Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 10. Berlin, Wien, 1923.

Bild:
<< vorherige Seite

Eisenbahn wieder in W. treten können, sind bisher fehlgeschlagen. Von den 7524 km Kanälen in Großbritannien und Irland sind 1842 km im Besitz von Eisenbahnen, 325 km werden von ihnen betrieben und nur 5330 km, meist nur kleine Strecken, sind von den Eisenbahnen unabhängig, aber ihnen unschädlich. Der Versuch, mit dem Manchesterkanal ein wirksames Verkehrsmittel zum W. gegen die in diesem Teil Englands liegenden Eisenbahnen zu schaffen, ist gescheitert.

In den Vereinigten Staaten von Amerika war der W. zwischen den Eisenbahnen in einem Grade freigegeben, wie in keinem andern Lande (vgl. den Artikel Vereinigte Staaten von Amerika, S. 101 dieses Bandes). In den ersten Jahrzehnten des Eisenbahnzeitalters waren die Vorbedingungen für den W. nicht gegeben, da in dem weitausgedehnten Gebiet der Vereinigten Staaten die Eisenbahnen freien Spielraum zur selbständigen Entwicklung hatten. Erst nach Verdichtung des Eisenbahnnetzes trat der W. zwischen den Knotenpunkten und zwischen weiteren, dieselben Gebiete durchschneidenden Eisenbahnen in einer Weise in die Erscheinung wie in keinem andern Lande. Die Eisenbahnen ließen kein Mittel unversucht, den in W. stehenden Bahnen Transporte abzunehmen. Die Folgen waren allerdings starke Tarifherabsetzungen in diesen Gebieten, aber auch eine maßlose Ausbreitung des Refaktienunwesens, Korruption des Eisenbahnpersonals, der Ruin von Handel und Industrie in weiten Gebieten, wie z. B. die Standard Oil Company ihre herrschende Stellung, verbunden mit der Unterdrückung aller anderen Petroleumgesellschaften, durch eine raffiniert geschickte Verwertung des W. der Eisenbahnen sich geschaffen hat, über die sie ihre Transporte leitete. Das Endergebnis dieser Eisenbahnkriege war dann die Vernichtung der schwächeren durch die mächtigen Eisenbahnen, die Schädigung der Aktionäre und der Gläubiger, die Eisenbahnbankerotte. Die Folge dieses freien W. waren durchaus ungesunde wirtschaftliche Zustände, deren Nachteile weit größer waren als die mit den niedrigen Tarifen für einzelne Kreise verbundenen Vorteile.

Das Ende der Tarifkriege war dann, wie in England, die Verschmelzung der in W. stehenden Bahnen und der wirtschaftliche und finanzielle Zusammenschluß zu großen Verbänden, den sog. pools (s. Bd. VIII, S. 88), und damit die Einschränkung des W. und Wiedererhöhung der Tarife und die allmähliche Beherrschung des amerikanischen Verkehrswesens durch wenige Gesellschaften und die an ihrer Spitze stehenden Eisenbahnkönige. Gleichwohl ist die Theorie des W. in den Vereinigten Staaten noch nicht aufgegeben. Nachdem die Eisenbahnen während des Weltkrieges über 2 Jahre vom Bunde einheitlich betrieben waren, ist durch das Transportgesetz vom 28. Februar 1920 zwar die Einteilung der Eisenbahnen in eine Anzahl von Gruppen vorgesehen, diese Gruppen sollen aber so gestaltet werden, daß der W. nicht ausgeschlossen ist. Die Verhandlungen über die Gruppenbildung sind noch nicht abgeschlossen.

