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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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der Fürst Lubomirski, der Schwiegersohn August Czartoryski's,
des Woiwoden von Rußland, gehörte 1). Sie alle folgten
meistentheils den Impulsen des Kanzlers, und trotz einzelner
Mißverständnisse hielt auch die weitere "Familie" zusammen 2).

Die Opposition führten wie so oft die Potocki, an ihrer
Spitze Joseph Potocki, welchen August III. auf dem Pacifi-
cationsreichstage 1736 nach dem Rathe Rußlands zum Groß-
feldherrn der Krone erhoben hatte. Auch bei ihm zeigte sich
wieder, wie wenig der König durch solche Verleihungen auf
dauernde Dankbarkeit rechnen konnte. Zur Wahl Leszcynski's
hatten sich die Potocki mit den Czartoryski ausgesöhnt; jetzt
wachte die alte Feindschaft der erstern gegen die letztern von
neuem auf. Die günstige Gelegenheit hiezu bot ihnen das
Verhalten Rußlands zur Republik. In dem Kriege, welchen
Rußland seit 1736 mit Türken und Tartaren siegreich führte,
achtete Münnich nicht im mindesten die Neutralität der Re-
publik. Auf seinen Befehl zogen russische Truppen ohne wei-
teres wiederholt durch ihr Gebiet (1738 u. 1739). "Die
Polen", schrieb damals Friedrich Wilhelm I., "werden als
Leute gehalten, vor welchen die Russen nicht die geringste Con-
sideration mehr zu tragen haben" 3). Schon auf dem Reichs-
tage im Oktober 1738 wurde natürlich hierüber bittere Klagen
erhoben. Die Landboten der Woiwodschaften Kiew, Braclaw,
Volhynien u. a. forderten laut den Abmarsch der russischen
Truppen von dem Boden der Republik, den Erlaß eines Pro-
testes gegen die unerhörte Verletzung ihrer Neutralität, und
eine Vermehrung ihres Heeres. "Was nützen uns", rief Ko-
narski, der Kastellan von Wislica, aus, "alle Bände unserer

1) Der Nuntius Visconti berichtet über ihn (1764), daß er nicht der
Gaben ermangle, auch Antheil an den Geschäften nehme, aber sich von
dem Willen des Schwiegervaters nicht entfernen könne, obwohl er auf
diesen dann und wann durch geheime Vorstellungen Eindruck mache.
D. Theiner, Monum. Poloniae IV, 2. p. 96.
2) Die Verwandtschaftsverhältnisse der großen Familien überhaupt muß
man kennen, wenn man die Geschichte Polens, namentlich die der letzten
Jahrzehnte der Republik, verstehen will.
3) S. Droysen IV, 2. S. 373.

der Fürſt Lubomirski, der Schwiegerſohn Auguſt Czartoryski’s,
des Woiwoden von Rußland, gehörte 1). Sie alle folgten
meiſtentheils den Impulſen des Kanzlers, und trotz einzelner
Mißverſtändniſſe hielt auch die weitere „Familie“ zuſammen 2).

Die Oppoſition führten wie ſo oft die Potocki, an ihrer
Spitze Joſeph Potocki, welchen Auguſt III. auf dem Pacifi-
cationsreichstage 1736 nach dem Rathe Rußlands zum Groß-
feldherrn der Krone erhoben hatte. Auch bei ihm zeigte ſich
wieder, wie wenig der König durch ſolche Verleihungen auf
dauernde Dankbarkeit rechnen konnte. Zur Wahl Leszcynski’s
hatten ſich die Potocki mit den Czartoryski ausgeſöhnt; jetzt
wachte die alte Feindſchaft der erſtern gegen die letztern von
neuem auf. Die günſtige Gelegenheit hiezu bot ihnen das
Verhalten Rußlands zur Republik. In dem Kriege, welchen
Rußland ſeit 1736 mit Türken und Tartaren ſiegreich führte,
achtete Münnich nicht im mindeſten die Neutralität der Re-
publik. Auf ſeinen Befehl zogen ruſſiſche Truppen ohne wei-
teres wiederholt durch ihr Gebiet (1738 u. 1739). „Die
Polen“, ſchrieb damals Friedrich Wilhelm I., „werden als
Leute gehalten, vor welchen die Ruſſen nicht die geringſte Con-
ſideration mehr zu tragen haben“ 3). Schon auf dem Reichs-
tage im Oktober 1738 wurde natürlich hierüber bittere Klagen
erhoben. Die Landboten der Woiwodſchaften Kiew, Braclaw,
Volhynien u. a. forderten laut den Abmarſch der ruſſiſchen
Truppen von dem Boden der Republik, den Erlaß eines Pro-
teſtes gegen die unerhörte Verletzung ihrer Neutralität, und
eine Vermehrung ihres Heeres. „Was nützen uns“, rief Ko-
narski, der Kaſtellan von Wislica, aus, „alle Bände unſerer

