Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

die Schlacht bei Zorndorf. Dann aber ging er sofort nach
Polen zurück und ließ durch eine Abtheilung seiner Truppen
Anfang October Colberg belagern, während man in Peters-
burg daran dachte, auch Danzig zur Strafe für seinen Wider-
stand bombardiren zu lassen. Allein Östreich rieth unter Hin-
weis auf die Wirkung, welche das auf die Polen haben würde,
so dringend davon ab, daß man dort den Plan zunächst auf-
schob, und schließlich ganz fallen ließ. Die Entschlossenheit ihrer
Bürger und ihre reichlichen Geldspenden an die Russen, be-
wahrten der Stadt ihre Selbstständigkeit 1).

Seitdem machten die Russen Polen westwärts der Weichsel
zur Operationsbasis ihres Krieges gegen Friedrich II. Jahr
aus Jahr ein blieben ihre Truppen hier stehn, zogen ihren
Ersatz aus dem Innern Rußlands durch die östlichen polnischen
Landschaften an sich, legten hier ihre Magazine an, suchten von
hier aus, neben ihren größern militairischen Operationen, die
preußischen Gränzlandschaften, Schlesien und die Neumark,
Pommern und Brandenburg in zahllosen Streifereien heim und
brachten hierhin ihren Raub und ihre Beute in Sicherheit.
Sie betrachteten sich mit einem Wort als die Herren des
Landes, schrieben nach Willkühr Lieferungen aller Art aus und be-
handelten den Adel und dessen Bauern sehr "indiskret, selbst mit
Prügel und Todschlag" 2). Die polnischen Bauern und auch
viele vom kleinen Adel fanden freilich für den Schaden, den
sie erlitten, einen gewissen Ersatz darin, daß sie die räuberischen
Streifereien der Russen ins preußische Gebiet mitmachten, oder
den Russen die dort gemachte Beute, den zahlreichen preußischen

1) Beiträge zur neuesten Staats- und Kriegsgeschichte, Danzig 1758.
Arneth a. a. O. V, 448--449. Im November 1760 kamen die
Russen, als sie die Winterquartiere in Polnisch-Preußen bezogen, noch
einmal auf den Gedanken, auch Danzig zu besetzen, gaben ihn aber auf
Vorstellungen Brühls, der die Rückwirkung auf die Polen, sowie auf
Frankreich, Schweden und Dänemark sehr richtig fürchtete, wieder auf.
S. v. Eelking, Corresp. Brühls etc., S. 167 f.
2) Ausdruck von Kitowicz, Pam., p. 36. Die russischen Generale
und Offiziere setzten auch angesehene Leute willkührlich fest. Ein Beispiel
in Brühls Correspondenz mit Riedesel aus dem Jahre 1760, S. 60.
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 9

die Schlacht bei Zorndorf. Dann aber ging er ſofort nach
Polen zurück und ließ durch eine Abtheilung ſeiner Truppen
Anfang October Colberg belagern, während man in Peters-
burg daran dachte, auch Danzig zur Strafe für ſeinen Wider-
ſtand bombardiren zu laſſen. Allein Öſtreich rieth unter Hin-
weis auf die Wirkung, welche das auf die Polen haben würde,
ſo dringend davon ab, daß man dort den Plan zunächſt auf-
ſchob, und ſchließlich ganz fallen ließ. Die Entſchloſſenheit ihrer
Bürger und ihre reichlichen Geldſpenden an die Ruſſen, be-
wahrten der Stadt ihre Selbſtſtändigkeit 1).

Seitdem machten die Ruſſen Polen weſtwärts der Weichſel
zur Operationsbaſis ihres Krieges gegen Friedrich II. Jahr
aus Jahr ein blieben ihre Truppen hier ſtehn, zogen ihren
Erſatz aus dem Innern Rußlands durch die öſtlichen polniſchen
Landſchaften an ſich, legten hier ihre Magazine an, ſuchten von
hier aus, neben ihren größern militairiſchen Operationen, die
preußiſchen Gränzlandſchaften, Schleſien und die Neumark,
Pommern und Brandenburg in zahlloſen Streifereien heim und
brachten hierhin ihren Raub und ihre Beute in Sicherheit.
Sie betrachteten ſich mit einem Wort als die Herren des
Landes, ſchrieben nach Willkühr Lieferungen aller Art aus und be-
handelten den Adel und deſſen Bauern ſehr „indiskret, ſelbſt mit
Prügel und Todſchlag“ 2). Die polniſchen Bauern und auch
viele vom kleinen Adel fanden freilich für den Schaden, den
ſie erlitten, einen gewiſſen Erſatz darin, daß ſie die räuberiſchen
Streifereien der Ruſſen ins preußiſche Gebiet mitmachten, oder
den Ruſſen die dort gemachte Beute, den zahlreichen preußiſchen

