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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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als tugendhafter und frommer Mensch hat man Anwartschaft
darauf, sondern einzig als Mitglied der eleusinischen Cult-
gemeinde und Theilnehmer an dem geheimen Dienste der
Göttinnen 1).

Durch welche Veranstaltungen aber diese Hoffnung, die
sichere Erwartung vielmehr, seligen Looses im Hades unter den
Mysten lebendig gemacht wurde? Wir müssen gestehen, hier-
über nichts leidlich Sicheres sagen zu können. Nur, dass diese
Hoffnungen auf symbolische Darstellungen irgend welcher
Art begründet waren, darf man bestimmt in Abrede stellen.
Und doch ist dies die verbreitete Meinung. "Symbole" mögen
bei der dramatischen oder pantomimischen Vorführung der
Sage vom Raub und der Rückkehr der Kore manche gedient
haben 2), aber kaum in einem anderen Sinne denn als sinn-
bildliche, den Theil statt des Ganzen setzende, in dem Theil
auf das Ganze hinweisende Abkürzungen der, unmöglich in
voller Ausdehnung zu vergegenwärtigenden Scenen. Im Laufe
der Jahrhunderte ist zweifellos, bei dem Mangel einer schrift-
lich festgehaltenen Aufklärung über Sinn und inneren Zusammen-
hang des Rituals, von solchen Symbolen manches unverständ-
lich geworden, wie übrigens in allen Theilen des griechischen
Cultus. Wenn nun seit dem Beginn selbständiger Reflexion
über religiöse Dinge vielfach allegorische oder symbolische Deu-
tungen auf Vorgänge bei den Mysterienaufführungen angewendet
worden sind, folgt daraus, dass die Mysterien der Erdgottheiten,

1) Drastisch tritt diese Privilegirung der Geweiheten hervor in dem
bekannten Ausbruch des Diogenes: ti legeis, ephe, kreittona moiran exei
Pataikion o kleptes apothanon e Epameinondas, oti memuetai; Plut. de aud.
poet
. 4. Laert. Diog. 6, 39; Julian or. 7, p. 308, 7 ff. Hertl. -- Eine homi-
letische Ausführung der Worte des Diogenes bei Philo, de vict. offer. 12,
p. 261 M.: sumbainei pollakis ton men agathon andron medena mueisthai,
lestas de estin ote kai katapontistas kai gunaikon thiasous bdelukton kai
akolaston, epan argurion paraskhosi tois telousi kai ierophantousin.
2) Von dieser Art waren die iera, welche der Hierophant "zeigte",
und die sonst bei der Feier benutzt wurden; Götterbilder, allerlei Reli-
quien und Geräthe (wie die kiste und der kalathos: s. O. Jahn, Hermes 3,
327 f.): s. Lobeck, Agl. 51--62.

als tugendhafter und frommer Mensch hat man Anwartschaft
darauf, sondern einzig als Mitglied der eleusinischen Cult-
gemeinde und Theilnehmer an dem geheimen Dienste der
Göttinnen 1).

Durch welche Veranstaltungen aber diese Hoffnung, die
sichere Erwartung vielmehr, seligen Looses im Hades unter den
Mysten lebendig gemacht wurde? Wir müssen gestehen, hier-
über nichts leidlich Sicheres sagen zu können. Nur, dass diese
Hoffnungen auf symbolische Darstellungen irgend welcher
Art begründet waren, darf man bestimmt in Abrede stellen.
Und doch ist dies die verbreitete Meinung. „Symbole“ mögen
bei der dramatischen oder pantomimischen Vorführung der
Sage vom Raub und der Rückkehr der Kore manche gedient
haben 2), aber kaum in einem anderen Sinne denn als sinn-
bildliche, den Theil statt des Ganzen setzende, in dem Theil
auf das Ganze hinweisende Abkürzungen der, unmöglich in
voller Ausdehnung zu vergegenwärtigenden Scenen. Im Laufe
der Jahrhunderte ist zweifellos, bei dem Mangel einer schrift-
lich festgehaltenen Aufklärung über Sinn und inneren Zusammen-
hang des Rituals, von solchen Symbolen manches unverständ-
lich geworden, wie übrigens in allen Theilen des griechischen
Cultus. Wenn nun seit dem Beginn selbständiger Reflexion
über religiöse Dinge vielfach allegorische oder symbolische Deu-
tungen auf Vorgänge bei den Mysterienaufführungen angewendet
worden sind, folgt daraus, dass die Mysterien der Erdgottheiten,

