eine urkundliche Bestätigung dessen, was aus Homers Gedichten mühsam zu erschliessen war. Hier begegnet uns noch lebendig der Glaube an die Erhebung abgeschiedener Seelen zu höherem Leben. Es sind -- und das ist genau zu beachten -- die Seelen längst dahingeschiedener Geschlechter der Menschen, von denen dies geglaubt wird; schon lange also wird der Glaube an deren göttliches Weiterleben bestehen, und noch besteht eine Verehrung dieser als mächtig Wirkenden gedachten. Denn wenn von den Seelen des zweiten Geschlechts gesagt wird: "Verehrung 1) folgt auch ihnen" (v. 142), so liegt ja hierin ausgesprochen, dass den Dämonen des ersten, goldenen Ge- schlechts erst recht Verehrung zu Theil werde.
Die Menschen des silbernen Geschlechts, wegen Unehr- erbietigkeit gegen die Olympier von Zeus in der Erde "ge- borgen", werden nun genannt "unterirdische sterbliche Selige, die zweiten im Range, doch folgt auch ihnen Verehrung" (v. 141. 142). Der Dichter weiss also von Seelen Verstorbener einer eben- falls längst entschwundenen Zeit, die im Inneren der Erde hausen, verehrt und also ohne Zweifel ebenfalls als mächtig gedacht werden. Die Art ihrer Einwirkung auf die Oberwelt hat der Dichter nicht genauer bezeichnet. Zwar nennt er die Geister dieses zweiten Geschlechts nicht ausdrücklich "trefflich", wie die des ersten (v. 122), er leitet sie ja auch her aus dem weniger vollkommenen silbernen Zeitalter und scheint ihnen einen ge- ringeren Rang anzuweisen. Daraus folgt noch nicht, dass er, viel späterer Speculation vorgreifend, sich die Geister des zweiten Geschlechts als eine Classe böser und ihrer Natur nach Schlimmes wirkender Dämonen gedacht habe 2). Nur zu
1) time kai toisin opedei 142. time im Sinne nicht einer einfachen Werthschätzung, sondern als thätige Verehrung, wie bei Homer so oft, z. B. in Wendungen wie: time kai kudos opedei, P 251, times aponemenos o 30; timen de lelogkhasin isa theoisin l 304; ekhei timen l 495 u. s. w. Ebenso ja v. 138: ouneka timas ouk edidoun makaressi theois.
2) Lichte und finstere, d. i. gute und böse Dämonen findet in den hesiodischen Dämonen aus dem goldenen und silbernen Geschlechte unter- schieden Roth, Myth. v. d. Weltaltern (1860) S. 16. 17. Eine solche
eine urkundliche Bestätigung dessen, was aus Homers Gedichten mühsam zu erschliessen war. Hier begegnet uns noch lebendig der Glaube an die Erhebung abgeschiedener Seelen zu höherem Leben. Es sind — und das ist genau zu beachten — die Seelen längst dahingeschiedener Geschlechter der Menschen, von denen dies geglaubt wird; schon lange also wird der Glaube an deren göttliches Weiterleben bestehen, und noch besteht eine Verehrung dieser als mächtig Wirkenden gedachten. Denn wenn von den Seelen des zweiten Geschlechts gesagt wird: „Verehrung 1) folgt auch ihnen“ (v. 142), so liegt ja hierin ausgesprochen, dass den Dämonen des ersten, goldenen Ge- schlechts erst recht Verehrung zu Theil werde.