Ein W. der Küstenschiffahrt mit den Eisenbahnen hat in greifbarem Umfang niemals stattgefunden. Auch der W. der Flußschiffahrt hat sich kaum bemerklich gemacht. Hier kommt fast nur der Mississippi in Betracht. In dem unter den Quellen erwähnten Bericht der Untersuchungskommission für die Wasserstraßen heißt es u. a.: "Unsere Flüsse sind besser für die Bedürfnisse der Bevölkerung geeignet als die irgend eines andern Landes. In ihrer Ausdehnung, ihrer Verteilung über das Land, ihrer Schiffbarkeit, in der Leichtigkeit ihrer Benutzung nehmen sie einen ersten Platz ein. Und doch sind die Flüsse in keinem Lande so jammervoll entwickelt, so wenig benutzt und spielen eine so unbedeutende Rolle in dem Wirtschaftsleben der Nation wie in den Vereinigten Staaten. Es ist der zügellose W. der Eisenbahnen gewesen, der die Entwicklung des Verkehrs auf unseren inländischen Wasserstraßen verhindert oder zerstört hat. Der Mississippi ist ein bezeichnendes Beispiel. In früheren Zeiten war der Verkehr auf diesem Strome ohne Beispiel in allen Ländern, er ist durch die Eisenbahnen vom Mississippi fortgetrieben. Solange die Produktion beschränkt war, bedienten die Eisenbahnen mit ihren besser gelegenen Bahnhöfen und sonstigen Anlagen den Verkehr schneller und besser als der Fluß. Später verhinderten sie die Wiederbelebung des Verkehrs durch Ermäßigung ihrer Frachten längs des Flusses, sie setzten sich in den Besitz von Flußhäfen und Hafenanlagen in einem Umfang, der den W. unmöglich machte. Heutzutage haben die Eisenbahnen den Wasserverkehr fast vollständig in ihren Händen."

Ein eigenartiges Feld für den W. sind die 5 großen Binnenseen, der Obere-, Huron-, Michigan-, Erie- und Ontario-See, die untereinander teils unmittelbar, teils durch kurze Flußläufe oder Kanäle verbunden sind und einen Flächeninhalt von 250.370 km2 haben. An ihren Ufern liegen eine Reihe der bedeutendsten Handelsstädte, in der nächsten Nähe des Obere-Sees sind die reichsten Erzlager der Vereinigten Staaten; die fruchtbaren landwirtschaftlichen

Eisenbahn wieder in W. treten können, sind bisher fehlgeschlagen. Von den 7524 km Kanälen in Großbritannien und Irland sind 1842 km im Besitz von Eisenbahnen, 325 km werden von ihnen betrieben und nur 5330 km, meist nur kleine Strecken, sind von den Eisenbahnen unabhängig, aber ihnen unschädlich. Der Versuch, mit dem Manchesterkanal ein wirksames Verkehrsmittel zum W. gegen die in diesem Teil Englands liegenden Eisenbahnen zu schaffen, ist gescheitert.

In den Vereinigten Staaten von Amerika war der W. zwischen den Eisenbahnen in einem Grade freigegeben, wie in keinem andern Lande (vgl. den Artikel Vereinigte Staaten von Amerika, S. 101 dieses Bandes). In den ersten Jahrzehnten des Eisenbahnzeitalters waren die Vorbedingungen für den W. nicht gegeben, da in dem weitausgedehnten Gebiet der Vereinigten Staaten die Eisenbahnen freien Spielraum zur selbständigen Entwicklung hatten. Erst nach Verdichtung des Eisenbahnnetzes trat der W. zwischen den Knotenpunkten und zwischen weiteren, dieselben Gebiete durchschneidenden Eisenbahnen in einer Weise in die Erscheinung wie in keinem andern Lande. Die Eisenbahnen ließen kein Mittel unversucht, den in W. stehenden Bahnen Transporte abzunehmen. Die Folgen waren allerdings starke Tarifherabsetzungen in diesen Gebieten, aber auch eine maßlose Ausbreitung des Refaktienunwesens, Korruption des Eisenbahnpersonals, der Ruin von Handel und Industrie in weiten Gebieten, wie z. B. die Standard Oil Company ihre herrschende Stellung, verbunden mit der Unterdrückung aller anderen Petroleumgesellschaften, durch eine raffiniert geschickte Verwertung des W. der Eisenbahnen sich geschaffen hat, über die sie ihre Transporte leitete. Das Endergebnis dieser Eisenbahnkriege war dann die Vernichtung der schwächeren durch die mächtigen Eisenbahnen, die Schädigung der Aktionäre und der Gläubiger, die Eisenbahnbankerotte. Die Folge dieses freien W. waren durchaus ungesunde wirtschaftliche Zustände, deren Nachteile weit größer waren als die mit den niedrigen Tarifen für einzelne Kreise verbundenen Vorteile.

