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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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ende, an dem hier Processe stattfanden 1), war je einer der
drei Göttinnen geweiht 2). Ihnen opferte, wer am Areopag
freigesprochen war 3): denn sie sind es, welche ihn freigeben,
wie sie es sind, die Bestrafung des Mörders heischen, stets,

Bezug auf das Materielle der Streitfrage die Richtigkeit ihrer Behauptung
zu beschwören (s. Philippi, Areop. u. Ephet. p. 87--95). Als Beweis-
mittel
konnte ein solcher obligatorischer Doppeleid freilich nicht die-
nen, bei welchem nothwendiger Weise eine Partei meineidig gewesen
sein musste. Dies kann auch den Athenern nicht entgangen sein, und
man thut ihnen sicherlich Unrecht, wenn man diese singuläre Art vor-
gängiger Vereidigung einfach damit nicht erklärt, sondern abthut, dass
man sich darauf beruft, die Athener seien eben "kein Rechtsvolk" ge-
wesen (so Philippi 88). Es ist vielmehr zu vermuthen, dass diesem, mit
ungewöhnlicher Feierlichkeit umgebenen Doppeleid gar kein juristischer,
sondern lediglich ein religiöser Werth beigemessen wurde. Der Schwörende
gelobt, in furchtbarer Selbstverfluchung, falls er meineidig werde, auton
kai genos kai oikian ten autou (Antiph. c. Her. 11) den Fluchgöttinnen,
den Arai oder Erinues, aith upo gaian anthropous tinuntai, otis k epiorkon
omosse (Il. 19, 259 f.) und den Göttern, die seine Kinder und sein ganzes
Geschlecht auf Erden strafen sollen (Lycurg. Leokr. 79). Findet das Ge-
richt den Meineidigen aus, so trifft ihn zu der Strafe wegen seiner That
(oder, ist er der Kläger, dem Misslingen seines Vorhabens) noch oben-
drein das göttliche Gericht wegen seines Meineides (vgl. Demosth.
Aristocr. 68). Aber das Gericht kann ja auch irren, den Meineid nicht
entdecken, -- dann bleibt immer noch der Meineidige den Göttern ver-
fallen, denen er sich gelobt hat. Sie irren nicht. So steht der Doppel-
eid neben der gerichtlichen Untersuchung, die göttliche Strafe neben
der menschlichen, mit der sie zusammenfallen kann, aber nicht noth-
wendig muss; und die Strafe trifft dann jedenfalls auch den Schuldigen.
Der Eid bildet (als Berufung an einen höheren Richter) eine Ergänzung
des menschlichen Gerichts, oder das Gericht eine Ergänzung des Eides:
denn in dieser Vereinigung dürfte der Eid der ältere Bestandtheil sein.
1) Pollux 8, 117: kath ekaston de mena trion emeron edikazon (die
Richter am Areopag) ephexes, tetarte phthinontos, trite, deutera.
2) oi Areopagitai treis pou tou menos emeras tas phonikas dikas edi-
kazon, ekaste ton theon mian emeran aponemontes: Schol. Aeschin. 1, 188
p. 282 Sch. Wobei freilich vorausgesetzt wird, dass die (zuerst bei
Eurip. nachweisbare, von diesem aber jedenfalls nicht frei erdachte) Be-
grenzung der Zahl der Erinyen auf drei (und nicht etwa zwei) im öffent-
lichen Cultus der Stadt gegolten habe. -- Weil jene drei Tage den Eu-
meniden, als Hadesgewalten, heilig waren, galten sie als apophrades emerai:
Etym. M. 131, 16 f. Etym. Gud. 70, 5.
3) Paus. 1, 28, 6.

