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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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wie bei Homer die unsterblichen Götter bezeichnet. Der Name,
so verwendet, soll an und für sich keineswegs eine besondere
Gattung von Unsterblichen bezeichnen, etwa von Mittelwesen
zwischen Gott und Mensch, wie sie allerdings spätere Specu-
lation mit dem Namen der "Dämonen" zu benennen pflegt 1).
Jene Mittelwesen werden, ebenso wie die Götter, als Wesen
ursprünglich unsterblicher Natur und als verweilend in einem
Zwischenreich gedacht; diese hesiodischen Dämonen sind einst
Menschen gewesen und zu unsichtbar 2) um die Erde schwe-
benden Unsterblichen erst nach ihrem Tode geworden. Wenn
sie "Dämonen" genannt werden, so soll damit gewiss nichts
weiter ausgesagt werden, als eben dies, dass sie nun an dem
unsichtbaren Walten und ewigen Leben der Götter Theil
nehmen, insofern also selbst "Götter" genannt werden können,
so gut wie etwa Ino Leukothea, die nach Homer aus einer
Sterblichen eine Göttin geworden ist, oder wie Phaethon, der
nach der hesiodischen Theogonie von Aphrodite dem Reich
der Sterblichen enthoben ist und nun "göttlicher Dämon" heisst
(Theog. v. 99). Zur deutlichen Unterscheidung indess von den
ewigen Göttern, "welche die olympischen Wohnungen inne-
haben", heissen diese unsterblich gewordenen Menschen "Dä-
monen, die auf der Erde walten" 3). Und wenn sie auch mit

1) Solche Mittelwesen findet gleichwohl, mit handgreiflichem Irrthum,
in Hesiods daimones Plutarch, def. orac. 10 p. 415 B; er meint, Hesiod
scheide vier Classen ton logikon, theoi, daimones, eroes, anthropoi: in dieser
platonisirenden Eintheilung würden vielmehr die eroes das bedeuten, was
Hesiod unter den daimones des ersten Geschlechts versteht. (Aus Plutarchs
Hesiodcommentar wohl wörtlich entnommen ist, was Proclus, den Aus-
führungen jener Stelle des Buchs de def. orac. sehr ähnlich, vorbringt
zu Hesiod Op. 121, p. 101 Gaisf.) Neuere haben den Unterschied der
hesiodischen daimones von den Platonischen oft verfehlt. Plato selbst hält
den Unterschied sehr wohl fest (Cratyl. 397 E--398 C).
2) eera essamenoi 125 (vgl. 223, Il. 14, 282) ist ein naiver Ausdruck
für "unsichtbar", wie Tzetzes ganz richtig erklärt. So ist es auch bei
Homer stets zu verstehen, wo von Umhüllen mit einer Wolke und dgl.
geredet wird.
3) epikhthonioi heissen diese Dämonen zunächst im Gegensatze (nicht
zu den upokhthonioi v. 141, sondern) zu den theoi epouranioi, wie Proclus

wie bei Homer die unsterblichen Götter bezeichnet. Der Name,
so verwendet, soll an und für sich keineswegs eine besondere
Gattung von Unsterblichen bezeichnen, etwa von Mittelwesen
zwischen Gott und Mensch, wie sie allerdings spätere Specu-
lation mit dem Namen der „Dämonen“ zu benennen pflegt 1).
Jene Mittelwesen werden, ebenso wie die Götter, als Wesen
ursprünglich unsterblicher Natur und als verweilend in einem
Zwischenreich gedacht; diese hesiodischen Dämonen sind einst
Menschen gewesen und zu unsichtbar 2) um die Erde schwe-
benden Unsterblichen erst nach ihrem Tode geworden. Wenn
sie „Dämonen“ genannt werden, so soll damit gewiss nichts
weiter ausgesagt werden, als eben dies, dass sie nun an dem
unsichtbaren Walten und ewigen Leben der Götter Theil
nehmen, insofern also selbst „Götter“ genannt werden können,
so gut wie etwa Ino Leukothea, die nach Homer aus einer
Sterblichen eine Göttin geworden ist, oder wie Phaethon, der
nach der hesiodischen Theogonie von Aphrodite dem Reich
der Sterblichen enthoben ist und nun „göttlicher Dämon“ heisst
(Theog. v. 99). Zur deutlichen Unterscheidung indess von den
ewigen Göttern, „welche die olympischen Wohnungen inne-
haben“, heissen diese unsterblich gewordenen Menschen „Dä-
monen, die auf der Erde walten“ 3). Und wenn sie auch mit

