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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 7. Berlin, Wien, 1915.

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haben bis 1854 729 Mill. K in Anspruch genommen, und darf wohl anerkannt werden, daß sie sich durchaus nicht höher als beim Privatbahnbau stellten, daß diese Leistung nicht von überraschenden Überschreitungen und ungerechtfertigten Bereicherungen der Unternehmer begleitet war, sowie daß die Bauten in technischer Hinsicht mustergültig ausgeführt waren.

Verkauf der Staatsbahnen. Die Staatsgarantie als leitender Grundsatz der österreichischen Eisenbahnpolitik. Die fortschreitende Entwicklung des Eisenbahnnetzes (1855-1872).

Die im Jahre 1841 eingeleitete staatliche Eisenbahnpolitik, die in ihrer weiteren folgerichtigen Entwicklung zu einem abgeschlossenen System des Baues und Betriebs der Eisenbahnen durch den Staat geführt hatte, erfuhr einen um die Mitte der Fünfzigerjahre beginnenden und bereits im Jahre 1858 vollständig durchgeführten Umschwung. Das den Erwartungen nicht vollkommen entsprechende Erträgnis des Staatsbahnbetriebs, sowie der teils durch die politischen Verhältnisse, teils durch vielfache Anforderungen wirtschaftlicher Art bedingte gesteigerte Geldbedarf des Staates ließ eine Änderung in dem bisherigen Staatsbahnsystem angezeigt erscheinen. Auch war zu erwarten, daß der Ausbau der geplanten Linien durch Heranziehung der Privattätigkeit rascher als auf dem bisherigen Wege zu erreichen sein werde, was wegen der erhöhten Tätigkeit auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens in den Nachbarstaaten besonders wünschenswert erschien.

Als Vorbote des Systemwechsels kann das auf Grund der kais. Entschließung vom 8. September 1854 am 14. September desselben Jahres veröffentlichte neue Konzessionsgesetz, das noch gegenwärtig in Kraft steht, bezeichnet werden. Dieses gewährte den Konzessionswerbern im Vergleich zu den Konzessionsdirektiven vom Jahre 1837 wesentlich günstigere Aussichten, indem es beispielsweise die Konzessionsdauer von 50 auf 90 Jahre ausdehnte und eine Zinsengarantie in Aussicht stellte, wobei aber der Staatsverwaltung hinsichtlich der Anlage, des Betriebs und der Tarifsätze eine größere Einflußnahme blieb. Gleichzeitig wurde auch von der Regierung ein neues, umfassendes Eisenbahnprogramm aufgestellt, bei dessen Verfassung strategische, nationalökonomische und handelspolitische Rücksichten maßgebend waren. Dieses mit den kais. Entschließungen vom 1. Juni und 1. November 1854 genehmigte und am 10. November desselben Jahres veröffentlichte Programm nahm die Durchquerung der Monarchie mittels dreier Hauptlinien von Westen nach Osten und mittels ebenso vieler Linien von Süden nach Norden und die Verbindung der wichtigsten Orte der Monarchie nicht bloß untereinander, sondern auch mit sämtlichen Nachbarstaaten in Aussicht. Der diesem Eisenbahnprogramm zugrunde liegende Plan enthielt 31 Linien, die zum Teil bereits gebaut oder im Bau begriffen waren und zu deren Übernahme die private Betriebsamkeit herangezogen werden sollte.

Im Zusammenhange mit der Erlassung des Eisenbahnkonzessionsgesetzes wurde auf Grund kais. Genehmigung vom 29. Oktober 1854 angekündigt, daß die auf Staatskosten erbauten oder eingelösten und vom Staate betriebenen Eisenbahnen gegen eine entsprechende Ablösungssumme an Privatunternehmungen auf eine gewisse Reihe von Jahren zum Betrieb übergeben werden sollen. Diese Absicht dürfte (vgl. Czedik, Der Weg von und zu den österreichischen Staatsbahnen) keineswegs auf einen Mißerfolg des Staatsbetriebs (Verzinsung des Anlagekapitals 1851 2·4%, 1854 3·1%), vielmehr auf die ungünstige Lage der Staatsfinanzen und vielleicht auch mit auf die Erwägung zurückzuführen sein, daß die Übertragung der Staatsbahnen an große Gesellschaften die Möglichkeit bieten könnte, diesen fortan die Ausgestaltung des Eisenbahnnetzes in ihrem Bereiche aufzuerlegen und auf solche Art den Staatsschatz zu entlasten.