Das Ende der Tarifkriege war dann, wie in England, die Verschmelzung der in W. stehenden Bahnen und der wirtschaftliche und finanzielle Zusammenschluß zu großen Verbänden, den sog. pools (s. Bd. VIII, S. 88), und damit die Einschränkung des W. und Wiedererhöhung der Tarife und die allmähliche Beherrschung des amerikanischen Verkehrswesens durch wenige Gesellschaften und die an ihrer Spitze stehenden Eisenbahnkönige. Gleichwohl ist die Theorie des W. in den Vereinigten Staaten noch nicht aufgegeben. Nachdem die Eisenbahnen während des Weltkrieges über 2 Jahre vom Bunde einheitlich betrieben waren, ist durch das Transportgesetz vom 28. Februar 1920 zwar die Einteilung der Eisenbahnen in eine Anzahl von Gruppen vorgesehen, diese Gruppen sollen aber so gestaltet werden, daß der W. nicht ausgeschlossen ist. Die Verhandlungen über die Gruppenbildung sind noch nicht abgeschlossen.

Ein W. der Küstenschiffahrt mit den Eisenbahnen hat in greifbarem Umfang niemals stattgefunden. Auch der W. der Flußschiffahrt hat sich kaum bemerklich gemacht. Hier kommt fast nur der Mississippi in Betracht. In dem unter den Quellen erwähnten Bericht der Untersuchungskommission für die Wasserstraßen heißt es u. a.: „Unsere Flüsse sind besser für die Bedürfnisse der Bevölkerung geeignet als die irgend eines andern Landes. In ihrer Ausdehnung, ihrer Verteilung über das Land, ihrer Schiffbarkeit, in der Leichtigkeit ihrer Benutzung nehmen sie einen ersten Platz ein. Und doch sind die Flüsse in keinem Lande so jammervoll entwickelt, so wenig benutzt und spielen eine so unbedeutende Rolle in dem Wirtschaftsleben der Nation wie in den Vereinigten Staaten. Es ist der zügellose W. der Eisenbahnen gewesen, der die Entwicklung des Verkehrs auf unseren inländischen Wasserstraßen verhindert oder zerstört hat. Der Mississippi ist ein bezeichnendes Beispiel. In früheren Zeiten war der Verkehr auf diesem Strome ohne Beispiel in allen Ländern, er ist durch die Eisenbahnen vom Mississippi fortgetrieben. Solange die Produktion beschränkt war, bedienten die Eisenbahnen mit ihren besser gelegenen Bahnhöfen und sonstigen Anlagen den Verkehr schneller und besser als der Fluß. Später verhinderten sie die Wiederbelebung des Verkehrs durch Ermäßigung ihrer Frachten längs des Flusses, sie setzten sich in den Besitz von Flußhäfen und Hafenanlagen in einem Umfang, der den W. unmöglich machte. Heutzutage haben die Eisenbahnen den Wasserverkehr fast vollständig in ihren Händen.“