ende, an dem hier Processe stattfanden 1), war je einer der
drei Göttinnen geweiht 2). Ihnen opferte, wer am Areopag
freigesprochen war 3): denn sie sind es, welche ihn freigeben,
wie sie es sind, die Bestrafung des Mörders heischen, stets,

Bezug auf das Materielle der Streitfrage die Richtigkeit ihrer Behauptung
zu beschwören (s. Philippi, Areop. u. Ephet. p. 87—95). Als Beweis-
mittel
konnte ein solcher obligatorischer Doppeleid freilich nicht die-
nen, bei welchem nothwendiger Weise eine Partei meineidig gewesen
sein musste. Dies kann auch den Athenern nicht entgangen sein, und
man thut ihnen sicherlich Unrecht, wenn man diese singuläre Art vor-
gängiger Vereidigung einfach damit nicht erklärt, sondern abthut, dass
man sich darauf beruft, die Athener seien eben „kein Rechtsvolk“ ge-
wesen (so Philippi 88). Es ist vielmehr zu vermuthen, dass diesem, mit
ungewöhnlicher Feierlichkeit umgebenen Doppeleid gar kein juristischer,
sondern lediglich ein religiöser Werth beigemessen wurde. Der Schwörende
gelobt, in furchtbarer Selbstverfluchung, falls er meineidig werde, αὑτὸν
καὶ γένος καὶ οἰκίαν τὴν αὑτοῦ (Antiph. c. Her. 11) den Fluchgöttinnen,
den Ἀραί oder Ἐρινύες, αἵϑ̕ ὑπὸ γαῖαν ἀνϑρώπους τίνυνται, ὅτις κ̕ ἐπίορκον
ὀμόσσῃ (Il. 19, 259 f.) und den Göttern, die seine Kinder und sein ganzes
Geschlecht auf Erden strafen sollen (Lycurg. Leokr. 79). Findet das Ge-
richt den Meineidigen aus, so trifft ihn zu der Strafe wegen seiner That
(oder, ist er der Kläger, dem Misslingen seines Vorhabens) noch oben-
drein das göttliche Gericht wegen seines Meineides (vgl. Demosth.
Aristocr. 68). Aber das Gericht kann ja auch irren, den Meineid nicht
entdecken, — dann bleibt immer noch der Meineidige den Göttern ver-
fallen, denen er sich gelobt hat. Sie irren nicht. So steht der Doppel-
eid neben der gerichtlichen Untersuchung, die göttliche Strafe neben
der menschlichen, mit der sie zusammenfallen kann, aber nicht noth-
wendig muss; und die Strafe trifft dann jedenfalls auch den Schuldigen.
Der Eid bildet (als Berufung an einen höheren Richter) eine Ergänzung
des menschlichen Gerichts, oder das Gericht eine Ergänzung des Eides:
denn in dieser Vereinigung dürfte der Eid der ältere Bestandtheil sein.
1) Pollux 8, 117: καϑ̕ ἕκαστον δὲ μὴνα τριῶν ἡμερῶν ἐδίκαζον (die
Richter am Areopag) ἐφεξῆς, τετάρτῃ φϑίνοντος, τρίτῃ, δευτέρᾳ.
2) οἱ Ἀρεοπαγῖται τρεῖς που τοῦ μηνὸς ἡμέρας τὰς φονικὰς δίκας ἐδί-
καζον, ἑκάστῃ τῶν ϑεῶν μίαν ἡμέραν ἀπονέμοντες: Schol. Aeschin. 1, 188
p. 282 Sch. Wobei freilich vorausgesetzt wird, dass die (zuerst bei
Eurip. nachweisbare, von diesem aber jedenfalls nicht frei erdachte) Be-
grenzung der Zahl der Erinyen auf drei (und nicht etwa zwei) im öffent-
lichen Cultus der Stadt gegolten habe. — Weil jene drei Tage den Eu-
meniden, als Hadesgewalten, heilig waren, galten sie als ἀποφράδες ἡμέραι:
Etym. M. 131, 16 f. Etym. Gud. 70, 5.
3) Paus. 1, 28, 6.