Die französischen Geldkräfte, die sich durch die für neue Bahnen angebotenen Zugeständnisse veranlaßt sahen, ihre Kapitalien für Bahnbauten zur Verfügung zu stellen, verbanden ihre Konzessionswerbungen mit Anträgen auf käufliche Erwerbungen der Staatsbahnlinien, denen die Regierung willfahrte. Der Verkauf der Staatsbahnlinien bildet wohl eines der traurigsten Kapitel der österreichischen Eisenbahnpolitik; hat sich doch hierbei für den Staat gegenüber den Herstellungs- und Einlösungskosten ein Verlust von mehreren 100 Mill. K ergeben, ohne daß die Hoffnungen sich verwirklicht hätten, die man an den Verkauf hinsichtlich des Ausbaus des Eisenbahnnetzes auf Kosten der Gesellschaften knüpfte, an die die Staatsbahnlinien übergingen.

Die Maßnahmen der Regierung zu gunsten des Baues von Privatbahnen, vor allem die Gewährung der Zinsgarantie, die zunächst nur in vereinzelten Fällen, später aber in immer größerem Maße angewendet wurde, bewirkten einen großen Aufschwung des Eisenbahnwesens der Monarchie. Binnen wenigen Jahren bildete sich unter starker Beteiligung ausländischen Kapitals eine Anzahl neuer Gesellschaften, die teils die bisherigen Staatsbahnen übernahmen und zum Ausbau brachten, teils neue Eisenbahnlinien ausführten.

haben bis 1854 729 Mill. K in Anspruch genommen, und darf wohl anerkannt werden, daß sie sich durchaus nicht höher als beim Privatbahnbau stellten, daß diese Leistung nicht von überraschenden Überschreitungen und ungerechtfertigten Bereicherungen der Unternehmer begleitet war, sowie daß die Bauten in technischer Hinsicht mustergültig ausgeführt waren.

Verkauf der Staatsbahnen. Die Staatsgarantie als leitender Grundsatz der österreichischen Eisenbahnpolitik. Die fortschreitende Entwicklung des Eisenbahnnetzes (1855–1872).

Die im Jahre 1841 eingeleitete staatliche Eisenbahnpolitik, die in ihrer weiteren folgerichtigen Entwicklung zu einem abgeschlossenen System des Baues und Betriebs der Eisenbahnen durch den Staat geführt hatte, erfuhr einen um die Mitte der Fünfzigerjahre beginnenden und bereits im Jahre 1858 vollständig durchgeführten Umschwung. Das den Erwartungen nicht vollkommen entsprechende Erträgnis des Staatsbahnbetriebs, sowie der teils durch die politischen Verhältnisse, teils durch vielfache Anforderungen wirtschaftlicher Art bedingte gesteigerte Geldbedarf des Staates ließ eine Änderung in dem bisherigen Staatsbahnsystem angezeigt erscheinen. Auch war zu erwarten, daß der Ausbau der geplanten Linien durch Heranziehung der Privattätigkeit rascher als auf dem bisherigen Wege zu erreichen sein werde, was wegen der erhöhten Tätigkeit auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens in den Nachbarstaaten besonders wünschenswert erschien.

Als Vorbote des Systemwechsels kann das auf Grund der kais. Entschließung vom 8. September 1854 am 14. September desselben Jahres veröffentlichte neue Konzessionsgesetz, das noch gegenwärtig in Kraft steht, bezeichnet werden. Dieses gewährte den Konzessionswerbern im Vergleich zu den Konzessionsdirektiven vom Jahre 1837 wesentlich günstigere Aussichten, indem es beispielsweise die Konzessionsdauer von 50 auf 90 Jahre ausdehnte und eine Zinsengarantie in Aussicht stellte, wobei aber der Staatsverwaltung hinsichtlich der Anlage, des Betriebs und der Tarifsätze eine größere Einflußnahme blieb. Gleichzeitig wurde auch von der Regierung ein neues, umfassendes Eisenbahnprogramm aufgestellt, bei dessen Verfassung strategische, nationalökonomische und handelspolitische Rücksichten maßgebend waren. Dieses mit den kais. Entschließungen vom 1. Juni und 1. November 1854 genehmigte und am 10. November desselben Jahres veröffentlichte Programm nahm die Durchquerung der Monarchie mittels dreier Hauptlinien von Westen nach Osten und mittels ebenso vieler Linien von Süden nach Norden und die Verbindung der wichtigsten Orte der Monarchie nicht bloß untereinander, sondern auch mit sämtlichen Nachbarstaaten in Aussicht. Der diesem Eisenbahnprogramm zugrunde liegende Plan enthielt 31 Linien, die zum Teil bereits gebaut oder im Bau begriffen waren und zu deren Übernahme die private Betriebsamkeit herangezogen werden sollte.

