Der Einzelne mag noch viele Gelegenheiten gefunden haben, seinen Todten Gaben darzubringen und Verehrung zu bezeigen. Der Cult, den die Familie den Seelen ihrer Vor- fahren widmet, unterscheidet sich von der Verehrung der unter- irdischen Götter und der Heroen kaum durch etwas anderes als die viel engere Begrenzung der Cultgemeinde. Die Natur selbst verband hier die Opfernden und Verehrenden, und nur sie, mit dem Gegenstand ihrer Andacht. Wie sich, unter dem Einflusse einer alles Erhabene mehr und mehr zum Idyllischen einebnenden Civilisation, der Seelencult zu einer eigenen Trau- lichkeit ausbilden konnte, davon empfinden wir einiges bei dem Anblick bildlicher Darstellungen solchen Cultes auf den, freilich meist erst dem vierten Jahrhundert angehörigen Salb- gefässen, wie sie in Attika bei der Bestattung gebraucht und dann dem Todten in's Grab mitgegeben wurden. Ein Hauch schlichter Gemüthlichkeit liegt auf diesen skizzenhaften Bild- chen. Man sieht die Trauernden mit Bändern und Gewinden das Grabmal schmücken; die Verehrer nahen mit der Geberde der Anbetung, sie bringen mancherlei Gegenstände des täg- lichen Gebrauches, Spiegel, Fächer, Schwerter u. dgl. dem Todten zur Ergötzung 1). Bisweilen sucht ein Lebender die Seele durch Musik zu erfreuen 2). Auch Opfergaben, Kuchen, Früchte, Wein werden dargebracht; es fehlen blutige Opfer 3). Von einer erhabeneren Auffassung geben in der feierlichen Haltung ihrer Darstellungen die viel älteren Reliefbilder Kunde, die sich auf Grabstätten in Sparta gefunden haben. Dem thro- nenden Elternpaar nähern sich, in kleinerer Bildung, die an- betenden Familienmitglieder; sie bringen Blumen, Granatäpfel, aber auch wohl ein Opferthier, einen Hahn, ein Schwein, einen
1) Vgl. die Zusammenstellungen bei Pottier, les lecythes blancs atti- ques a repres. funer., p. 57. 70 ff.
2) Nicht alle, aber doch einzelne der Scenen, auf denen Leierspiel am Grabe auf den Lekythen dargestellt wird, sind so zu verstehen, dass Lebende dem Todten zur Ergötzung Musik machen. S. Furtwängler, zu Sammlung Saburoff. I, Taf. LX.
3) S. Benndorf, Sicil. u. unterital. Vasenb., p. 33.
Der Einzelne mag noch viele Gelegenheiten gefunden haben, seinen Todten Gaben darzubringen und Verehrung zu bezeigen. Der Cult, den die Familie den Seelen ihrer Vor- fahren widmet, unterscheidet sich von der Verehrung der unter- irdischen Götter und der Heroen kaum durch etwas anderes als die viel engere Begrenzung der Cultgemeinde. Die Natur selbst verband hier die Opfernden und Verehrenden, und nur sie, mit dem Gegenstand ihrer Andacht. Wie sich, unter dem Einflusse einer alles Erhabene mehr und mehr zum Idyllischen einebnenden Civilisation, der Seelencult zu einer eigenen Trau- lichkeit ausbilden konnte, davon empfinden wir einiges bei dem Anblick bildlicher Darstellungen solchen Cultes auf den, freilich meist erst dem vierten Jahrhundert angehörigen Salb- gefässen, wie sie in Attika bei der Bestattung gebraucht und dann dem Todten in’s Grab mitgegeben wurden. Ein Hauch schlichter Gemüthlichkeit liegt auf diesen skizzenhaften Bild- chen. Man sieht die Trauernden mit Bändern und Gewinden das Grabmal schmücken; die Verehrer nahen mit der Geberde der Anbetung, sie bringen mancherlei Gegenstände des täg- lichen Gebrauches, Spiegel, Fächer, Schwerter u. dgl. dem Todten zur Ergötzung 1). Bisweilen sucht ein Lebender die Seele durch Musik zu erfreuen 2). Auch Opfergaben, Kuchen, Früchte, Wein werden dargebracht; es fehlen blutige Opfer 3). Von einer erhabeneren Auffassung geben in der feierlichen Haltung ihrer Darstellungen die viel älteren Reliefbilder Kunde, die sich auf Grabstätten in Sparta gefunden haben. Dem thro- nenden Elternpaar nähern sich, in kleinerer Bildung, die an- betenden Familienmitglieder; sie bringen Blumen, Granatäpfel, aber auch wohl ein Opferthier, einen Hahn, ein Schwein, einen
1) Vgl. die Zusammenstellungen bei Pottier, les lécythes blancs atti- ques à représ. funér., p. 57. 70 ff.
2) Nicht alle, aber doch einzelne der Scenen, auf denen Leierspiel am Grabe auf den Lekythen dargestellt wird, sind so zu verstehen, dass Lebende dem Todten zur Ergötzung Musik machen. S. Furtwängler, zu Sammlung Saburoff. I, Taf. LX.
3) S. Benndorf, Sicil. u. unterital. Vasenb., p. 33.
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irdischen Götter und der Heroen kaum durch etwas anderes
als die viel engere Begrenzung der Cultgemeinde. Die Natur
selbst verband hier die Opfernden und Verehrenden, und nur
sie, mit dem Gegenstand ihrer Andacht. Wie sich, unter dem
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einebnenden Civilisation, der Seelencult zu einer eigenen Trau-
lichkeit ausbilden konnte, davon empfinden wir einiges bei dem
Anblick bildlicher Darstellungen solchen Cultes auf den,
freilich meist erst dem vierten Jahrhundert angehörigen Salb-
gefässen, wie sie in Attika bei der Bestattung gebraucht und
dann dem Todten in’s Grab mitgegeben wurden. Ein Hauch
schlichter Gemüthlichkeit liegt auf diesen skizzenhaften Bild-
chen. Man sieht die Trauernden mit Bändern und Gewinden
das Grabmal schmücken; die Verehrer nahen mit der Geberde
der Anbetung, sie bringen mancherlei Gegenstände des täg-
lichen Gebrauches, Spiegel, Fächer, Schwerter u. dgl. dem
Todten zur Ergötzung 1). Bisweilen sucht ein Lebender die
Seele durch Musik zu erfreuen 2). Auch Opfergaben, Kuchen,
Früchte, Wein werden dargebracht; es fehlen blutige Opfer 3).
Von einer erhabeneren Auffassung geben in der feierlichen
Haltung ihrer Darstellungen die viel älteren Reliefbilder Kunde,
die sich auf Grabstätten in Sparta gefunden haben. Dem thro-
nenden Elternpaar nähern sich, in kleinerer Bildung, die an-
betenden Familienmitglieder; sie bringen Blumen, Granatäpfel,
aber auch wohl ein Opferthier, einen Hahn, ein Schwein, einen
1) Vgl. die Zusammenstellungen bei Pottier, les lécythes blancs atti-
ques à représ. funér., p. 57. 70 ff.
2) Nicht alle, aber doch einzelne der Scenen, auf denen Leierspiel
am Grabe auf den Lekythen dargestellt wird, sind so zu verstehen, dass
Lebende dem Todten zur Ergötzung Musik machen. S. Furtwängler, zu
Sammlung Saburoff. I, Taf. LX.
3) S. Benndorf, Sicil. u. unterital. Vasenb., p. 33.
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/236>, abgerufen am 24.11.2024.
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