1) Beiträge zur neueſten Staats- und Kriegsgeſchichte, Danzig 1758.
Arneth a. a. O. V, 448—449. Im November 1760 kamen die
Ruſſen, als ſie die Winterquartiere in Polniſch-Preußen bezogen, noch
einmal auf den Gedanken, auch Danzig zu beſetzen, gaben ihn aber auf
Vorſtellungen Brühls, der die Rückwirkung auf die Polen, ſowie auf
Frankreich, Schweden und Dänemark ſehr richtig fürchtete, wieder auf.
S. v. Eelking, Correſp. Brühls ꝛc., S. 167 f.
2) Ausdruck von Kitowicz, Pam., p. 36. Die ruſſiſchen Generale
und Offiziere ſetzten auch angeſehene Leute willkührlich feſt. Ein Beiſpiel
in Brühls Correſpondenz mit Riedeſel aus dem Jahre 1760, S. 60.
Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0143" n="129"/>
die Schlacht bei Zorndorf. Dann aber ging er &#x017F;ofort nach<lb/>
Polen zurück und ließ durch eine Abtheilung &#x017F;einer Truppen<lb/>
Anfang October Colberg belagern, während man in Peters-<lb/>
burg daran dachte, auch Danzig zur Strafe für &#x017F;einen Wider-<lb/>
&#x017F;tand bombardiren zu la&#x017F;&#x017F;en. Allein Ö&#x017F;treich rieth unter Hin-<lb/>
weis auf die Wirkung, welche das auf die Polen haben würde,<lb/>
&#x017F;o dringend davon ab, daß man dort den Plan zunäch&#x017F;t auf-<lb/>
&#x017F;chob, und &#x017F;chließlich ganz fallen ließ. Die Ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit ihrer<lb/>
Bürger und ihre reichlichen Geld&#x017F;penden an die Ru&#x017F;&#x017F;en, be-<lb/>
wahrten der Stadt ihre Selb&#x017F;t&#x017F;tändigkeit <note place="foot" n="1)">Beiträge zur neue&#x017F;ten Staats- und Kriegsge&#x017F;chichte, Danzig 1758.<lb/><hi rendition="#g">Arneth</hi> a. a. O. <hi rendition="#aq">V</hi>, 448&#x2014;449. Im November 1760 kamen die<lb/>
Ru&#x017F;&#x017F;en, als &#x017F;ie die Winterquartiere in Polni&#x017F;ch-Preußen bezogen, noch<lb/>
einmal auf den Gedanken, auch Danzig zu be&#x017F;etzen, gaben ihn aber auf<lb/>
Vor&#x017F;tellungen Brühls, der die Rückwirkung auf die Polen, &#x017F;owie auf<lb/>
Frankreich, Schweden und Dänemark &#x017F;ehr richtig fürchtete, wieder auf.<lb/>
S. v. <hi rendition="#g">Eelking</hi>, Corre&#x017F;p. Brühls &#xA75B;c., S. 167 f.</note>.</p><lb/>
        <p>Seitdem machten die Ru&#x017F;&#x017F;en Polen we&#x017F;twärts der Weich&#x017F;el<lb/>
zur Operationsba&#x017F;is ihres Krieges gegen Friedrich <hi rendition="#aq">II.</hi> Jahr<lb/>
aus Jahr ein blieben ihre Truppen hier &#x017F;tehn, zogen ihren<lb/>
Er&#x017F;atz aus dem Innern Rußlands durch die ö&#x017F;tlichen polni&#x017F;chen<lb/>
Land&#x017F;chaften an &#x017F;ich, legten hier ihre Magazine an, &#x017F;uchten von<lb/>
hier aus, neben ihren größern militairi&#x017F;chen Operationen, die<lb/>
preußi&#x017F;chen Gränzland&#x017F;chaften, Schle&#x017F;ien und die Neumark,<lb/>
Pommern und Brandenburg in zahllo&#x017F;en Streifereien heim und<lb/>
brachten hierhin ihren Raub und ihre Beute in Sicherheit.<lb/>
Sie betrachteten &#x017F;ich mit einem Wort als die Herren des<lb/>
Landes, &#x017F;chrieben nach Willkühr Lieferungen aller Art aus und be-<lb/>
handelten den Adel und de&#x017F;&#x017F;en Bauern &#x017F;ehr &#x201E;indiskret, &#x017F;elb&#x017F;t mit<lb/>
Prügel und Tod&#x017F;chlag&#x201C; <note place="foot" n="2)">Ausdruck von <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Kitowicz</hi>, Pam., p.</hi> 36. Die ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Generale<lb/>
