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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, Wien, 1912.

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Kronprinz-Rudolf-Bahn, der Vorarlberger Bahn, der Albrechtbahn, der ung.-gal. Bahn, des österreichischen Teiles der Lemberg-Czernowitz-Jassy-Bahn u. a.

Gütliche Übereinkommen wegen Betriebsübernahme wurden beispielsweise geschlossen mit den Verwaltungen der später verstaatlichten Kaiserin Elisabeth-Westbahn, der Prag-Duxer und Dux-Bodenbacher Bahn.

In Belgien sind in zahlreichen Fällen Privatbahnen auf Grund abgeschlossener B. vom Staate in Betrieb genommen worden.

In Rußland ist eine besondere Kommission zur Ausarbeitung eines Planes für die Übernahme zahlungsunfähiger Bahnen in den Staatsbetrieb eingesetzt worden, und es erfolgten mehrfache Betriebsübernahmen dieser Art.

In Rumänien erfolgte gleichfalls die Betriebsübernahme der Lemberg-Czernowitz-Jassy-Eisenbahn durch den Staat.

Als Beispiel der Betriebsübernahme einer Privatbahn durch einen fremden Staat wird die 1872 auf Grund des Staatsvertrages vom 11. Juni 1872 zwischen dem Deutschen Reiche und der luxemburgischen Regierung erfolgte Betriebsübernahme der 170 km langen Wilhelm-Luxemburger Bahn durch die elsaß-lothringischen Reichseisenbahnen angeführt.

4. Betriebsüberlassungen größerer Staatsbahngebiete an Privatgesellschaften in verschiedenem Umfang findet man beinahe in allen Ländern. Solche Betriebsüberlassungen erscheinen in der Geschichte der Eisenbahnen entweder als eine Finanzoperation in bedrängten Zeiten oder als besonderes Betriebssystem.

Bei Betriebsüberlassungen als Finanzoperation sind nicht so sehr Erwägungen sachlicher Art und Erfordernisse der allgemeinen Volkswirtschaft ausschlaggebend, als vielmehr die augenblickliche, meistens sehr bedrängte Finanzlage des Staates, so daß man mit derartigen Betriebsüberlassungen keine guten Erfahrungen gemacht hat. In der Geschichte der Eisenbahnen findet man eine ganze Menge derartiger Fälle.

Eine Verpachtung von Staatsbahnen an Privatgesellschaften bildete die in der Mitte der Fünfzigerjahre des vorigen Jahrhunderts erfolgte Betriebsüberlassung der österr. Staatsbahnen an neugebildete Gesellschaften auf 90 Jahre, u. zw. nicht gegen einen jährlichen Pachtzins, sondern gegen die in wenigen Raten zu entrichtende Zahlung eines größeren Kapitals.

Als Betriebssystem findet man die Betriebsüberlassung von Staatsbahnen an Privatgesellschaften in den Niederlanden und in Italien. Die niederländischen Staatseisenbahnen mit einem Netz von über 1500 km sind an die Gesellschaft für den Betrieb von niederländischen Staatseisenbahnen verpachtet, die diese neben anderen gepachteten und eigenen Linien betreiben. Die italienischen Staatsbahnen wurden 1885 an drei große Privatgesellschaften verpachtet. Der Erfolg war aber kein günstiger. In Italien hat der Staat durch Gesetz vom 22. April 1905 den Betrieb selbst übernommen.

Die Geschichte des Eisenbahnwesens lehrt, daß die Betriebsüberlassung von Staatsbahnen an Private für die Allgemeinheit nicht als vorteilhaft bezeichnet werden kann. Soll eine weitgehende Beeinträchtigung von wesentlichen allgemeinen, finanziellen und wirtschaftlichen Interessen nicht erfolgen, so müssen folgende nur schwer zu erfüllende Bedingungen gestellt werden:

a) ausreichende Staatskontrolle über Betrieb und Tarifwesen, strenge Kontrolle des Zustandes der Bahn samt Zubehör;

b) nicht allzulange Pachttermine und jedenfalls Vorbehalt der Kündigung des Staates auch innerhalb der Vertragsdauer;

c) Festsetzung des Pachtzinses auf einen festen Geldbetrag oder einen Anteil am Bruttoertrage oder am Reingewinn, den der Pächter über einen bestimmten Mindestbetrag bezieht.