Im Zusammenhange mit der Erlassung des Eisenbahnkonzessionsgesetzes wurde auf Grund kais. Genehmigung vom 29. Oktober 1854 angekündigt, daß die auf Staatskosten erbauten oder eingelösten und vom Staate betriebenen Eisenbahnen gegen eine entsprechende Ablösungssumme an Privatunternehmungen auf eine gewisse Reihe von Jahren zum Betrieb übergeben werden sollen. Diese Absicht dürfte (vgl. Czedik, Der Weg von und zu den österreichischen Staatsbahnen) keineswegs auf einen Mißerfolg des Staatsbetriebs (Verzinsung des Anlagekapitals 1851 2·4%, 1854 3·1%), vielmehr auf die ungünstige Lage der Staatsfinanzen und vielleicht auch mit auf die Erwägung zurückzuführen sein, daß die Übertragung der Staatsbahnen an große Gesellschaften die Möglichkeit bieten könnte, diesen fortan die Ausgestaltung des Eisenbahnnetzes in ihrem Bereiche aufzuerlegen und auf solche Art den Staatsschatz zu entlasten.

Die französischen Geldkräfte, die sich durch die für neue Bahnen angebotenen Zugeständnisse veranlaßt sahen, ihre Kapitalien für Bahnbauten zur Verfügung zu stellen, verbanden ihre Konzessionswerbungen mit Anträgen auf käufliche Erwerbungen der Staatsbahnlinien, denen die Regierung willfahrte. Der Verkauf der Staatsbahnlinien bildet wohl eines der traurigsten Kapitel der österreichischen Eisenbahnpolitik; hat sich doch hierbei für den Staat gegenüber den Herstellungs- und Einlösungskosten ein Verlust von mehreren 100 Mill. K ergeben, ohne daß die Hoffnungen sich verwirklicht hätten, die man an den Verkauf hinsichtlich des Ausbaus des Eisenbahnnetzes auf Kosten der Gesellschaften knüpfte, an die die Staatsbahnlinien übergingen.

Die Maßnahmen der Regierung zu gunsten des Baues von Privatbahnen, vor allem die Gewährung der Zinsgarantie, die zunächst nur in vereinzelten Fällen, später aber in immer größerem Maße angewendet wurde, bewirkten einen großen Aufschwung des Eisenbahnwesens der Monarchie. Binnen wenigen Jahren bildete sich unter starker Beteiligung ausländischen Kapitals eine Anzahl neuer Gesellschaften, die teils die bisherigen Staatsbahnen übernahmen und zum Ausbau brachten, teils neue Eisenbahnlinien ausführten.

