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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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man sich bisweilen begnügen musste 1). In solchen Fällen dachte
man ihn sich vielleicht durch einen Zauber an jene Stelle
gebunden 2). Sonst ist es der Rest seines ehemaligen Leibes,
der ihn gebannt hält. Auch dieser Rest ist noch ein Stück
des Heros selbst; wenn auch todt und eine Mumie, heisst es
einmal 3), wirkt und handelt er immer noch; seine Psyche, sein
unsichtbarer Doppelgänger schwebt nahe der Leiche und dem
Grabe.

Dies sind durchweg sehr uranfängliche Vorstellungen, wie
sie sich sonst bei Völkern erhalten haben, die bei unentwickelter
Bildung auf niedrigem Standpunct stehen geblieben sind 4).
Finden wir solche unter Griechen der nachhomerischen Zeit
wirksam, so werden wir nicht glauben wollen, dass sie damals,
die Helligkeit und Freiheit der Menschen jener homerischen
Welt ablösend, sich ganz neu und zum ersten Mal entwickelt
hätten. Sie sind nur unter dem homerischen Rationalismus,
der sie früher verdeckte, neu hervorgedrungen. Man möchte
meinen, so, wie eben die dem Heroenglauben zu Grunde liegen-
den Vorstellungen gezeichnet sind, habe schon der Wahnglaube
der Griechen jener Urzeit ausgesehen, die in Mykenae und
anderswo die Leichen ihrer Fürsten so eifrig (wie es scheint,
sogar durch Einbalsamirung 5]) der Vernichtung zu entziehen

1) Einige Beispiele: kenon sema des Tiresias zu Theben: Paus. 9,
18, 4; des Achill zu Elis: Paus. 6, 23, 3; der am Krieg gegen Troja
betheiligten Argiver zu Argos: Paus. 2, 20, 6; des Iolaos zu Theben:
Paus. 9, 23, 1; Schol. Pind. N. 4, 32 (im Grabmal des Amphitryon?
Pind. P. 9, 81), des Odysseus zu Sparta: Plut. Q. Gr. 48; des Kalchas
in Apulien: Lycophr. 1047 f.
2) Etwa durch anaklesis der psukhe? S. oben S. 61 f. (bei der Grün-
dung von Messene epekalounto en koino kai eroas sphisin epanekein sunoi-
kous. Paus. 4, 27, 6).
3) Kai tethneos kai tarikhos eon dunamin pros theon ekhei ton adikeonta
tinesthai. Herod. 9, 120.
4) Hiefür bedarf es keiner Belege im Einzelnen. Nur dieses: das
Bestreben, die Gräber versteckt zu halten, begegnet oft und aus den-
selben Gründen, wie im griechischen Heroencult, bei sog. Naturvölkern.
Vgl. hierüber Herbert Spencer, Princ. d. Sociol. (d. Uebers.) p. 199.
5] S. Helbig, d. homer. Epos aus d. Denkm. erl., p. 41 (1. Ausg.).

man sich bisweilen begnügen musste 1). In solchen Fällen dachte
man ihn sich vielleicht durch einen Zauber an jene Stelle
gebunden 2). Sonst ist es der Rest seines ehemaligen Leibes,
der ihn gebannt hält. Auch dieser Rest ist noch ein Stück
des Heros selbst; wenn auch todt und eine Mumie, heisst es
einmal 3), wirkt und handelt er immer noch; seine Psyche, sein
unsichtbarer Doppelgänger schwebt nahe der Leiche und dem
Grabe.

Dies sind durchweg sehr uranfängliche Vorstellungen, wie
sie sich sonst bei Völkern erhalten haben, die bei unentwickelter
Bildung auf niedrigem Standpunct stehen geblieben sind 4).
Finden wir solche unter Griechen der nachhomerischen Zeit
wirksam, so werden wir nicht glauben wollen, dass sie damals,
die Helligkeit und Freiheit der Menschen jener homerischen
Welt ablösend, sich ganz neu und zum ersten Mal entwickelt
hätten. Sie sind nur unter dem homerischen Rationalismus,
der sie früher verdeckte, neu hervorgedrungen. Man möchte
meinen, so, wie eben die dem Heroenglauben zu Grunde liegen-
den Vorstellungen gezeichnet sind, habe schon der Wahnglaube
der Griechen jener Urzeit ausgesehen, die in Mykenae und
anderswo die Leichen ihrer Fürsten so eifrig (wie es scheint,
sogar durch Einbalsamirung 5]) der Vernichtung zu entziehen