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[245/0261] ende, an dem hier Processe stattfanden 1), war je einer der drei Göttinnen geweiht 2). Ihnen opferte, wer am Areopag freigesprochen war 3): denn sie sind es, welche ihn freigeben, wie sie es sind, die Bestrafung des Mörders heischen, stets, 2) 1) Pollux 8, 117: καϑ̕ ἕκαστον δὲ μὴνα τριῶν ἡμερῶν ἐδίκαζον (die Richter am Areopag) ἐφεξῆς, τετάρτῃ φϑίνοντος, τρίτῃ, δευτέρᾳ. 2) οἱ Ἀρεοπαγῖται τρεῖς που τοῦ μηνὸς ἡμέρας τὰς φονικὰς δίκας ἐδί- καζον, ἑκάστῃ τῶν ϑεῶν μίαν ἡμέραν ἀπονέμοντες: Schol. Aeschin. 1, 188 p. 282 Sch. Wobei freilich vorausgesetzt wird, dass die (zuerst bei Eurip. nachweisbare, von diesem aber jedenfalls nicht frei erdachte) Be- grenzung der Zahl der Erinyen auf drei (und nicht etwa zwei) im öffent- lichen Cultus der Stadt gegolten habe. — Weil jene drei Tage den Eu- meniden, als Hadesgewalten, heilig waren, galten sie als ἀποφράδες ἡμέραι: Etym. M. 131, 16 f. Etym. Gud. 70, 5. 3) Paus. 1, 28, 6. 2) Bezug auf das Materielle der Streitfrage die Richtigkeit ihrer Behauptung zu beschwören (s. Philippi, Areop. u. Ephet. p. 87—95). Als Beweis- mittel konnte ein solcher obligatorischer Doppeleid freilich nicht die- nen, bei welchem nothwendiger Weise eine Partei meineidig gewesen sein musste. Dies kann auch den Athenern nicht entgangen sein, und man thut ihnen sicherlich Unrecht, wenn man diese singuläre Art vor- gängiger Vereidigung einfach damit nicht erklärt, sondern abthut, dass man sich darauf beruft, die Athener seien eben „kein Rechtsvolk“ ge- wesen (so Philippi 88). Es ist vielmehr zu vermuthen, dass diesem, mit ungewöhnlicher Feierlichkeit umgebenen Doppeleid gar kein juristischer, sondern lediglich ein religiöser Werth beigemessen wurde. Der Schwörende gelobt, in furchtbarer Selbstverfluchung, falls er meineidig werde, αὑτὸν καὶ γένος καὶ οἰκίαν τὴν αὑτοῦ (Antiph. c. Her. 11) den Fluchgöttinnen, den Ἀραί oder Ἐρινύες, αἵϑ̕ ὑπὸ γαῖαν ἀνϑρώπους τίνυνται, ὅτις κ̕ ἐπίορκον ὀμόσσῃ (Il. 19, 259 f.) und den Göttern, die seine Kinder und sein ganzes Geschlecht auf Erden strafen sollen (Lycurg. Leokr. 79). Findet das Ge- richt den Meineidigen aus, so trifft ihn zu der Strafe wegen seiner That (oder, ist er der Kläger, dem Misslingen seines Vorhabens) noch oben- drein das göttliche Gericht wegen seines Meineides (vgl. Demosth. Aristocr. 68). Aber das Gericht kann ja auch irren, den Meineid nicht entdecken, — dann bleibt immer noch der Meineidige den Göttern ver- fallen, denen er sich gelobt hat. Sie irren nicht. So steht der Doppel- eid neben der gerichtlichen Untersuchung, die göttliche Strafe neben der menschlichen, mit der sie zusammenfallen kann, aber nicht noth- wendig muss; und die Strafe trifft dann jedenfalls auch den Schuldigen. Der Eid bildet (als Berufung an einen höheren Richter) eine Ergänzung des menschlichen Gerichts, oder das Gericht eine Ergänzung des Eides: denn in dieser Vereinigung dürfte der Eid der ältere Bestandtheil sein.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/261>, abgerufen am 24.11.2024.