Nur aus solcher Dichtung kann Hesiod die Vorstellung eines allgemeinen Sammelplatzes, an dem die Entrückten ewig ein müheloses Leben führen, gewonnen haben. Er nennt ihn die "Inseln der Seligen": sie liegen, fern von der Menschenwelt, am Okeanos, an den Grenzen der Erde, also da, wo nach der Odyssee auch die elysische Flur liegt, ein anderer Sammel- platz lebendig Entrückter oder vielmehr derselbe, nur anders benannt. Die "elysische Flur" uns als eine Insel zu denken, nöthigt der Name nicht, er verbietet es aber auch nicht. So nennt Homer das Land der Phäaken nirgends deutlich eine Insel 1), dennoch wird die Phantasie der meisten Leser sich Scheria als eine Insel vorstellen, und ebenso thaten es, vielleicht schon seit den Dichtern der hesiodischen Schule, die Griechen. Ebenso mag ein Dichter das, in der Odyssee flüchtig berührte "Land der Hinkunft" sich als eine Insel oder eine Gruppe von Inseln gedacht haben: nur eine Insel, rings vom Meere umgeben, giebt das Bild eines völlig von der Welt getrennten, Unberufenen unzugänglichen Zufluchtsortes. Eben darum haben die Sagen vieler Völker, zumal solcher, die am Meere wohnen, den Seelen der Abgeschiedenen ferne Inseln als Wohnplatz angewiesen.
Die völlige Abgeschiedenheit ist das Wesentliche dieser ganzen Entrückungsvorstellung, Hesiod hebt das auch deutlich genug hervor. Ein Nachdichter hat formell nicht eben ge- schickt 2) noch einen Vers eingelegt, der die Abgeschiedenheit noch schärfen sollte: darnach wohnen diese Seligen nicht nur
1) S. Welcker, Kl. Schriften 2, 6, der aber, um nur ja alle Mög- lichkeit einer Identificirung von Scheria mit Korkyra fernzuhalten, allzu bestimmt Scheria für ein Festland erklärt. Mindestens Od. 6, 204 (ver- glichen mit 4, 354) legt doch den Gedanken an eine Insel sehr nahe. Aber deutlich allerdings wird Scheria nirgends Insel genannt.
2) Die formellen Anstösse in v. 169 hebt Steitz, Hesiods W. u. T. p. 69 hervor. Der Vers fehlt in den meisten Hss., er wurde (freilich zusammen mit dem ganz unverdächtigen folgenden) von alten Kritikern verworfen (Proclus zu v. 158). Die neueren Herausgeber sind einig in seiner Tilgung. Alt ist aber die Einschiebung jedenfalls; wahrscheinlich las schon Pindar (Olymp. 2, 70) den Vers an dieser Stelle.
Nur aus solcher Dichtung kann Hesiod die Vorstellung eines allgemeinen Sammelplatzes, an dem die Entrückten ewig ein müheloses Leben führen, gewonnen haben. Er nennt ihn die „Inseln der Seligen“: sie liegen, fern von der Menschenwelt, am Okeanos, an den Grenzen der Erde, also da, wo nach der Odyssee auch die elysische Flur liegt, ein anderer Sammel- platz lebendig Entrückter oder vielmehr derselbe, nur anders benannt. Die „elysische Flur“ uns als eine Insel zu denken, nöthigt der Name nicht, er verbietet es aber auch nicht. So nennt Homer das Land der Phäaken nirgends deutlich eine Insel 1), dennoch wird die Phantasie der meisten Leser sich Scheria als eine Insel vorstellen, und ebenso thaten es, vielleicht schon seit den Dichtern der hesiodischen Schule, die Griechen. Ebenso mag ein Dichter das, in der Odyssee flüchtig berührte „Land der Hinkunft“ sich als eine Insel oder eine Gruppe von Inseln gedacht haben: nur eine Insel, rings vom Meere umgeben, giebt das Bild eines völlig von der Welt getrennten, Unberufenen unzugänglichen Zufluchtsortes. Eben darum haben die Sagen vieler Völker, zumal solcher, die am Meere wohnen, den Seelen der Abgeschiedenen ferne Inseln als Wohnplatz angewiesen.