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[428/0445] haben bis 1854 729 Mill. K in Anspruch genommen, und darf wohl anerkannt werden, daß sie sich durchaus nicht höher als beim Privatbahnbau stellten, daß diese Leistung nicht von überraschenden Überschreitungen und ungerechtfertigten Bereicherungen der Unternehmer begleitet war, sowie daß die Bauten in technischer Hinsicht mustergültig ausgeführt waren. Verkauf der Staatsbahnen. Die Staatsgarantie als leitender Grundsatz der österreichischen Eisenbahnpolitik. Die fortschreitende Entwicklung des Eisenbahnnetzes (1855–1872). Die im Jahre 1841 eingeleitete staatliche Eisenbahnpolitik, die in ihrer weiteren folgerichtigen Entwicklung zu einem abgeschlossenen System des Baues und Betriebs der Eisenbahnen durch den Staat geführt hatte, erfuhr einen um die Mitte der Fünfzigerjahre beginnenden und bereits im Jahre 1858 vollständig durchgeführten Umschwung. Das den Erwartungen nicht vollkommen entsprechende Erträgnis des Staatsbahnbetriebs, sowie der teils durch die politischen Verhältnisse, teils durch vielfache Anforderungen wirtschaftlicher Art bedingte gesteigerte Geldbedarf des Staates ließ eine Änderung in dem bisherigen Staatsbahnsystem angezeigt erscheinen. Auch war zu erwarten, daß der Ausbau der geplanten Linien durch Heranziehung der Privattätigkeit rascher als auf dem bisherigen Wege zu erreichen sein werde, was wegen der erhöhten Tätigkeit auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens in den Nachbarstaaten besonders wünschenswert erschien. Als Vorbote des Systemwechsels kann das auf Grund der kais. Entschließung vom 8. September 1854 am 14. September desselben Jahres veröffentlichte neue Konzessionsgesetz, das noch gegenwärtig in Kraft steht, bezeichnet werden. Dieses gewährte den Konzessionswerbern im Vergleich zu den Konzessionsdirektiven vom Jahre 1837 wesentlich günstigere Aussichten, indem es beispielsweise die Konzessionsdauer von 50 auf 90 Jahre ausdehnte und eine Zinsengarantie in Aussicht stellte, wobei aber der Staatsverwaltung hinsichtlich der Anlage, des Betriebs und der Tarifsätze eine größere Einflußnahme blieb. Gleichzeitig wurde auch von der Regierung ein neues, umfassendes Eisenbahnprogramm aufgestellt, bei dessen Verfassung strategische, nationalökonomische und handelspolitische Rücksichten maßgebend waren. Dieses mit den kais. Entschließungen vom 1. Juni und 1. November 1854 genehmigte und am 10. November desselben Jahres veröffentlichte Programm nahm die Durchquerung der Monarchie mittels dreier Hauptlinien von Westen nach Osten und mittels ebenso vieler Linien von Süden nach Norden und die Verbindung der wichtigsten Orte der Monarchie nicht bloß untereinander, sondern auch mit sämtlichen Nachbarstaaten in Aussicht. Der diesem Eisenbahnprogramm zugrunde liegende Plan enthielt 31 Linien, die zum Teil bereits gebaut oder im Bau begriffen waren und zu deren Übernahme die private Betriebsamkeit herangezogen werden sollte. Im Zusammenhange mit der Erlassung des Eisenbahnkonzessionsgesetzes wurde auf Grund kais. Genehmigung vom 29. Oktober 1854 angekündigt, daß die auf Staatskosten erbauten oder eingelösten und vom Staate betriebenen Eisenbahnen gegen eine entsprechende Ablösungssumme an Privatunternehmungen auf eine gewisse Reihe von Jahren zum Betrieb übergeben werden sollen. Diese Absicht dürfte (vgl. Czedik, Der Weg von und zu den österreichischen Staatsbahnen) keineswegs auf einen Mißerfolg des Staatsbetriebs (Verzinsung des Anlagekapitals 1851 2·4%, 1854 3·1%), vielmehr auf die ungünstige Lage der Staatsfinanzen und vielleicht auch mit auf die Erwägung zurückzuführen sein, daß die Übertragung der Staatsbahnen an große Gesellschaften die Möglichkeit bieten könnte, diesen fortan die Ausgestaltung des Eisenbahnnetzes in ihrem Bereiche aufzuerlegen und auf solche Art den Staatsschatz zu entlasten. Die französischen Geldkräfte, die sich durch die für neue Bahnen angebotenen Zugeständnisse veranlaßt sahen, ihre Kapitalien für Bahnbauten zur Verfügung zu stellen, verbanden ihre Konzessionswerbungen mit Anträgen auf käufliche Erwerbungen der Staatsbahnlinien, denen die Regierung willfahrte. Der Verkauf der Staatsbahnlinien bildet wohl eines der traurigsten Kapitel der österreichischen Eisenbahnpolitik; hat sich doch hierbei für den Staat gegenüber den Herstellungs- und Einlösungskosten ein Verlust von mehreren 100 Mill. K ergeben, ohne daß die Hoffnungen sich verwirklicht hätten, die man an den Verkauf hinsichtlich des Ausbaus des Eisenbahnnetzes auf Kosten der Gesellschaften knüpfte, an die die Staatsbahnlinien übergingen. Die Maßnahmen der Regierung zu gunsten des Baues von Privatbahnen, vor allem die Gewährung der Zinsgarantie, die zunächst nur in vereinzelten Fällen, später aber in immer größerem Maße angewendet wurde, bewirkten einen großen Aufschwung des Eisenbahnwesens der Monarchie. Binnen wenigen Jahren bildete sich unter starker Beteiligung ausländischen Kapitals eine Anzahl neuer Gesellschaften, die teils die bisherigen Staatsbahnen übernahmen und zum Ausbau brachten, teils neue Eisenbahnlinien ausführten.

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 7. Berlin, Wien, 1915, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen07_1915/445>, abgerufen am 05.07.2024.