Ein eigenartiges Feld für den W. sind die 5 großen Binnenseen, der Obere-, Huron-, Michigan-, Erie- und Ontario-See, die untereinander teils unmittelbar, teils durch kurze Flußläufe oder Kanäle verbunden sind und einen Flächeninhalt von 250.370 km2 haben. An ihren Ufern liegen eine Reihe der bedeutendsten Handelsstädte, in der nächsten Nähe des Obere-Sees sind die reichsten Erzlager der Vereinigten Staaten; die fruchtbaren landwirtschaftlichen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="lexiconEntry" n="2">
          <p><pb facs="#f0407" n="377"/>
Eisenbahn wieder in W. treten können, sind bisher fehlgeschlagen. Von den 7524 <hi rendition="#i">km</hi> Kanälen in Großbritannien und Irland sind 1842 <hi rendition="#i">km</hi> im Besitz von Eisenbahnen, 325 <hi rendition="#i">km</hi> werden von ihnen betrieben und nur 5330 <hi rendition="#i">km,</hi> meist nur kleine Strecken, sind von den Eisenbahnen unabhängig, aber ihnen unschädlich. Der Versuch, mit dem Manchesterkanal ein wirksames Verkehrsmittel zum W. gegen die in diesem Teil Englands liegenden Eisenbahnen zu schaffen, ist gescheitert.</p><lb/>
          <p>In den <hi rendition="#g">Vereinigten Staaten von Amerika</hi> war der W. zwischen den Eisenbahnen in einem Grade freigegeben, wie in keinem andern Lande (vgl. den Artikel Vereinigte Staaten von Amerika, S. 101 dieses Bandes). In den ersten Jahrzehnten des Eisenbahnzeitalters waren die Vorbedingungen für den W. nicht gegeben, da in dem weitausgedehnten Gebiet der Vereinigten Staaten die Eisenbahnen freien Spielraum zur selbständigen Entwicklung hatten. Erst nach Verdichtung des Eisenbahnnetzes trat der W. zwischen den Knotenpunkten und zwischen weiteren, dieselben Gebiete durchschneidenden Eisenbahnen in einer Weise in die Erscheinung wie in keinem andern Lande. Die Eisenbahnen ließen kein Mittel unversucht, den in W. stehenden Bahnen Transporte abzunehmen. Die Folgen waren allerdings starke Tarifherabsetzungen in diesen Gebieten, aber auch eine maßlose Ausbreitung des Refaktienunwesens, Korruption des Eisenbahnpersonals, der Ruin von Handel und Industrie in weiten Gebieten, wie z. B. die Standard Oil Company ihre herrschende Stellung, verbunden mit der Unterdrückung aller anderen Petroleumgesellschaften, durch eine raffiniert geschickte Verwertung des W. der Eisenbahnen sich geschaffen hat, über die sie ihre Transporte leitete. Das Endergebnis dieser Eisenbahnkriege war dann die Vernichtung der schwächeren durch die mächtigen Eisenbahnen, die Schädigung der Aktionäre und der Gläubiger, die Eisenbahnbankerotte. Die Folge dieses freien W. waren durchaus ungesunde wirtschaftliche Zustände, deren Nachteile weit größer waren als die mit den niedrigen Tarifen für einzelne Kreise verbundenen Vorteile.</p><lb/>
          <p>Das Ende der Tarifkriege war dann, wie in England, die Verschmelzung der in W. stehenden Bahnen und der wirtschaftliche und finanzielle Zusammenschluß zu großen Verbänden, den sog. pools (s. Bd. VIII, S. 88), und damit die Einschränkung des W. und Wiedererhöhung der Tarife und die allmähliche Beherrschung des amerikanischen Verkehrswesens durch wenige Gesellschaften und die an ihrer Spitze stehenden Eisenbahnkönige. Gleichwohl ist die Theorie des W. in den Vereinigten Staaten noch nicht aufgegeben. Nachdem die Eisenbahnen während des Weltkrieges über 2 Jahre vom Bunde einheitlich betrieben waren, ist durch das Transportgesetz vom 28. Februar 1920 zwar die Einteilung der Eisenbahnen in eine Anzahl von Gruppen vorgesehen, diese Gruppen sollen aber so gestaltet werden, daß der W. nicht ausgeschlossen ist. Die Verhandlungen über die Gruppenbildung sind noch nicht abgeschlossen.</p><lb/>
