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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Widder. Andere, jüngere Typen solcher "Todtenmahle" zeigen
die Verstorbenen stehend (neben einem Pferde nicht selten)
oder auf einem Ruhebette liegend, und die Trankspende
der Ueberlebenden entgegennehmend 1). Diese Bildwerke lassen
uns den Abstand wahrnehmen, in welchen die abgeschiedenen

1) Die Reliefbilder eines einzeln oder neben einer Frau thronenden,
den Kantharos zum Empfang der Spende vorstreckenden Mannes, dem
sich meist eine Gruppe kleiner gebildeter Adoranten nähert, deren älteste,
bei Sparta gefundene Exemplare in das 6. Jahrhundert zurückgehen,
deutet man jetzt (namentlich nach Milchhöfers Forschungen) wohl all-
gemein als Darstellungen des Familienseelencultes. Sie sind die Vor-
läufer der Darstellungen ähnlicher Spendescenen, auf denen (nach jüngerer
Sitte) der Heros auf der Kline gelagert die Anbetenden empfängt.
Gleiche Bedeutung haben die namentlich in Böotien gefundenen Reliefs,
auf denen der Verehrte auf einem Pferde sitzend oder ein Pferd führend
die Spende empfängt (Uebersicht bei Wolters, Archäol. Zeitung 1882
p. 299 ff., vgl. auch Gardner, Journal of hellenic studies 1884 p. 107--
142; Furtwängler, Sammlung Sabouroff I p. 23 ff.). Die Verehrer bringen
Granaten, einen Hahn (z. B. Athen. Mittheil. II, Taf. 20. 22), ein Schwein
(Hahn und Schwein: Thebanisches Relief, Athen. Mittheil. III 377; Schwein:
Böotisches Relief, Mitth. IV, Taf. 17, 2), einen Widder (Relief aus Patras:
Mittheil. IV 125 f. Vgl. den Widderkopf auf einem Grabmal aus dem
Gebiet von Argos, Mittheil. VIII 141). Dies sind Gaben, wie sie für Unter-
irdische sich ziemen. Den Granatapfel kennt man ja als Speise der khthonioi
aus dem Demeterhymnus; Schwein und Widder sind die als Opfer den
khthonioi verbrannten Hauptbestandtheile bei kathartischen und hilastischen
Gebräuchen. Der Hahn kommt natürlich hier nicht vor, weil er dem
Helios und der Selene heilig war (vgl. Laert. Diog. 8, 35; Iamblich.
V. Pyth. 84), sondern als Opferthier der khthonioi (und daher auch des As-
klepios); als solches war er den Mysten der Demeter in Eleusis als Speise
verboten: Porphyr. de abstin. 4, 16 p. 255, 5 N. Schol. Lucian. im
Rhein. Mus. 25, 558, 26. Wer von der Speise der Unterirdischen ge-
niesst, ist ihnen verfallen. -- Andererseits sind die thronenden oder
liegenden Seelengeister jener Reliefs in Verbindung gebracht theils mit
einer Schlange (Mitth. II, T. 20. 22; VIII, T. 18, 1 u. s. w.), einem Hunde,
einem Pferde (bisweilen sieht man nur einen Pferdekopf). Die Schlange
ist das wohlbekannte Symbol des Heros; Hund und Pferd bedeuten
sicherlich nicht Opfergaben (wie Gardner p. 131 meint), ihren wirk-
lichen Sinn hat man noch nicht enträthseln können. Das Pferd, glaube
ich, ist ebenfalls ein Symbol des nun in das Geisterreich eingetretenen
Verstorbenen, wie die Schlange auch (anders Grimm, D. Myth.4 p. 701 f.,
704). Ueber den Hund habe ich keine Meinung; genrehafte Bedeutung
hat er schwerlich, so wenig wie irgend etwas auf diesen Bildwerken.

Widder. Andere, jüngere Typen solcher „Todtenmahle“ zeigen
die Verstorbenen stehend (neben einem Pferde nicht selten)
oder auf einem Ruhebette liegend, und die Trankspende
der Ueberlebenden entgegennehmend 1). Diese Bildwerke lassen
uns den Abstand wahrnehmen, in welchen die abgeschiedenen