1) Einige Beispiele: κενὸν σῆμα des Tiresias zu Theben: Paus. 9,
18, 4; des Achill zu Elis: Paus. 6, 23, 3; der am Krieg gegen Troja
betheiligten Argiver zu Argos: Paus. 2, 20, 6; des Iolaos zu Theben:
Paus. 9, 23, 1; Schol. Pind. N. 4, 32 (im Grabmal des Amphitryon?
Pind. P. 9, 81), des Odysseus zu Sparta: Plut. Q. Gr. 48; des Kalchas
in Apulien: Lycophr. 1047 f.
2) Etwa durch ἀνάκλησις der ψυχή? S. oben S. 61 f. (bei der Grün-
dung von Messene ἐπεκαλοῦντο ἐν κοινῷ καὶ ἥρωάς σφισιν ἐπανήκειν συνοί-
κους. Paus. 4, 27, 6).
3) Καὶ τεϑνεὼς καὶ τάριχος ἐὼν δύναμιν πρὸς ϑεῶν ἔχει τὸν ἀδικέοντα
τίνεσϑαι. Herod. 9, 120.
4) Hiefür bedarf es keiner Belege im Einzelnen. Nur dieses: das
Bestreben, die Gräber versteckt zu halten, begegnet oft und aus den-
selben Gründen, wie im griechischen Heroencult, bei sog. Naturvölkern.
Vgl. hierüber Herbert Spencer, Princ. d. Sociol. (d. Uebers.) p. 199.
5] S. Helbig, d. homer. Epos aus d. Denkm. erl., p. 41 (1. Ausg.).
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[153/0169] man sich bisweilen begnügen musste 1). In solchen Fällen dachte man ihn sich vielleicht durch einen Zauber an jene Stelle gebunden 2). Sonst ist es der Rest seines ehemaligen Leibes, der ihn gebannt hält. Auch dieser Rest ist noch ein Stück des Heros selbst; wenn auch todt und eine Mumie, heisst es einmal 3), wirkt und handelt er immer noch; seine Psyche, sein unsichtbarer Doppelgänger schwebt nahe der Leiche und dem Grabe. Dies sind durchweg sehr uranfängliche Vorstellungen, wie sie sich sonst bei Völkern erhalten haben, die bei unentwickelter Bildung auf niedrigem Standpunct stehen geblieben sind 4). Finden wir solche unter Griechen der nachhomerischen Zeit wirksam, so werden wir nicht glauben wollen, dass sie damals, die Helligkeit und Freiheit der Menschen jener homerischen Welt ablösend, sich ganz neu und zum ersten Mal entwickelt hätten. Sie sind nur unter dem homerischen Rationalismus, der sie früher verdeckte, neu hervorgedrungen. Man möchte meinen, so, wie eben die dem Heroenglauben zu Grunde liegen- den Vorstellungen gezeichnet sind, habe schon der Wahnglaube der Griechen jener Urzeit ausgesehen, die in Mykenae und anderswo die Leichen ihrer Fürsten so eifrig (wie es scheint, sogar durch Einbalsamirung 5]) der Vernichtung zu entziehen 1) Einige Beispiele: κενὸν σῆμα des Tiresias zu Theben: Paus. 9, 18, 4; des Achill zu Elis: Paus. 6, 23, 3; der am Krieg gegen Troja betheiligten Argiver zu Argos: Paus. 2, 20, 6; des Iolaos zu Theben: Paus. 9, 23, 1; Schol. Pind. N. 4, 32 (im Grabmal des Amphitryon? Pind. P. 9, 81), des Odysseus zu Sparta: Plut. Q. Gr. 48; des Kalchas in Apulien: Lycophr. 1047 f. 2) Etwa durch ἀνάκλησις der ψυχή? S. oben S. 61 f. (bei der Grün- dung von Messene ἐπεκαλοῦντο ἐν κοινῷ καὶ ἥρωάς σφισιν ἐπανήκειν συνοί- κους. Paus. 4, 27, 6). 3) Καὶ τεϑνεὼς καὶ τάριχος ἐὼν δύναμιν πρὸς ϑεῶν ἔχει τὸν ἀδικέοντα τίνεσϑαι. Herod. 9, 120. 4) Hiefür bedarf es keiner Belege im Einzelnen. Nur dieses: das Bestreben, die Gräber versteckt zu halten, begegnet oft und aus den- selben Gründen, wie im griechischen Heroencult, bei sog. Naturvölkern. Vgl. hierüber Herbert Spencer, Princ. d. Sociol. (d. Uebers.) p. 199. 5] S. Helbig, d. homer. Epos aus d. Denkm. erl., p. 41 (1. Ausg.).

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/169>, abgerufen am 24.11.2024.