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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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an welche das Weiterleben und Wirken eines "Heros" gebannt
war, dessen Grab: in ganz folgerechter Entwicklung verwandelt
sich auch der lebendig entrückte und verewigte Heros Erech-
theus in einen begrabenen. Den Erichthonios, den sie
ausdrücklich mit dem homerischen Erechtheus identificiren,
lassen Spätere in dem Tempel der Polias, d. i. eben jenem
ältesten Athenetempel der Burg, begraben sein 1). Völlig
klar liegt der Stufengang der Verwandlung vor uns, durch
welchen der alte, in der Tiefe hausende Stammgott, der Sohn
der Erde, zum sterblichen, aber zu ewigem Leben entrückten
Helden gemacht, in den Schutz der mächtiger gewordenen
olympischen Göttin gestellt, mitsammt seinem Höhlensitz in
deren Tempelbereich hineingezogen, endlich gar zu einem Heros
wie andere auch herabgedrückt wird, der gestorben und im
Frieden des Tempels der Burggöttin begraben sei.

Nach diesem Vorbilde wird man einige Berichte deuten
dürfen, in denen uns nur der letzte Punct der Entwicklung,
das Heroengrab im Tempel eines Gottes, unmittelbar gegeben
ist. Ein einziges Beispiel möge noch betrachtet werden.

Zu Amyklae unweit von Sparta, in dem heiligsten Tempel
des lakonischen Landes, stand das alterthümliche Erzbild des
Apollo über einem Untersatz in Altarform, in welchem, berichtete
die Sage, Hyakinthos begraben lag. Durch eine eherne Thüre
an der Seite des Altars sandte man alljährlich an den Hya-
kinthien dem "Begrabenen" Todtenopfer hinab 2). Der so Ge-

1) Clemens Al. protrept. 29 B. (sammt seinen Ausschreibern, Arno-
bius u. A.); Apollodor. bibl. 3, 14, 7, 1. -- Clemens (aus Antiochus von
Syrakus) erwähnt auch ein Grab des Kekrops auf der Burg. Es ist un-
klar, in welchem Verhältniss dieses stand zu dem auf Inschriften erwähnten
Kekropion (C. I. Att. I, 322), to tou Kekropos ieron auf der Burg (Lob-
dekret für die Epheben der Kekropis des Jahres 333: Bull. de corresp.
hellen.
1889. p. 257. Z. 10).
2) `Uakinthiois pro tes tou Apollonos thusias es touton `Uakintho ton
bomon dia thuras khalkes enagizousin ; en aristera de estin e thura tou bomou.
Pausan. 3, 19, 3. Aehnliches wird uns später bei der Betrachtung der
Heroenopfer begegnen. Stets setzt dieser naive Opferbrauch körperliche
Anwesenheit des Gottes oder "Geistes" an dem Orte in der Erdtiefe

an welche das Weiterleben und Wirken eines „Heros“ gebannt
war, dessen Grab: in ganz folgerechter Entwicklung verwandelt
sich auch der lebendig entrückte und verewigte Heros Erech-
theus in einen begrabenen. Den Erichthonios, den sie
ausdrücklich mit dem homerischen Erechtheus identificiren,
lassen Spätere in dem Tempel der Polias, d. i. eben jenem
ältesten Athenetempel der Burg, begraben sein 1). Völlig
klar liegt der Stufengang der Verwandlung vor uns, durch
welchen der alte, in der Tiefe hausende Stammgott, der Sohn
der Erde, zum sterblichen, aber zu ewigem Leben entrückten
Helden gemacht, in den Schutz der mächtiger gewordenen
olympischen Göttin gestellt, mitsammt seinem Höhlensitz in
deren Tempelbereich hineingezogen, endlich gar zu einem Heros
wie andere auch herabgedrückt wird, der gestorben und im
Frieden des Tempels der Burggöttin begraben sei.

Nach diesem Vorbilde wird man einige Berichte deuten
dürfen, in denen uns nur der letzte Punct der Entwicklung,
das Heroengrab im Tempel eines Gottes, unmittelbar gegeben
ist. Ein einziges Beispiel möge noch betrachtet werden.