III. Was den Inhalt des B. betrifft, so wird zunächst daran festzuhalten sein, ob die Betriebsüberlassungen auf eigene Rechnung des Betriebsunternehmers oder auf Rechnung des Bahneigentümers erfolgen soll. Sodann wird zu beachten sein, ob es sich um bereits im Betrieb stehende oder erst zu eröffnende Eisenbahnen handelt. Weiter werden die Betriebsüberlassungen der verschiedenen oben angedeuteten Gruppen verschiedenartige B. zur Grundlage haben.

In vielen Fällen, namentlich bei Kleinbahnen, wird der Vertrag über den Bau einer Bahnlinie mit einem Vertrag über ihren Betrieb durch den Betriebsunternehmer verbunden sein, wie dies namentlich in Deutschland häufig vorkommt.

Im allgemeinen werden die B. zu regeln haben:

a) Der Vertragsgegenstand. Danach wird in der Regel festzusetzen sein, daß die ganze Bahnstrecke in gutem und betriebsfähigem Zustand und mit allen für den regelmäßigen und sicheren Betrieb notwendigen Ausrüstungsgegenständen samt allen für die Verwaltung notwendigen Plänen, Verträgen etc. zu übergeben ist, so daß der Betriebsunternehmer nur das Personal und die Verbrauchsgegenstände

Kronprinz-Rudolf-Bahn, der Vorarlberger Bahn, der Albrechtbahn, der ung.-gal. Bahn, des österreichischen Teiles der Lemberg-Czernowitz-Jassy-Bahn u. a.

Gütliche Übereinkommen wegen Betriebsübernahme wurden beispielsweise geschlossen mit den Verwaltungen der später verstaatlichten Kaiserin Elisabeth-Westbahn, der Prag-Duxer und Dux-Bodenbacher Bahn.

In Belgien sind in zahlreichen Fällen Privatbahnen auf Grund abgeschlossener B. vom Staate in Betrieb genommen worden.

In Rußland ist eine besondere Kommission zur Ausarbeitung eines Planes für die Übernahme zahlungsunfähiger Bahnen in den Staatsbetrieb eingesetzt worden, und es erfolgten mehrfache Betriebsübernahmen dieser Art.

In Rumänien erfolgte gleichfalls die Betriebsübernahme der Lemberg-Czernowitz-Jassy-Eisenbahn durch den Staat.

Als Beispiel der Betriebsübernahme einer Privatbahn durch einen fremden Staat wird die 1872 auf Grund des Staatsvertrages vom 11. Juni 1872 zwischen dem Deutschen Reiche und der luxemburgischen Regierung erfolgte Betriebsübernahme der 170 km langen Wilhelm-Luxemburger Bahn durch die elsaß-lothringischen Reichseisenbahnen angeführt.

4. Betriebsüberlassungen größerer Staatsbahngebiete an Privatgesellschaften in verschiedenem Umfang findet man beinahe in allen Ländern. Solche Betriebsüberlassungen erscheinen in der Geschichte der Eisenbahnen entweder als eine Finanzoperation in bedrängten Zeiten oder als besonderes Betriebssystem.

Bei Betriebsüberlassungen als Finanzoperation sind nicht so sehr Erwägungen sachlicher Art und Erfordernisse der allgemeinen Volkswirtschaft ausschlaggebend, als vielmehr die augenblickliche, meistens sehr bedrängte Finanzlage des Staates, so daß man mit derartigen Betriebsüberlassungen keine guten Erfahrungen gemacht hat. In der Geschichte der Eisenbahnen findet man eine ganze Menge derartiger Fälle.

Eine Verpachtung von Staatsbahnen an Privatgesellschaften bildete die in der Mitte der Fünfzigerjahre des vorigen Jahrhunderts erfolgte Betriebsüberlassung der österr. Staatsbahnen an neugebildete Gesellschaften auf 90 Jahre, u. zw. nicht gegen einen jährlichen Pachtzins, sondern gegen die in wenigen Raten zu entrichtende Zahlung eines größeren Kapitals.