Die Menschen des silbernen Geschlechts, wegen Unehr- erbietigkeit gegen die Olympier von Zeus in der Erde „ge- borgen“, werden nun genannt „unterirdische sterbliche Selige, die zweiten im Range, doch folgt auch ihnen Verehrung“ (v. 141. 142). Der Dichter weiss also von Seelen Verstorbener einer eben- falls längst entschwundenen Zeit, die im Inneren der Erde hausen, verehrt und also ohne Zweifel ebenfalls als mächtig gedacht werden. Die Art ihrer Einwirkung auf die Oberwelt hat der Dichter nicht genauer bezeichnet. Zwar nennt er die Geister dieses zweiten Geschlechts nicht ausdrücklich „trefflich“, wie die des ersten (v. 122), er leitet sie ja auch her aus dem weniger vollkommenen silbernen Zeitalter und scheint ihnen einen ge- ringeren Rang anzuweisen. Daraus folgt noch nicht, dass er, viel späterer Speculation vorgreifend, sich die Geister des zweiten Geschlechts als eine Classe böser und ihrer Natur nach Schlimmes wirkender Dämonen gedacht habe 2). Nur zu
1) τιμὴ καὶ τοῖσιν ὀπηδεῖ 142. τιμή im Sinne nicht einer einfachen Werthschätzung, sondern als thätige Verehrung, wie bei Homer so oft, z. B. in Wendungen wie: τιμὴ καὶ κῦδος ὀπηδεῖ, P 251, τιμῆς ἀπονήμενος ω 30; τιμὴν δὲ λελόγχασιν ἶσα ϑεοῖσιν λ 304; ἔχει τιμήν λ 495 u. s. w. Ebenso ja v. 138: οὕνεκα τιμὰς οὐκ ἐδίδουν μακάρεσσι ϑεοῖς.
2) Lichte und finstere, d. i. gute und böse Dämonen findet in den hesiodischen Dämonen aus dem goldenen und silbernen Geschlechte unter- schieden Roth, Myth. v. d. Weltaltern (1860) S. 16. 17. Eine solche
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0109"n="93"/>
eine urkundliche Bestätigung dessen, was aus Homers Gedichten<lb/>
mühsam zu erschliessen war. Hier begegnet uns noch lebendig<lb/>
der Glaube an die Erhebung abgeschiedener Seelen zu höherem<lb/>
Leben. Es sind — und das ist genau zu beachten — die<lb/>
Seelen längst dahingeschiedener Geschlechter der Menschen,<lb/>
von denen dies geglaubt wird; schon lange also wird der Glaube<lb/>
an deren göttliches Weiterleben bestehen, und noch besteht<lb/>
eine Verehrung dieser als mächtig Wirkenden gedachten. Denn<lb/>
wenn von den Seelen des <hirendition="#g">zweiten</hi> Geschlechts gesagt wird:<lb/>„Verehrung <noteplace="foot"n="1)">τιμὴκαὶτοῖσινὀπηδεῖ 142. τιμή im Sinne nicht einer einfachen<lb/>
Werthschätzung, sondern als thätige Verehrung, wie bei Homer so oft,<lb/>
z. B. in Wendungen wie: τιμὴκαὶκῦδοςὀπηδεῖ, P 251, τιμῆςἀπονήμενος<lb/>ω 30; τιμὴνδὲλελόγχασινἶσαϑεοῖσινλ 304; ἔχειτιμήνλ 495 u. s. w.<lb/>
Ebenso ja v. 138: οὕνεκατιμὰςοὐκἐδίδουνμακάρεσσιϑεοῖς.</note> folgt <hirendition="#g">auch</hi> ihnen“ (v. 142), so liegt ja hierin<lb/>
ausgesprochen, dass den Dämonen des <hirendition="#g">ersten</hi>, goldenen Ge-<lb/>
schlechts erst recht Verehrung zu Theil werde.</p><lb/><p>Die Menschen des silbernen Geschlechts, wegen Unehr-<lb/>
erbietigkeit gegen die Olympier von Zeus in der Erde „ge-<lb/>
borgen“, werden nun genannt „unterirdische sterbliche Selige,<lb/>
die zweiten im Range, doch folgt auch ihnen Verehrung“ (v. 141.<lb/>
142). Der Dichter weiss also von Seelen Verstorbener einer eben-<lb/>
falls längst entschwundenen Zeit, die im Inneren der Erde hausen,<lb/>
verehrt und also ohne Zweifel ebenfalls als mächtig gedacht<lb/>