Zu Amyklae unweit von Sparta, in dem heiligsten Tempel
des lakonischen Landes, stand das alterthümliche Erzbild des
Apollo über einem Untersatz in Altarform, in welchem, berichtete
die Sage, Hyakinthos begraben lag. Durch eine eherne Thüre
an der Seite des Altars sandte man alljährlich an den Hya-
kinthien dem „Begrabenen“ Todtenopfer hinab 2). Der so Ge-

1) Clemens Al. protrept. 29 B. (sammt seinen Ausschreibern, Arno-
bius u. A.); Apollodor. bibl. 3, 14, 7, 1. — Clemens (aus Antiochus von
Syrakus) erwähnt auch ein Grab des Kekrops auf der Burg. Es ist un-
klar, in welchem Verhältniss dieses stand zu dem auf Inschriften erwähnten
Κεκρόπιον (C. I. Att. I, 322), τὸ τοῦ Κέκροπος ἱερόν auf der Burg (Lob-
dekret für die Epheben der Kekropis des Jahres 333: Bull. de corresp.
hellén.
1889. p. 257. Z. 10).
2) ῾ϒακινϑίοις πρὸ τῆς τοῦ Ἀπόλλωνος ϑυσίας ἐς τοῦτον ῾ϒακίνϑῳ τὸν
βωμὸν διὰ ϑύρας χαλκῆς ἐναγίζουσιν · ἐν ἀριστερᾷ δέ ἐστιν ἡ ϑύρα τοῦ βωμοῦ.
Pausan. 3, 19, 3. Aehnliches wird uns später bei der Betrachtung der
Heroenopfer begegnen. Stets setzt dieser naive Opferbrauch körperliche
Anwesenheit des Gottes oder „Geistes“ an dem Orte in der Erdtiefe
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[128/0144] an welche das Weiterleben und Wirken eines „Heros“ gebannt war, dessen Grab: in ganz folgerechter Entwicklung verwandelt sich auch der lebendig entrückte und verewigte Heros Erech- theus in einen begrabenen. Den Erichthonios, den sie ausdrücklich mit dem homerischen Erechtheus identificiren, lassen Spätere in dem Tempel der Polias, d. i. eben jenem ältesten Athenetempel der Burg, begraben sein 1). Völlig klar liegt der Stufengang der Verwandlung vor uns, durch welchen der alte, in der Tiefe hausende Stammgott, der Sohn der Erde, zum sterblichen, aber zu ewigem Leben entrückten Helden gemacht, in den Schutz der mächtiger gewordenen olympischen Göttin gestellt, mitsammt seinem Höhlensitz in deren Tempelbereich hineingezogen, endlich gar zu einem Heros wie andere auch herabgedrückt wird, der gestorben und im Frieden des Tempels der Burggöttin begraben sei. Nach diesem Vorbilde wird man einige Berichte deuten dürfen, in denen uns nur der letzte Punct der Entwicklung, das Heroengrab im Tempel eines Gottes, unmittelbar gegeben ist. Ein einziges Beispiel möge noch betrachtet werden. Zu Amyklae unweit von Sparta, in dem heiligsten Tempel des lakonischen Landes, stand das alterthümliche Erzbild des Apollo über einem Untersatz in Altarform, in welchem, berichtete die Sage, Hyakinthos begraben lag. Durch eine eherne Thüre an der Seite des Altars sandte man alljährlich an den Hya- kinthien dem „Begrabenen“ Todtenopfer hinab 2). Der so Ge- 1) Clemens Al. protrept. 29 B. (sammt seinen Ausschreibern, Arno- bius u. A.); Apollodor. bibl. 3, 14, 7, 1. — Clemens (aus Antiochus von Syrakus) erwähnt auch ein Grab des Kekrops auf der Burg. Es ist un- klar, in welchem Verhältniss dieses stand zu dem auf Inschriften erwähnten Κεκρόπιον (C. I. Att. I, 322), τὸ τοῦ Κέκροπος ἱερόν auf der Burg (Lob- dekret für die Epheben der Kekropis des Jahres 333: Bull. de corresp. hellén. 1889. p. 257. Z. 10). 2) ῾ϒακινϑίοις πρὸ τῆς τοῦ Ἀπόλλωνος ϑυσίας ἐς τοῦτον ῾ϒακίνϑῳ τὸν βωμὸν διὰ ϑύρας χαλκῆς ἐναγίζουσιν · ἐν ἀριστερᾷ δέ ἐστιν ἡ ϑύρα τοῦ βωμοῦ. Pausan. 3, 19, 3. Aehnliches wird uns später bei der Betrachtung der Heroenopfer begegnen. Stets setzt dieser naive Opferbrauch körperliche Anwesenheit des Gottes oder „Geistes“ an dem Orte in der Erdtiefe

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/144>, abgerufen am 25.11.2024.