          <p>Ein W. der Küstenschiffahrt mit den Eisenbahnen hat in greifbarem Umfang niemals stattgefunden. Auch der W. der Flußschiffahrt hat sich kaum bemerklich gemacht. Hier kommt fast nur der Mississippi in Betracht. In dem unter den Quellen erwähnten Bericht der Untersuchungskommission für die Wasserstraßen heißt es u. a.: &#x201E;Unsere Flüsse sind besser für die Bedürfnisse der Bevölkerung geeignet als die irgend eines andern Landes. In ihrer Ausdehnung, ihrer Verteilung über das Land, ihrer Schiffbarkeit, in der Leichtigkeit ihrer Benutzung nehmen sie einen ersten Platz ein. Und doch sind die Flüsse in keinem Lande so jammervoll entwickelt, so wenig benutzt und spielen eine so unbedeutende Rolle in dem Wirtschaftsleben der Nation wie in den Vereinigten Staaten. Es ist der zügellose W. der Eisenbahnen gewesen, der die Entwicklung des Verkehrs auf unseren inländischen Wasserstraßen verhindert oder zerstört hat. Der Mississippi ist ein bezeichnendes Beispiel. In früheren Zeiten war der Verkehr auf diesem Strome ohne Beispiel in allen Ländern, er ist durch die Eisenbahnen vom Mississippi fortgetrieben. Solange die Produktion beschränkt war, bedienten die Eisenbahnen mit ihren besser gelegenen Bahnhöfen und sonstigen Anlagen den Verkehr schneller und besser als der Fluß. Später verhinderten sie die Wiederbelebung des Verkehrs durch Ermäßigung ihrer Frachten längs des Flusses, sie setzten sich in den Besitz von Flußhäfen und Hafenanlagen in einem Umfang, der den W. unmöglich machte. Heutzutage haben die Eisenbahnen den Wasserverkehr fast vollständig in ihren Händen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ein eigenartiges Feld für den W. sind die 5 großen Binnenseen, der Obere-, Huron-, Michigan-, Erie- und Ontario-See, die untereinander teils unmittelbar, teils durch kurze Flußläufe oder Kanäle verbunden sind und einen Flächeninhalt von 250.370 <hi rendition="#i">km</hi><hi rendition="#sup">2</hi> haben. An ihren Ufern liegen eine Reihe der bedeutendsten Handelsstädte, in der nächsten Nähe des Obere-Sees sind die reichsten Erzlager der Vereinigten Staaten; die fruchtbaren landwirtschaftlichen
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[377/0407] Eisenbahn wieder in W. treten können, sind bisher fehlgeschlagen. Von den 7524 km Kanälen in Großbritannien und Irland sind 1842 km im Besitz von Eisenbahnen, 325 km werden von ihnen betrieben und nur 5330 km, meist nur kleine Strecken, sind von den Eisenbahnen unabhängig, aber ihnen unschädlich. Der Versuch, mit dem Manchesterkanal ein wirksames Verkehrsmittel zum W. gegen die in diesem Teil Englands liegenden Eisenbahnen zu schaffen, ist gescheitert. In den Vereinigten Staaten von Amerika war der W. zwischen den Eisenbahnen in einem Grade freigegeben, wie in keinem andern Lande (vgl. den Artikel Vereinigte Staaten von Amerika, S. 101 dieses Bandes). In den ersten Jahrzehnten des Eisenbahnzeitalters waren die Vorbedingungen für den W. nicht gegeben, da in dem weitausgedehnten Gebiet der Vereinigten Staaten die Eisenbahnen freien Spielraum zur selbständigen Entwicklung hatten. Erst nach Verdichtung des Eisenbahnnetzes trat der W. zwischen den Knotenpunkten und zwischen weiteren, dieselben Gebiete durchschneidenden Eisenbahnen in einer Weise in die Erscheinung wie in keinem andern Lande. Die Eisenbahnen ließen kein Mittel unversucht, den in W. stehenden Bahnen Transporte abzunehmen. Die Folgen waren allerdings starke Tarifherabsetzungen in diesen Gebieten, aber auch eine maßlose Ausbreitung des Refaktienunwesens, Korruption des Eisenbahnpersonals, der Ruin von Handel und Industrie in weiten Gebieten, wie z. B. die Standard Oil Company ihre herrschende Stellung, verbunden mit der Unterdrückung aller anderen Petroleumgesellschaften, durch eine raffiniert geschickte Verwertung des W. der Eisenbahnen sich geschaffen hat, über die sie ihre Transporte leitete. Das Endergebnis dieser Eisenbahnkriege war dann die Vernichtung der schwächeren durch die mächtigen Eisenbahnen, die Schädigung der Aktionäre und der Gläubiger, die Eisenbahnbankerotte. Die Folge dieses freien W. waren durchaus ungesunde wirtschaftliche Zustände, deren Nachteile weit größer waren als die mit