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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Angeklagte, von den Mysterien ausgeschlossen, nicht anders
freilich als von allen gottesdienstlichen Handlungen des Staates 1).
Religiöse Reinigungen der Theilnehmer gingen dem Feste
voraus und begleiteten es; man darf annehmen, dass Manchen
unter den Gläubigen die ganze Feier vornehmlich als eine
grosse Reinigung und Weihe von besonderer Kraft erschien,
welche die Festgenossen (die "Reinen" 2] nannten sie sich
selbst) der Gnade der Göttinnen würdig machen sollte.

3.

Von den einzelnen Vorgängen und Handlungen bei dem
langgedehnten Feste kennen wir kaum das Aeusserlichste, und
auch dies nur sehr unvollständig. Ueber das, was im Inneren
des grossen Weihetempels vor sich ging, das eigentliche Myste-
rium, geben uns kaum einige Andeutungen später, nicht immer
zuverlässiger Schriftsteller dürftigen Bericht. Das Geheimniss,
welches den Mysten und Epopten auferlegt wurde 3), ist gut

1) Die prorresis des Basileus, auch die Verkündigung des Hiero-
phanten und Daduchen schloss alle androphonoi von der Theilnahme an
den Mysterien aus: s. Lobeck, Agl. 15. Diese waren freilich auch von
allen anderen gottesdienstlichen Handlungen ausgeschlossen: Lobeck 17.
Auch tois en aitia befiehlt der Archon apekhesthai musterion kai ton allon
nomimon (Pollux 8, 90): in der That war der des Mordes Angeklagte von
allen nomima ausgeschlossen: Antiphon p. tou khor. § 36 (Bekk. anecd.
310, 8: schr. nomimon).
2] osioi mustai Aristoph. Ran. 335. (So werden auch die Mysten der
Orphischen Mysterien oi osioi genannt: Plato Rep. 2, 363 C. Orph. hymn.
84, 3.) Wahrscheinlich steht osios hier in seinem ursprünglichen Sinne =
"rein" (osiai kheires u. dgl.). tas osious agisteias der eleusinischen Mysten
erwähnt Pseudoplaton, Axioch. 371 D. So wird osioun gebraucht von
ritualer Reinigung und Sühnung: den Mord phugaisin osioun Eurip. Orest.
508; den zurückkehrenden Todtschläger osioun, Demosth. Aristocrat. 73
(von der bakchischen Mysterienweihe: bakkhos eklethen osiotheis Eurip. fr.
472, 15). Bedenklich wäre es, wenn man annähme, die Mysten hätten
sich osioi genannt als die einzig Frommen und Gerechten (so ja freilich
sonst osios anthropos u. dgl.). Soweit ging ihr geistlicher Hochmuth
schwerlich, ja, im Grunde schrieben sie sich so viel eigenes Verdienst
gar nicht zu.
3) Wie es scheint in einer feierlichen Verkündigung des Keryx: der

Angeklagte, von den Mysterien ausgeschlossen, nicht anders
freilich als von allen gottesdienstlichen Handlungen des Staates 1).
Religiöse Reinigungen der Theilnehmer gingen dem Feste
voraus und begleiteten es; man darf annehmen, dass Manchen
unter den Gläubigen die ganze Feier vornehmlich als eine
grosse Reinigung und Weihe von besonderer Kraft erschien,
welche die Festgenossen (die „Reinen“ 2] nannten sie sich
selbst) der Gnade der Göttinnen würdig machen sollte.

3.

Von den einzelnen Vorgängen und Handlungen bei dem
langgedehnten Feste kennen wir kaum das Aeusserlichste, und
auch dies nur sehr unvollständig. Ueber das, was im Inneren
des grossen Weihetempels vor sich ging, das eigentliche Myste-
rium, geben uns kaum einige Andeutungen später, nicht immer
zuverlässiger Schriftsteller dürftigen Bericht. Das Geheimniss,
welches den Mysten und Epopten auferlegt wurde 3), ist gut

