Wenn also die gewaltige Umwälzung, welche sich durch die Tragödie mit den alten Sagenstoffen sowohl solchen, die bereits in Epos und Lyrik poetisch verarbeitet waren, wie solchen, die jetzt zum ersten Mal von der Poesie aus der Volkstradition auf- genommen wurden, vollzog, keinen sofortigen merkbaren Einfluss auf die Kunst ausübte, so war derselbe, als er später zum Durch- bruch kam, um so gewaltiger und nachhaltiger, ja man kann sagen ein für alle Zeiten massgebender. Wie überhaupt, so spiegelt auch hierin die Kunst die Wandlung der Volksvorstellung wieder; denn auch für diese hat eben das Drama die endgültige, von jetzt an allein bekannte und populäre Sagenform geschaffen. Diese immer ausschliesslichere Herrschaft des Dramas über die Kunst geht nun Hand in Hand mit dem Aufblühen der Tafelmalerei, und gerade bei den Vertreteren dieser Richtung, den Meistern klein- asiatisch-ionischer Abkunft aus dem Anfang des vierten Jahrhunderts, lässt sich dieser Einfluss am frühesten constatieren. Da malt Parrhasios die Heilung des Telephos, den verlassenen Philoktet auf Lemnos, den erheuchelten Wahnsinn des Odysseus, Timanthes von Kythnos das Opfer der Iphigeneia, lauter Scenen, die, ob- gleich im Epos ausgebildet, doch der archaischen Kunst durchaus fremd sind, und erst jetzt, da ihnen die dramatische Behandlung neuen Reiz gegeben hat, auch in die Kunst eindringen. Und wenn derselbe Timanthes den schlafenden Kyklopen darstellt und die Satyrn, die mit einem Thyrsos die Grösse seines Daumens messen, so ist doch wahrlich unverkennbar, dass die eigentliche Veranlassung zu diesem launigen Einfall der Kyklops des Euripides ist. Nir- gend sonst kommt Polyphem mit Satyrn zusammen, und der Künst- ler würde, ohne den Vorgang der Bühne, schwerlich zu dieser Er- findung gelangt sein und gewiss nicht auf Verständnis bei dem Publikum haben rechnen können, da ihm das motivierende Wort versagt ist. Allein auch jetzt liegt natürlich der antiken Kunst nichts ferner, als eine genaue Illustration des Dramas oder eine direkte Wiedergabe der Bühne; auch jetzt wird der Zusammen- hang zwischen Bild und Lied vermittelt durch die herrschende Volksvorstellung, richtiger vielleicht die Vorstellung der Gebil- deten, wenn sich auch die Künstler jetzt in einzelnen Fällen der
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Wenn also die gewaltige Umwälzung, welche sich durch die Tragödie mit den alten Sagenstoffen sowohl solchen, die bereits in Epos und Lyrik poetisch verarbeitet waren, wie solchen, die jetzt zum ersten Mal von der Poesie aus der Volkstradition auf- genommen wurden, vollzog, keinen sofortigen merkbaren Einfluſs auf die Kunst ausübte, so war derselbe, als er später zum Durch- bruch kam, um so gewaltiger und nachhaltiger, ja man kann sagen ein für alle Zeiten maſsgebender. Wie überhaupt, so spiegelt auch hierin die Kunst die Wandlung der Volksvorstellung wieder; denn auch für diese hat eben das Drama die endgültige, von jetzt an allein bekannte und populäre Sagenform geschaffen. Diese immer ausschlieſslichere Herrschaft des Dramas über die Kunst geht nun Hand in Hand mit dem Aufblühen der Tafelmalerei, und gerade bei den Vertreteren dieser Richtung, den Meistern klein- asiatisch-ionischer Abkunft aus dem Anfang des vierten Jahrhunderts, läſst sich dieser Einfluſs am frühesten constatieren. Da malt Parrhasios die Heilung des Telephos, den verlassenen Philoktet auf Lemnos, den erheuchelten Wahnsinn des Odysseus, Timanthes von Kythnos das Opfer der Iphigeneia, lauter Scenen, die, ob- gleich