Als Betriebssystem findet man die Betriebsüberlassung von Staatsbahnen an Privatgesellschaften in den Niederlanden und in Italien. Die niederländischen Staatseisenbahnen mit einem Netz von über 1500 km sind an die Gesellschaft für den Betrieb von niederländischen Staatseisenbahnen verpachtet, die diese neben anderen gepachteten und eigenen Linien betreiben. Die italienischen Staatsbahnen wurden 1885 an drei große Privatgesellschaften verpachtet. Der Erfolg war aber kein günstiger. In Italien hat der Staat durch Gesetz vom 22. April 1905 den Betrieb selbst übernommen.

Die Geschichte des Eisenbahnwesens lehrt, daß die Betriebsüberlassung von Staatsbahnen an Private für die Allgemeinheit nicht als vorteilhaft bezeichnet werden kann. Soll eine weitgehende Beeinträchtigung von wesentlichen allgemeinen, finanziellen und wirtschaftlichen Interessen nicht erfolgen, so müssen folgende nur schwer zu erfüllende Bedingungen gestellt werden:

a) ausreichende Staatskontrolle über Betrieb und Tarifwesen, strenge Kontrolle des Zustandes der Bahn samt Zubehör;

b) nicht allzulange Pachttermine und jedenfalls Vorbehalt der Kündigung des Staates auch innerhalb der Vertragsdauer;

c) Festsetzung des Pachtzinses auf einen festen Geldbetrag oder einen Anteil am Bruttoertrage oder am Reingewinn, den der Pächter über einen bestimmten Mindestbetrag bezieht.

III. Was den Inhalt des B. betrifft, so wird zunächst daran festzuhalten sein, ob die Betriebsüberlassungen auf eigene Rechnung des Betriebsunternehmers oder auf Rechnung des Bahneigentümers erfolgen soll. Sodann wird zu beachten sein, ob es sich um bereits im Betrieb stehende oder erst zu eröffnende Eisenbahnen handelt. Weiter werden die Betriebsüberlassungen der verschiedenen oben angedeuteten Gruppen verschiedenartige B. zur Grundlage haben.

In vielen Fällen, namentlich bei Kleinbahnen, wird der Vertrag über den Bau einer Bahnlinie mit einem Vertrag über ihren Betrieb durch den Betriebsunternehmer verbunden sein, wie dies namentlich in Deutschland häufig vorkommt.

Im allgemeinen werden die B. zu regeln haben:

a) Der Vertragsgegenstand. Danach wird in der Regel festzusetzen sein, daß die ganze Bahnstrecke in gutem und betriebsfähigem Zustand und mit allen für den regelmäßigen und sicheren Betrieb notwendigen Ausrüstungsgegenständen samt allen für die Verwaltung notwendigen Plänen, Verträgen etc. zu übergeben ist, so daß der Betriebsunternehmer nur das Personal und die Verbrauchsgegenstände