1) Der Nuntius Visconti berichtet über ihn (1764), daß er nicht der
Gaben ermangle, auch Antheil an den Geſchäften nehme, aber ſich von
dem Willen des Schwiegervaters nicht entfernen könne, obwohl er auf
dieſen dann und wann durch geheime Vorſtellungen Eindruck mache.
D. Theiner, Monum. Poloniae IV, 2. p. 96.
2) Die Verwandtſchaftsverhältniſſe der großen Familien überhaupt muß
man kennen, wenn man die Geſchichte Polens, namentlich die der letzten
Jahrzehnte der Republik, verſtehen will.
3) S. Droyſen IV, 2. S. 373.
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[61/0075] der Fürſt Lubomirski, der Schwiegerſohn Auguſt Czartoryski’s, des Woiwoden von Rußland, gehörte 1). Sie alle folgten meiſtentheils den Impulſen des Kanzlers, und trotz einzelner Mißverſtändniſſe hielt auch die weitere „Familie“ zuſammen 2). Die Oppoſition führten wie ſo oft die Potocki, an ihrer Spitze Joſeph Potocki, welchen Auguſt III. auf dem Pacifi- cationsreichstage 1736 nach dem Rathe Rußlands zum Groß- feldherrn der Krone erhoben hatte. Auch bei ihm zeigte ſich wieder, wie wenig der König durch ſolche Verleihungen auf dauernde Dankbarkeit rechnen konnte. Zur Wahl Leszcynski’s hatten ſich die Potocki mit den Czartoryski ausgeſöhnt; jetzt wachte die alte Feindſchaft der erſtern gegen die letztern von neuem auf. Die günſtige Gelegenheit hiezu bot ihnen das Verhalten Rußlands zur Republik. In dem Kriege, welchen Rußland ſeit 1736 mit Türken und Tartaren ſiegreich führte, achtete Münnich nicht im mindeſten die Neutralität der Re- publik. Auf ſeinen Befehl zogen ruſſiſche Truppen ohne wei- teres wiederholt durch ihr Gebiet (1738 u. 1739). „Die Polen“, ſchrieb damals Friedrich Wilhelm I., „werden als Leute gehalten, vor welchen die Ruſſen nicht die geringſte Con- ſideration mehr zu tragen haben“ 3). Schon auf dem Reichs- tage im Oktober 1738 wurde natürlich hierüber bittere Klagen erhoben. Die Landboten der Woiwodſchaften Kiew, Braclaw, Volhynien u. a. forderten laut den Abmarſch der ruſſiſchen Truppen von dem Boden der Republik, den Erlaß eines Pro- teſtes gegen die unerhörte Verletzung ihrer Neutralität, und eine Vermehrung ihres Heeres. „Was nützen uns“, rief Ko- narski, der Kaſtellan von Wislica, aus, „alle Bände unſerer 1) Der Nuntius Visconti berichtet über ihn (1764), daß er nicht der Gaben ermangle, auch Antheil an den Geſchäften nehme, aber ſich von dem Willen des Schwiegervaters nicht entfernen könne, obwohl er auf dieſen dann und wann durch geheime Vorſtellungen Eindruck mache. D. Theiner, Monum. Poloniae IV, 2. p. 96. 2) Die Verwandtſchaftsverhältniſſe der großen Familien überhaupt muß man kennen, wenn man die Geſchichte Polens, namentlich die der letzten Jahrzehnte der Republik, verſtehen will. 3) S. Droyſen IV, 2. S. 373.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/75>, abgerufen am 02.05.2024.