1) Die πρόρρησις des Basileus, auch die Verkündigung des Hiero-
phanten und Daduchen schloss alle ἀνδροφόνοι von der Theilnahme an
den Mysterien aus: s. Lobeck, Agl. 15. Diese waren freilich auch von
allen anderen gottesdienstlichen Handlungen ausgeschlossen: Lobeck 17.
Auch τοῖς ἐν αἰτίᾳ befiehlt der Archon ἀπέχεσϑαι μυστηρίων καὶ τῶν ἄλλων
νομίμων (Pollux 8, 90): in der That war der des Mordes Angeklagte von
allen νόμιμα ausgeschlossen: Antiphon π. τοῦ χορ. § 36 (Bekk. anecd.
310, 8: schr. νομίμων).
2] ὅσιοι μύσται Aristoph. Ran. 335. (So werden auch die Mysten der
Orphischen Mysterien οἱ ὅσιοι genannt: Plato Rep. 2, 363 C. Orph. hymn.
84, 3.) Wahrscheinlich steht ὅσιος hier in seinem ursprünglichen Sinne =
„rein“ (ὅσιαι χεῖρες u. dgl.). τὰς ὁσίους ἁγιστείας der eleusinischen Mysten
erwähnt Pseudoplaton, Axioch. 371 D. So wird ὁσιοῦν gebraucht von
ritualer Reinigung und Sühnung: den Mord φυγαῖσιν ὁσιοῦν Eurip. Orest.
508; den zurückkehrenden Todtschläger ὁσιοῦν, Demosth. Aristocrat. 73
(von der bakchischen Mysterienweihe: βάκχος ἐκλήϑην ὁσιωϑείς Eurip. fr.
472, 15). Bedenklich wäre es, wenn man annähme, die Mysten hätten
sich ὅσιοι genannt als die einzig Frommen und Gerechten (so ja freilich
sonst ὅσιος ἄνϑρωπος u. dgl.). Soweit ging ihr geistlicher Hochmuth
schwerlich, ja, im Grunde schrieben sie sich so viel eigenes Verdienst
gar nicht zu.
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[265/0281] Angeklagte, von den Mysterien ausgeschlossen, nicht anders freilich als von allen gottesdienstlichen Handlungen des Staates 1). Religiöse Reinigungen der Theilnehmer gingen dem Feste voraus und begleiteten es; man darf annehmen, dass Manchen unter den Gläubigen die ganze Feier vornehmlich als eine grosse Reinigung und Weihe von besonderer Kraft erschien, welche die Festgenossen (die „Reinen“ 2] nannten sie sich selbst) der Gnade der Göttinnen würdig machen sollte. 3. Von den einzelnen Vorgängen und Handlungen bei dem langgedehnten Feste kennen wir kaum das Aeusserlichste, und auch dies nur sehr unvollständig. Ueber das, was im Inneren des grossen Weihetempels vor sich ging, das eigentliche Myste- rium, geben uns kaum einige Andeutungen später, nicht immer zuverlässiger Schriftsteller dürftigen Bericht. Das Geheimniss, welches den Mysten und Epopten auferlegt wurde 3), ist gut 1) Die πρόρρησις des Basileus, auch die Verkündigung des Hiero- phanten und Daduchen schloss alle ἀνδροφόνοι von der Theilnahme an den Mysterien aus: s. Lobeck, Agl. 15. Diese waren freilich auch von allen anderen gottesdienstlichen Handlungen ausgeschlossen: Lobeck 17. Auch τοῖς ἐν αἰτίᾳ befiehlt der Archon ἀπέχεσϑαι μυστηρίων καὶ τῶν ἄλλων νομίμων (Pollux 8, 90): in der That war der des Mordes Angeklagte von allen νόμιμα ausgeschlossen: Antiphon π. τοῦ χορ. § 36 (Bekk. anecd. 310, 8: schr. νομίμων). 2] ὅσιοι μύσται Aristoph. Ran. 335. (So werden auch die Mysten der Orphischen Mysterien οἱ ὅσιοι genannt: Plato Rep. 2, 363 C. Orph. hymn. 84, 3.) Wahrscheinlich steht ὅσιος hier in seinem ursprünglichen Sinne = „rein“ (ὅσιαι χεῖρες u. dgl.). τὰς ὁσίους ἁγιστείας der eleusinischen Mysten erwähnt Pseudoplaton, Axioch. 371 D. So wird ὁσιοῦν gebraucht von ritualer Reinigung und Sühnung: den Mord φυγαῖσιν ὁσιοῦν Eurip. Orest. 508; den zurückkehrenden Todtschläger ὁσιοῦν, Demosth. Aristocrat. 73 (von der bakchischen Mysterienweihe: βάκχος ἐκλήϑην ὁσιωϑείς Eurip. fr. 472, 15). Bedenklich wäre es, wenn man annähme, die Mysten hätten sich ὅσιοι genannt als die einzig Frommen und Gerechten (so ja freilich sonst ὅσιος ἄνϑρωπος u. dgl.). Soweit ging ihr geistlicher Hochmuth schwerlich, ja, im Grunde schrieben sie sich so viel eigenes Verdienst gar nicht zu. 3) Wie es scheint in einer feierlichen Verkündigung des Keryx: der

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/281>, abgerufen am 24.11.2024.