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[348/0358] Kronprinz-Rudolf-Bahn, der Vorarlberger Bahn, der Albrechtbahn, der ung.-gal. Bahn, des österreichischen Teiles der Lemberg-Czernowitz-Jassy-Bahn u. a. Gütliche Übereinkommen wegen Betriebsübernahme wurden beispielsweise geschlossen mit den Verwaltungen der später verstaatlichten Kaiserin Elisabeth-Westbahn, der Prag-Duxer und Dux-Bodenbacher Bahn. In Belgien sind in zahlreichen Fällen Privatbahnen auf Grund abgeschlossener B. vom Staate in Betrieb genommen worden. In Rußland ist eine besondere Kommission zur Ausarbeitung eines Planes für die Übernahme zahlungsunfähiger Bahnen in den Staatsbetrieb eingesetzt worden, und es erfolgten mehrfache Betriebsübernahmen dieser Art. In Rumänien erfolgte gleichfalls die Betriebsübernahme der Lemberg-Czernowitz-Jassy-Eisenbahn durch den Staat. Als Beispiel der Betriebsübernahme einer Privatbahn durch einen fremden Staat wird die 1872 auf Grund des Staatsvertrages vom 11. Juni 1872 zwischen dem Deutschen Reiche und der luxemburgischen Regierung erfolgte Betriebsübernahme der 170 km langen Wilhelm-Luxemburger Bahn durch die elsaß-lothringischen Reichseisenbahnen angeführt. 4. Betriebsüberlassungen größerer Staatsbahngebiete an Privatgesellschaften in verschiedenem Umfang findet man beinahe in allen Ländern. Solche Betriebsüberlassungen erscheinen in der Geschichte der Eisenbahnen entweder als eine Finanzoperation in bedrängten Zeiten oder als besonderes Betriebssystem. Bei Betriebsüberlassungen als Finanzoperation sind nicht so sehr Erwägungen sachlicher Art und Erfordernisse der allgemeinen Volkswirtschaft ausschlaggebend, als vielmehr die augenblickliche, meistens sehr bedrängte Finanzlage des Staates, so daß man mit derartigen Betriebsüberlassungen keine guten Erfahrungen gemacht hat. In der Geschichte der Eisenbahnen findet man eine ganze Menge derartiger Fälle. Eine Verpachtung von Staatsbahnen an Privatgesellschaften bildete die in der Mitte der Fünfzigerjahre des vorigen Jahrhunderts erfolgte Betriebsüberlassung der österr. Staatsbahnen an neugebildete Gesellschaften auf 90 Jahre, u. zw. nicht gegen einen jährlichen Pachtzins, sondern gegen die in wenigen Raten zu entrichtende Zahlung eines größeren Kapitals. Als Betriebssystem findet man die Betriebsüberlassung von Staatsbahnen an Privatgesellschaften in den Niederlanden und in Italien. Die niederländischen Staatseisenbahnen mit einem Netz von über 1500 km sind an die Gesellschaft für den Betrieb von niederländischen Staatseisenbahnen verpachtet, die diese neben anderen gepachteten und eigenen Linien betreiben. Die italienischen Staatsbahnen wurden 1885 an drei große Privatgesellschaften verpachtet. Der Erfolg war aber kein günstiger. In Italien hat der Staat durch Gesetz vom 22. April 1905 den Betrieb selbst übernommen. Die Geschichte des Eisenbahnwesens lehrt, daß die Betriebsüberlassung von Staatsbahnen an Private für die Allgemeinheit nicht als vorteilhaft bezeichnet werden kann. Soll eine weitgehende Beeinträchtigung von wesentlichen allgemeinen, finanziellen und wirtschaftlichen Interessen nicht erfolgen, so müssen folgende nur schwer zu erfüllende Bedingungen gestellt werden: a) ausreichende Staatskontrolle über Betrieb und Tarifwesen, strenge Kontrolle des Zustandes der Bahn samt Zubehör; b) nicht allzulange Pachttermine und jedenfalls Vorbehalt der Kündigung des Staates auch innerhalb der Vertragsdauer; c) Festsetzung des Pachtzinses auf einen festen Geldbetrag oder einen Anteil am Bruttoertrage oder am Reingewinn, den der Pächter über einen bestimmten Mindestbetrag bezieht. III. Was den Inhalt des B. betrifft, so wird zunächst daran festzuhalten sein, ob die Betriebsüberlassungen auf eigene Rechnung des Betriebsunternehmers oder auf Rechnung des Bahneigentümers erfolgen soll. Sodann wird zu beachten sein, ob es sich um bereits im Betrieb stehende oder erst zu eröffnende Eisenbahnen handelt. Weiter werden die Betriebsüberlassungen der verschiedenen oben angedeuteten Gruppen verschiedenartige B. zur Grundlage haben. In vielen Fällen, namentlich bei Kleinbahnen, wird der Vertrag über den Bau einer Bahnlinie mit einem Vertrag über ihren Betrieb durch den Betriebsunternehmer verbunden sein, wie dies namentlich in Deutschland häufig vorkommt. Im allgemeinen werden die B. zu regeln haben: a) Der Vertragsgegenstand. Danach wird in der Regel festzusetzen sein, daß die ganze Bahnstrecke in gutem und betriebsfähigem Zustand und mit allen für den regelmäßigen und sicheren Betrieb notwendigen Ausrüstungsgegenständen samt allen für die Verwaltung notwendigen Plänen, Verträgen etc. zu übergeben ist, so daß der Betriebsunternehmer nur das Personal und die Verbrauchsgegenstände

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, Wien, 1912, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen02_1912/358>, abgerufen am 16.07.2024.