1) Drastisch tritt diese Privilegirung der Geweiheten hervor in dem
bekannten Ausbruch des Diogenes: τί λέγεις, ἔφη, κρείττονα μοῖραν ἕξει
Παταικίων ὁ κλέπτης ἀποϑανὼν ἣ Ἐπαμεινώνδας, ὅτι μεμύηται; Plut. de aud.
poet
. 4. Laert. Diog. 6, 39; Julian or. 7, p. 308, 7 ff. Hertl. — Eine homi-
letische Ausführung der Worte des Diogenes bei Philo, de vict. offer. 12,
p. 261 M.: συμβαίνει πολλάκις τῶν μὲν ἀγαϑῶν ἀνδρῶν μηδένα μυεῖσϑαι,
λῃστὰς δὲ ἔστιν ὅτε καὶ καταποντιστὰς καὶ γυναικῶν ϑιάσους βδελυκτῶν καὶ
ἀκολάστων, ἐπὰν ἀργύριον παράσχωσι τοῖς τελοῦσι καὶ ἱεροφαντοῦσιν.
2) Von dieser Art waren die ἱερά, welche der Hierophant „zeigte“,
und die sonst bei der Feier benutzt wurden; Götterbilder, allerlei Reli-
quien und Geräthe (wie die κίστη und der κάλαϑος: s. O. Jahn, Hermes 3,
327 f.): s. Lobeck, Agl. 51—62.
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[272/0288] als tugendhafter und frommer Mensch hat man Anwartschaft darauf, sondern einzig als Mitglied der eleusinischen Cult- gemeinde und Theilnehmer an dem geheimen Dienste der Göttinnen 1). Durch welche Veranstaltungen aber diese Hoffnung, die sichere Erwartung vielmehr, seligen Looses im Hades unter den Mysten lebendig gemacht wurde? Wir müssen gestehen, hier- über nichts leidlich Sicheres sagen zu können. Nur, dass diese Hoffnungen auf symbolische Darstellungen irgend welcher Art begründet waren, darf man bestimmt in Abrede stellen. Und doch ist dies die verbreitete Meinung. „Symbole“ mögen bei der dramatischen oder pantomimischen Vorführung der Sage vom Raub und der Rückkehr der Kore manche gedient haben 2), aber kaum in einem anderen Sinne denn als sinn- bildliche, den Theil statt des Ganzen setzende, in dem Theil auf das Ganze hinweisende Abkürzungen der, unmöglich in voller Ausdehnung zu vergegenwärtigenden Scenen. Im Laufe der Jahrhunderte ist zweifellos, bei dem Mangel einer schrift- lich festgehaltenen Aufklärung über Sinn und inneren Zusammen- hang des Rituals, von solchen Symbolen manches unverständ- lich geworden, wie übrigens in allen Theilen des griechischen Cultus. Wenn nun seit dem Beginn selbständiger Reflexion über religiöse Dinge vielfach allegorische oder symbolische Deu- tungen auf Vorgänge bei den Mysterienaufführungen angewendet worden sind, folgt daraus, dass die Mysterien der Erdgottheiten, 1) Drastisch tritt diese Privilegirung der Geweiheten hervor in dem bekannten Ausbruch des Diogenes: τί λέγεις, ἔφη, κρείττονα μοῖραν ἕξει Παταικίων ὁ κλέπτης ἀποϑανὼν ἣ Ἐπαμεινώνδας, ὅτι μεμύηται; Plut. de aud. poet. 4. Laert. Diog. 6, 39; Julian or. 7, p. 308, 7 ff. Hertl. — Eine homi- letische Ausführung der Worte des Diogenes bei Philo, de vict. offer. 12, p. 261 M.: συμβαίνει πολλάκις τῶν μὲν ἀγαϑῶν ἀνδρῶν μηδένα μυεῖσϑαι, λῃστὰς δὲ ἔστιν ὅτε καὶ καταποντιστὰς καὶ γυναικῶν ϑιάσους βδελυκτῶν καὶ ἀκολάστων, ἐπὰν ἀργύριον παράσχωσι τοῖς τελοῦσι καὶ ἱεροφαντοῦσιν. 2) Von dieser Art waren die ἱερά, welche der Hierophant „zeigte“, und die sonst bei der Feier benutzt wurden; Götterbilder, allerlei Reli- quien und Geräthe (wie die κίστη und der κάλαϑος: s. O. Jahn, Hermes 3, 327 f.): s. Lobeck, Agl. 51—62.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/288>, abgerufen am 22.05.2024.