im Epos ausgebildet, doch der archaischen Kunst durchaus fremd sind, und erst jetzt, da ihnen die dramatische Behandlung neuen Reiz gegeben hat, auch in die Kunst eindringen. Und wenn derselbe Timanthes den schlafenden Kyklopen darstellt und die Satyrn, die mit einem Thyrsos die Gröſse seines Daumens messen, so ist doch wahrlich unverkennbar, daſs die eigentliche Veranlassung zu diesem launigen Einfall der Kyklops des Euripides ist. Nir- gend sonst kommt Polyphem mit Satyrn zusammen, und der Künst- ler würde, ohne den Vorgang der Bühne, schwerlich zu dieser Er- findung gelangt sein und gewiſs nicht auf Verständnis bei dem Publikum haben rechnen können, da ihm das motivierende Wort versagt ist. Allein auch jetzt liegt natürlich der antiken Kunst nichts ferner, als eine genaue Illustration des Dramas oder eine direkte Wiedergabe der Bühne; auch jetzt wird der Zusammen- hang zwischen Bild und Lied vermittelt durch die herrschende Volksvorstellung, richtiger vielleicht die Vorstellung der Gebil- deten, wenn sich auch die Künstler jetzt in einzelnen Fällen der
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Wenn also die gewaltige Umwälzung, welche sich durch die
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in Epos und Lyrik poetisch verarbeitet waren, wie solchen, die
jetzt zum ersten Mal von der Poesie aus der Volkstradition auf-
genommen wurden, vollzog, keinen sofortigen merkbaren Einfluſs
auf die Kunst ausübte, so war derselbe, als er später zum Durch-
bruch kam, um so gewaltiger und nachhaltiger, ja man kann sagen
ein für alle Zeiten maſsgebender. Wie überhaupt, so spiegelt
auch hierin die Kunst die Wandlung der Volksvorstellung wieder;
denn auch für diese hat eben das Drama die endgültige, von
jetzt an allein bekannte und populäre Sagenform geschaffen. Diese
immer ausschlieſslichere Herrschaft des Dramas über die Kunst
geht nun Hand in Hand mit dem Aufblühen der Tafelmalerei, und
gerade bei den Vertreteren dieser Richtung, den Meistern klein-
asiatisch-ionischer Abkunft aus dem Anfang des vierten Jahrhunderts,
läſst sich dieser Einfluſs am frühesten constatieren. Da malt
Parrhasios die Heilung des Telephos, den verlassenen Philoktet auf
Lemnos, den erheuchelten Wahnsinn des Odysseus, Timanthes
von Kythnos das Opfer der Iphigeneia, lauter Scenen, die, ob-
gleich im Epos ausgebildet, doch der archaischen Kunst durchaus
fremd sind, und erst jetzt, da ihnen die dramatische Behandlung
neuen Reiz gegeben hat, auch in die Kunst eindringen. Und wenn
derselbe Timanthes den schlafenden Kyklopen darstellt und die
Satyrn, die mit einem Thyrsos die Gröſse seines Daumens messen,
so ist doch wahrlich unverkennbar, daſs die eigentliche Veranlassung
zu diesem launigen Einfall der Kyklops des Euripides ist. Nir-
gend sonst kommt Polyphem mit Satyrn zusammen, und der Künst-
ler würde, ohne den Vorgang der Bühne, schwerlich zu dieser Er-
findung gelangt sein und gewiſs nicht auf Verständnis bei dem
Publikum haben rechnen können, da ihm das motivierende Wort
versagt ist. Allein auch jetzt liegt natürlich der antiken Kunst
nichts ferner, als eine genaue Illustration des Dramas oder eine
direkte Wiedergabe der Bühne; auch jetzt wird der Zusammen-
hang zwischen Bild und Lied vermittelt durch die herrschende
Volksvorstellung, richtiger vielleicht die Vorstellung der Gebil-
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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/49>, abgerufen am 27.11.2024.
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