und Offiziere &#x017F;etzten auch ange&#x017F;ehene Leute willkührlich fe&#x017F;t. Ein Bei&#x017F;piel<lb/>
in Brühls Corre&#x017F;pondenz mit Riede&#x017F;el aus dem Jahre 1760, S. 60.</note>. Die polni&#x017F;chen Bauern und auch<lb/>
viele vom kleinen Adel fanden freilich für den Schaden, den<lb/>
&#x017F;ie erlitten, einen gewi&#x017F;&#x017F;en Er&#x017F;atz darin, daß &#x017F;ie die räuberi&#x017F;chen<lb/>
Streifereien der Ru&#x017F;&#x017F;en ins preußi&#x017F;che Gebiet mitmachten, oder<lb/>
den Ru&#x017F;&#x017F;en die dort gemachte Beute, den zahlreichen preußi&#x017F;chen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Roepell</hi>, Polen im 18. Jahrhundert. 9</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0143] die Schlacht bei Zorndorf. Dann aber ging er ſofort nach Polen zurück und ließ durch eine Abtheilung ſeiner Truppen Anfang October Colberg belagern, während man in Peters- burg daran dachte, auch Danzig zur Strafe für ſeinen Wider- ſtand bombardiren zu laſſen. Allein Öſtreich rieth unter Hin- weis auf die Wirkung, welche das auf die Polen haben würde, ſo dringend davon ab, daß man dort den Plan zunächſt auf- ſchob, und ſchließlich ganz fallen ließ. Die Entſchloſſenheit ihrer Bürger und ihre reichlichen Geldſpenden an die Ruſſen, be- wahrten der Stadt ihre Selbſtſtändigkeit 1). Seitdem machten die Ruſſen Polen weſtwärts der Weichſel zur Operationsbaſis ihres Krieges gegen Friedrich II. Jahr aus Jahr ein blieben ihre Truppen hier ſtehn, zogen ihren Erſatz aus dem Innern Rußlands durch die öſtlichen polniſchen Landſchaften an ſich, legten hier ihre Magazine an, ſuchten von hier aus, neben ihren größern militairiſchen Operationen, die preußiſchen Gränzlandſchaften, Schleſien und die Neumark, Pommern und Brandenburg in zahlloſen Streifereien heim und brachten hierhin ihren Raub und ihre Beute in Sicherheit. Sie betrachteten ſich mit einem Wort als die Herren des Landes, ſchrieben nach Willkühr Lieferungen aller Art aus und be- handelten den Adel und deſſen Bauern ſehr „indiskret, ſelbſt mit Prügel und Todſchlag“ 2). Die polniſchen Bauern und auch viele vom kleinen Adel fanden freilich für den Schaden, den ſie erlitten, einen gewiſſen Erſatz darin, daß ſie die räuberiſchen Streifereien der Ruſſen ins preußiſche Gebiet mitmachten, oder den Ruſſen die dort gemachte Beute, den zahlreichen preußiſchen 1) Beiträge zur neueſten Staats- und Kriegsgeſchichte, Danzig 1758. Arneth a. a. O. V, 448—449. Im November 1760 kamen die Ruſſen, als ſie die Winterquartiere in Polniſch-Preußen bezogen, noch einmal auf den Gedanken, auch Danzig zu beſetzen, gaben ihn aber auf Vorſtellungen Brühls, der die Rückwirkung auf die Polen, ſowie auf Frankreich, Schweden und Dänemark ſehr richtig fürchtete, wieder auf. S. v. Eelking, Correſp. Brühls ꝛc., S. 167 f. 2) Ausdruck von Kitowicz, Pam., p. 36. Die ruſſiſchen Generale und Offiziere ſetzten auch angeſehene Leute willkührlich feſt. Ein Beiſpiel in Brühls Correſpondenz mit Riedeſel aus dem Jahre 1760, S. 60. Roepell, Polen im 18. Jahrhundert. 9

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/143
Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/143>, abgerufen am 02.05.2024.