1) Die Reliefbilder eines einzeln oder neben einer Frau thronenden,
den Kantharos zum Empfang der Spende vorstreckenden Mannes, dem
sich meist eine Gruppe kleiner gebildeter Adoranten nähert, deren älteste,
bei Sparta gefundene Exemplare in das 6. Jahrhundert zurückgehen,
deutet man jetzt (namentlich nach Milchhöfers Forschungen) wohl all-
gemein als Darstellungen des Familienseelencultes. Sie sind die Vor-
läufer der Darstellungen ähnlicher Spendescenen, auf denen (nach jüngerer
Sitte) der Heros auf der Kline gelagert die Anbetenden empfängt.
Gleiche Bedeutung haben die namentlich in Böotien gefundenen Reliefs,
auf denen der Verehrte auf einem Pferde sitzend oder ein Pferd führend
die Spende empfängt (Uebersicht bei Wolters, Archäol. Zeitung 1882
p. 299 ff., vgl. auch Gardner, Journal of hellenic studies 1884 p. 107—
142; Furtwängler, Sammlung Sabouroff I p. 23 ff.). Die Verehrer bringen
Granaten, einen Hahn (z. B. Athen. Mittheil. II, Taf. 20. 22), ein Schwein
(Hahn und Schwein: Thebanisches Relief, Athen. Mittheil. III 377; Schwein:
Böotisches Relief, Mitth. IV, Taf. 17, 2), einen Widder (Relief aus Patras:
Mittheil. IV 125 f. Vgl. den Widderkopf auf einem Grabmal aus dem
Gebiet von Argos, Mittheil. VIII 141). Dies sind Gaben, wie sie für Unter-
irdische sich ziemen. Den Granatapfel kennt man ja als Speise der χϑόνιοι
aus dem Demeterhymnus; Schwein und Widder sind die als Opfer den
χϑόνιοι verbrannten Hauptbestandtheile bei kathartischen und hilastischen
Gebräuchen. Der Hahn kommt natürlich hier nicht vor, weil er dem
Helios und der Selene heilig war (vgl. Laert. Diog. 8, 35; Iamblich.
V. Pyth. 84), sondern als Opferthier der χϑόνιοι (und daher auch des As-
klepios); als solches war er den Mysten der Demeter in Eleusis als Speise
verboten: Porphyr. de abstin. 4, 16 p. 255, 5 N. Schol. Lucian. im
Rhein. Mus. 25, 558, 26. Wer von der Speise der Unterirdischen ge-
niesst, ist ihnen verfallen. — Andererseits sind die thronenden oder
liegenden Seelengeister jener Reliefs in Verbindung gebracht theils mit
einer Schlange (Mitth. II, T. 20. 22; VIII, T. 18, 1 u. s. w.), einem Hunde,
einem Pferde (bisweilen sieht man nur einen Pferdekopf). Die Schlange
ist das wohlbekannte Symbol des Heros; Hund und Pferd bedeuten
sicherlich nicht Opfergaben (wie Gardner p. 131 meint), ihren wirk-
lichen Sinn hat man noch nicht enträthseln können. Das Pferd, glaube
ich, ist ebenfalls ein Symbol des nun in das Geisterreich eingetretenen
Verstorbenen, wie die Schlange auch (anders Grimm, D. Myth.4 p. 701 f.,
704). Ueber den Hund habe ich keine Meinung; genrehafte Bedeutung
hat er schwerlich, so wenig wie irgend etwas auf diesen Bildwerken.
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[221/0237] Widder. Andere, jüngere Typen solcher „Todtenmahle“ zeigen die Verstorbenen stehend (neben einem Pferde nicht selten) oder auf einem Ruhebette liegend, und die Trankspende der Ueberlebenden entgegennehmend 1). Diese Bildwerke lassen uns den Abstand wahrnehmen, in welchen die abgeschiedenen 1) Die Reliefbilder eines einzeln oder neben einer Frau thronenden, den Kantharos zum Empfang der Spende vorstreckenden Mannes, dem sich meist eine Gruppe kleiner gebildeter Adoranten nähert, deren älteste, bei Sparta gefundene Exemplare in das 6. Jahrhundert zurückgehen, deutet man jetzt (namentlich nach Milchhöfers Forschungen) wohl all- gemein als Darstellungen des Familienseelencultes. Sie sind die Vor- läufer der Darstellungen ähnlicher Spendescenen, auf denen (nach jüngerer Sitte) der Heros auf der Kline gelagert die Anbetenden empfängt. Gleiche Bedeutung haben die namentlich in Böotien gefundenen Reliefs, auf denen der Verehrte auf einem Pferde sitzend oder ein Pferd führend die Spende empfängt (Uebersicht bei Wolters, Archäol. Zeitung 1882 p. 299 ff., vgl. auch Gardner, Journal of hellenic studies 1884 p. 107— 142; Furtwängler, Sammlung Sabouroff I p. 23 ff.). Die Verehrer bringen Granaten, einen Hahn (z. B. Athen. Mittheil. II, Taf. 20. 22), ein Schwein (Hahn und Schwein: Thebanisches Relief, Athen. Mittheil. III 377; Schwein: Böotisches Relief, Mitth. IV, Taf. 17, 2), einen Widder (Relief aus Patras: Mittheil. IV 125 f. Vgl. den Widderkopf auf einem Grabmal aus dem Gebiet von Argos, Mittheil. VIII 141). Dies sind Gaben, wie sie für Unter- irdische sich ziemen. Den Granatapfel kennt man ja als Speise der χϑόνιοι aus dem Demeterhymnus; Schwein und Widder sind die als Opfer den χϑόνιοι verbrannten Hauptbestandtheile bei kathartischen und hilastischen Gebräuchen. Der Hahn kommt natürlich hier nicht vor, weil er dem Helios und der Selene heilig war (vgl. Laert. Diog. 8, 35; Iamblich. V. Pyth. 84), sondern als Opferthier der χϑόνιοι (und daher auch des As- klepios); als solches war er den Mysten der Demeter in Eleusis als Speise verboten: Porphyr. de abstin. 4, 16 p. 255, 5 N. Schol. Lucian. im Rhein. Mus. 25, 558, 26. Wer von der Speise der Unterirdischen ge- niesst, ist ihnen verfallen. — Andererseits sind die thronenden oder liegenden Seelengeister jener Reliefs in Verbindung gebracht theils mit einer Schlange (Mitth. II, T. 20. 22; VIII, T. 18, 1 u. s. w.), einem Hunde, einem Pferde (bisweilen sieht man nur einen Pferdekopf). Die Schlange ist das wohlbekannte Symbol des Heros; Hund und Pferd bedeuten sicherlich nicht Opfergaben (wie Gardner p. 131 meint), ihren wirk- lichen Sinn hat man noch nicht enträthseln können. Das Pferd, glaube ich, ist ebenfalls ein Symbol des nun in das Geisterreich eingetretenen Verstorbenen, wie die Schlange auch (anders Grimm, D. Myth.4 p. 701 f., 704). Ueber den Hund habe ich keine Meinung; genrehafte Bedeutung hat er schwerlich, so wenig wie irgend etwas auf diesen Bildwerken.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/237>, abgerufen am 04.05.2024.