Die völlige Abgeschiedenheit ist das Wesentliche dieser ganzen Entrückungsvorstellung, Hesiod hebt das auch deutlich genug hervor. Ein Nachdichter hat formell nicht eben ge- schickt 2) noch einen Vers eingelegt, der die Abgeschiedenheit noch schärfen sollte: darnach wohnen diese Seligen nicht nur
1) S. Welcker, Kl. Schriften 2, 6, der aber, um nur ja alle Mög- lichkeit einer Identificirung von Scheria mit Korkyra fernzuhalten, allzu bestimmt Scheria für ein Festland erklärt. Mindestens Od. 6, 204 (ver- glichen mit 4, 354) legt doch den Gedanken an eine Insel sehr nahe. Aber deutlich allerdings wird Scheria nirgends Insel genannt.
2) Die formellen Anstösse in v. 169 hebt Steitz, Hesiods W. u. T. p. 69 hervor. Der Vers fehlt in den meisten Hss., er wurde (freilich zusammen mit dem ganz unverdächtigen folgenden) von alten Kritikern verworfen (Proclus zu v. 158). Die neueren Herausgeber sind einig in seiner Tilgung. Alt ist aber die Einschiebung jedenfalls; wahrscheinlich las schon Pindar (Olymp. 2, 70) den Vers an dieser Stelle.
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am Okeanos, an den Grenzen der Erde, also da, wo nach der
Odyssee auch die elysische Flur liegt, ein anderer Sammel-
platz lebendig Entrückter oder vielmehr derselbe, nur anders
benannt. Die „elysische Flur“ uns als eine Insel zu denken,
nöthigt der Name nicht, er verbietet es aber auch nicht.
So nennt Homer das Land der Phäaken nirgends deutlich
eine Insel 1), dennoch wird die Phantasie der meisten Leser
sich Scheria als eine Insel vorstellen, und ebenso thaten es,
vielleicht schon seit den Dichtern der hesiodischen Schule, die
Griechen. Ebenso mag ein Dichter das, in der Odyssee
flüchtig berührte „Land der Hinkunft“ sich als eine Insel oder
eine Gruppe von Inseln gedacht haben: nur eine Insel, rings
vom Meere umgeben, giebt das Bild eines völlig von der Welt
getrennten, Unberufenen unzugänglichen Zufluchtsortes. Eben
darum haben die Sagen vieler Völker, zumal solcher, die am
Meere wohnen, den Seelen der Abgeschiedenen ferne Inseln
als Wohnplatz angewiesen.
Die völlige Abgeschiedenheit ist das Wesentliche dieser
ganzen Entrückungsvorstellung, Hesiod hebt das auch deutlich
genug hervor. Ein Nachdichter hat formell nicht eben ge-
schickt 2) noch einen Vers eingelegt, der die Abgeschiedenheit
noch schärfen sollte: darnach wohnen diese Seligen nicht nur
1) S. Welcker, Kl. Schriften 2, 6, der aber, um nur ja alle Mög-
lichkeit einer Identificirung von Scheria mit Korkyra fernzuhalten, allzu
bestimmt Scheria für ein Festland erklärt. Mindestens Od. 6, 204 (ver-
glichen mit 4, 354) legt doch den Gedanken an eine Insel sehr nahe.
Aber deutlich allerdings wird Scheria nirgends Insel genannt.
2) Die formellen Anstösse in v. 169 hebt Steitz, Hesiods W. u. T.
p. 69 hervor. Der Vers fehlt in den meisten Hss., er wurde (freilich
zusammen mit dem ganz unverdächtigen folgenden) von alten Kritikern
verworfen (Proclus zu v. 158). Die neueren Herausgeber sind einig in
seiner Tilgung. Alt ist aber die Einschiebung jedenfalls; wahrscheinlich
las schon Pindar (Olymp. 2, 70) den Vers an dieser Stelle.
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/114>, abgerufen am 22.11.2024.
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