werden. Die Art ihrer Einwirkung auf die Oberwelt hat der<lb/>
Dichter nicht genauer bezeichnet. Zwar nennt er die Geister<lb/>
dieses zweiten Geschlechts nicht ausdrücklich „trefflich“, wie<lb/>
die des ersten (v. 122), er leitet sie ja auch her aus dem weniger<lb/>
vollkommenen silbernen Zeitalter und scheint ihnen einen ge-<lb/>
ringeren Rang anzuweisen. Daraus folgt noch nicht, dass er,<lb/>
viel späterer Speculation vorgreifend, sich die Geister des<lb/>
zweiten Geschlechts als eine Classe böser und ihrer Natur<lb/>
nach Schlimmes wirkender Dämonen gedacht habe <notexml:id="seg2pn_20_1"next="#seg2pn_20_2"place="foot"n="2)">Lichte und finstere, d. i. gute und böse Dämonen findet in den<lb/>
hesiodischen Dämonen aus dem goldenen und silbernen Geschlechte unter-<lb/>
schieden Roth, <hirendition="#i">Myth. v. d. Weltaltern</hi> (1860) S. 16. 17. Eine solche</note>. Nur zu<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[93/0109]
eine urkundliche Bestätigung dessen, was aus Homers Gedichten
mühsam zu erschliessen war. Hier begegnet uns noch lebendig
der Glaube an die Erhebung abgeschiedener Seelen zu höherem
Leben. Es sind — und das ist genau zu beachten — die
Seelen längst dahingeschiedener Geschlechter der Menschen,
von denen dies geglaubt wird; schon lange also wird der Glaube
an deren göttliches Weiterleben bestehen, und noch besteht
eine Verehrung dieser als mächtig Wirkenden gedachten. Denn
wenn von den Seelen des zweiten Geschlechts gesagt wird:
„Verehrung 1) folgt auch ihnen“ (v. 142), so liegt ja hierin
ausgesprochen, dass den Dämonen des ersten, goldenen Ge-
schlechts erst recht Verehrung zu Theil werde.
Die Menschen des silbernen Geschlechts, wegen Unehr-
erbietigkeit gegen die Olympier von Zeus in der Erde „ge-
borgen“, werden nun genannt „unterirdische sterbliche Selige,
die zweiten im Range, doch folgt auch ihnen Verehrung“ (v. 141.
142). Der Dichter weiss also von Seelen Verstorbener einer eben-
falls längst entschwundenen Zeit, die im Inneren der Erde hausen,
verehrt und also ohne Zweifel ebenfalls als mächtig gedacht
werden. Die Art ihrer Einwirkung auf die Oberwelt hat der
Dichter nicht genauer bezeichnet. Zwar nennt er die Geister
dieses zweiten Geschlechts nicht ausdrücklich „trefflich“, wie
die des ersten (v. 122), er leitet sie ja auch her aus dem weniger
vollkommenen silbernen Zeitalter und scheint ihnen einen ge-
ringeren Rang anzuweisen. Daraus folgt noch nicht, dass er,
viel späterer Speculation vorgreifend, sich die Geister des
zweiten Geschlechts als eine Classe böser und ihrer Natur
nach Schlimmes wirkender Dämonen gedacht habe 2). Nur zu
1) τιμὴ καὶ τοῖσιν ὀπηδεῖ 142. τιμή im Sinne nicht einer einfachen
Werthschätzung, sondern als thätige Verehrung, wie bei Homer so oft,
z. B. in Wendungen wie: τιμὴ καὶ κῦδος ὀπηδεῖ, P 251, τιμῆς ἀπονήμενος
ω 30; τιμὴν δὲ λελόγχασιν ἶσα ϑεοῖσιν λ 304; ἔχει τιμήν λ 495 u. s. w.
Ebenso ja v. 138: οὕνεκα τιμὰς οὐκ ἐδίδουν μακάρεσσι ϑεοῖς.
2) Lichte und finstere, d. i. gute und böse Dämonen findet in den
hesiodischen Dämonen aus dem goldenen und silbernen Geschlechte unter-
schieden Roth, Myth. v. d. Weltaltern (1860) S. 16. 17. Eine solche
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/109>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.