1) Solche Mittelwesen findet gleichwohl, mit handgreiflichem Irrthum,
in Hesiods δαίμονες Plutarch, def. orac. 10 p. 415 B; er meint, Hesiod
scheide vier Classen τῶν λογικῶν, ϑεοί, δαίμονες, ἥρωες, ἄνϑρωποι: in dieser
platonisirenden Eintheilung würden vielmehr die ἥρωες das bedeuten, was
Hesiod unter den δαίμονες des ersten Geschlechts versteht. (Aus Plutarchs
Hesiodcommentar wohl wörtlich entnommen ist, was Proclus, den Aus-
führungen jener Stelle des Buchs de def. orac. sehr ähnlich, vorbringt
zu Hesiod Op. 121, p. 101 Gaisf.) Neuere haben den Unterschied der
hesiodischen δαίμονες von den Platonischen oft verfehlt. Plato selbst hält
den Unterschied sehr wohl fest (Cratyl. 397 E—398 C).
2) ἠέρα ἑσσάμενοι 125 (vgl. 223, Il. 14, 282) ist ein naiver Ausdruck
für „unsichtbar“, wie Tzetzes ganz richtig erklärt. So ist es auch bei
Homer stets zu verstehen, wo von Umhüllen mit einer Wolke und dgl.
geredet wird.
3) ἐπιχϑόνιοι heissen diese Dämonen zunächst im Gegensatze (nicht
zu den ὑποχϑόνιοι v. 141, sondern) zu den ϑεοὶ ἐπουράνιοι, wie Proclus
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[90/0106] wie bei Homer die unsterblichen Götter bezeichnet. Der Name, so verwendet, soll an und für sich keineswegs eine besondere Gattung von Unsterblichen bezeichnen, etwa von Mittelwesen zwischen Gott und Mensch, wie sie allerdings spätere Specu- lation mit dem Namen der „Dämonen“ zu benennen pflegt 1). Jene Mittelwesen werden, ebenso wie die Götter, als Wesen ursprünglich unsterblicher Natur und als verweilend in einem Zwischenreich gedacht; diese hesiodischen Dämonen sind einst Menschen gewesen und zu unsichtbar 2) um die Erde schwe- benden Unsterblichen erst nach ihrem Tode geworden. Wenn sie „Dämonen“ genannt werden, so soll damit gewiss nichts weiter ausgesagt werden, als eben dies, dass sie nun an dem unsichtbaren Walten und ewigen Leben der Götter Theil nehmen, insofern also selbst „Götter“ genannt werden können, so gut wie etwa Ino Leukothea, die nach Homer aus einer Sterblichen eine Göttin geworden ist, oder wie Phaethon, der nach der hesiodischen Theogonie von Aphrodite dem Reich der Sterblichen enthoben ist und nun „göttlicher Dämon“ heisst (Theog. v. 99). Zur deutlichen Unterscheidung indess von den ewigen Göttern, „welche die olympischen Wohnungen inne- haben“, heissen diese unsterblich gewordenen Menschen „Dä- monen, die auf der Erde walten“ 3). Und wenn sie auch mit 1) Solche Mittelwesen findet gleichwohl, mit handgreiflichem Irrthum, in Hesiods δαίμονες Plutarch, def. orac. 10 p. 415 B; er meint, Hesiod scheide vier Classen τῶν λογικῶν, ϑεοί, δαίμονες, ἥρωες, ἄνϑρωποι: in dieser platonisirenden Eintheilung würden vielmehr die ἥρωες das bedeuten, was Hesiod unter den δαίμονες des ersten Geschlechts versteht. (Aus Plutarchs Hesiodcommentar wohl wörtlich entnommen ist, was Proclus, den Aus- führungen jener Stelle des Buchs de def. orac. sehr ähnlich, vorbringt zu Hesiod Op. 121, p. 101 Gaisf.) Neuere haben den Unterschied der hesiodischen δαίμονες von den Platonischen oft verfehlt. Plato selbst hält den Unterschied sehr wohl fest (Cratyl. 397 E—398 C). 2) ἠέρα ἑσσάμενοι 125 (vgl. 223, Il. 14, 282) ist ein naiver Ausdruck für „unsichtbar“, wie Tzetzes ganz richtig erklärt. So ist es auch bei Homer stets zu verstehen, wo von Umhüllen mit einer Wolke und dgl. geredet wird. 3) ἐπιχϑόνιοι heissen diese Dämonen zunächst im Gegensatze (nicht zu den ὑποχϑόνιοι v. 141, sondern) zu den ϑεοὶ ἐπουράνιοι, wie Proclus

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/106>, abgerufen am 23.11.2024.