den niedrigen Tarifen für einzelne Kreise verbundenen Vorteile. Das Ende der Tarifkriege war dann, wie in England, die Verschmelzung der in W. stehenden Bahnen und der wirtschaftliche und finanzielle Zusammenschluß zu großen Verbänden, den sog. pools (s. Bd. VIII, S. 88), und damit die Einschränkung des W. und Wiedererhöhung der Tarife und die allmähliche Beherrschung des amerikanischen Verkehrswesens durch wenige Gesellschaften und die an ihrer Spitze stehenden Eisenbahnkönige. Gleichwohl ist die Theorie des W. in den Vereinigten Staaten noch nicht aufgegeben. Nachdem die Eisenbahnen während des Weltkrieges über 2 Jahre vom Bunde einheitlich betrieben waren, ist durch das Transportgesetz vom 28. Februar 1920 zwar die Einteilung der Eisenbahnen in eine Anzahl von Gruppen vorgesehen, diese Gruppen sollen aber so gestaltet werden, daß der W. nicht ausgeschlossen ist. Die Verhandlungen über die Gruppenbildung sind noch nicht abgeschlossen. Ein W. der Küstenschiffahrt mit den Eisenbahnen hat in greifbarem Umfang niemals stattgefunden. Auch der W. der Flußschiffahrt hat sich kaum bemerklich gemacht. Hier kommt fast nur der Mississippi in Betracht. In dem unter den Quellen erwähnten Bericht der Untersuchungskommission für die Wasserstraßen heißt es u. a.: „Unsere Flüsse sind besser für die Bedürfnisse der Bevölkerung geeignet als die irgend eines andern Landes. In ihrer Ausdehnung, ihrer Verteilung über das Land, ihrer Schiffbarkeit, in der Leichtigkeit ihrer Benutzung nehmen sie einen ersten Platz ein. Und doch sind die Flüsse in keinem Lande so jammervoll entwickelt, so wenig benutzt und spielen eine so unbedeutende Rolle in dem Wirtschaftsleben der Nation wie in den Vereinigten Staaten. Es ist der zügellose W. der Eisenbahnen gewesen, der die Entwicklung des Verkehrs auf unseren inländischen Wasserstraßen verhindert oder zerstört hat. Der Mississippi ist ein bezeichnendes Beispiel. In früheren Zeiten war der Verkehr auf diesem Strome ohne Beispiel in allen Ländern, er ist durch die Eisenbahnen vom Mississippi fortgetrieben. Solange die Produktion beschränkt war, bedienten die Eisenbahnen mit ihren besser gelegenen Bahnhöfen und sonstigen Anlagen den Verkehr schneller und besser als der Fluß. Später verhinderten sie die Wiederbelebung des Verkehrs durch Ermäßigung ihrer Frachten längs des Flusses, sie setzten sich in den Besitz von Flußhäfen und Hafenanlagen in einem Umfang, der den W. unmöglich machte. Heutzutage haben die Eisenbahnen den Wasserverkehr fast vollständig in ihren Händen.“ Ein eigenartiges Feld für den W. sind die 5 großen Binnenseen, der Obere-, Huron-, Michigan-, Erie- und Ontario-See, die untereinander teils unmittelbar, teils durch kurze Flußläufe oder Kanäle verbunden sind und einen Flächeninhalt von 250.370 km2 haben. An ihren Ufern liegen eine Reihe der bedeutendsten Handelsstädte, in der nächsten Nähe des Obere-Sees sind die reichsten Erzlager der Vereinigten Staaten; die fruchtbaren landwirtschaftlichen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

zeno.org – Contumax GmbH & Co. KG: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-06-17T17:32:41Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Andreas Nolda: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-06-17T17:32:41Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; Hervorhebungen I/J in Fraktur: keine Angabe; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein

Spaltenumbrüche sind nicht markiert. Wiederholungszeichen (") wurden aufgelöst. Komplexe Formeln und Tabellen sind als Grafiken wiedergegeben.

Die Abbildungen im Text stammen von zeno.org – Contumax GmbH & Co. KG.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen10_1923
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen10_1923/407
Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 10. Berlin, Wien, 1923, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen10_1923/407>, abgerufen am 04.07.2024.