστικὴ τῶν ἱερῶν σεμνοποιεῖ τὸ ϑεῖον, μιμουμένη τὴν
φύσιν αὐτοῦ φεύγουσαν ἡμῶν τὴν αἴσϑησιν. Strabo 10, 467.
Rohde, Seelencult. 18
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[273/0289] wie Manche zu glauben geneigt sind, von vorneherein einen symbolischen oder allegorischen Charakter trugen, und eben hiermit von anderem griechischen Gottesdienst sich unterschie- den? 1) Aehnliche Deutungen haben griechische Philosophen und Halbphilosophen auch den Götterfabeln Homers und der Volkssage angedeihen lassen; von einem Vorrang der Mysterien in dieser Beziehung ist gerade den Liebhabern der Mythen- ausdeutung im Alterthum wenig bewusst. Wenn man den eleusinischen Darstellungen mit einer gewissen Vorliebe einen „tieferen Sinn“ unterschob, so folgt daraus im Grunde nichts als dass Vieles an diesen Darstellungen unverständlich geworden war oder dem Geiste der philosophirenden Jahrhunderte, eigent- lich verstanden, nicht mehr zusagte, zugleich aber dass man diesem, mit beispiellosem Glanz, unter der, ehrfürchtige Er- wartung weckenden Hülle der Nacht und des gebotenen Ge- heimnisses 2), nach alterthümlichem, in stufenweisem Fortschritt der Weihungen aufsteigendem Ritual, unter Betheiligung von ganz Griechenland begangenem Feste und dem, was es dem Auge und Ohr darbot, ungewöhnlich guten Willen entgegen- 1) Von dem wesentlich von anderem griechischem Götterdienst ab- weichenden Charakter und Sinn der Verehrung der chthonischen Götter redet (durch K. O. Müller angeregt) namentlich Preller oft und gern. Beispielsweise in Paulys Realencykl. Art. Eleusis, III p. 108: „Der Religionskreis, zu welchem der eleusinische Cult gehört, ist der der chtho- nischen Götter, ein seit der ältesten Zeit in Griechenland heimischer und viel verbreiteter Cultus, in welchem sich die Ideen von der segnenden Fruchtbarkeit des mütterlichen Erdbodens und die von der Furchtbarkeit des Todes, dessen Stätte die Erdtiefe, der alttestamentliche Scheol, zu sein schien, auf wundersame, ahndungsvolle Weise kreuzen, in einer Weise, welche von vornherein der klaren bestimmten Auffassung widerstrebte, und somit von selbst zur mystischen, im Verborgenen andeutenden, sym- bolisch verschleiernden Darstellung hinführen musste“. — Alles dies und alle weiteren Ausführungen in gleichem Sinne beruhen auf dem unbeweis- baren Axiom, dass die Thätigkeit der χϑόνιοι als Ackergötter und als Götter des Seelenreiches sich „gekreuzt“ habe, die ahnungsvolle Ver- schwommenheit des Uebrigen ergiebt sich daraus ganz von selbst. Aber was ist hieran noch griechisch? 2) — ἡ κρύψις ἡ μυστικὴ τῶν ἱερῶν σεμνοποιεῖ τὸ ϑεῖον, μιμουμένη τὴν φύσιν αὐτοῦ φεύγουσαν ἡμῶν τὴν αἴσϑησιν. Strabo 10, 467. Rohde, Seelencult. 18

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/289>, abgerufen am 24.11.2024.