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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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haben; auch wäre die Absicht, die er mit dieser Erweiterung
verband, absolut unerfindlich. Die spätere Poesie scheint die
Gestalt des Oiax noch mehr ausgebildet und ihn namentlich in
ein nahes Verhältnis zu der Tochter des Aigisthos Erigone ge-
setzt zu haben 33). Auf einem römischen Sarkophag, der von
den übrigen Orestessarkophagen unabhängig eine eigene Klasse
repräsentiert, eilt Erigone dem Aigisthos, Oiax der Klytai-
mnestra 34) zu Hilfe.


33) Dies scheint der Fall zu sein in dem Dulorestes des Pacuvius und
also auch dem vorauszusetzenden griechischen Original desselben. Bekannt-
lich hat O. Jahn (Hermes II 229) nachgewiesen, dass der Inhalt dieses Stückes
die Ermordung des Aigisthos sei, und den Gang der Handlung, nament-
lich auch die Rolle des Oiax, im Ganzen endgültig festgestellt. Ribbecks
abermalige reifliche Erwägung des "sehr unsicheren" Materials (Röm. Trag.
S. 239) hat den Gegenstand nicht gefördert. Nur in einem Punkte muss
ich von O. Jahn abweichen. An dem Tage, an welchem das Stück spielt,
soll eine Hochzeit gefeiert werden fr. I. II.; O. Jahn glaubt zwischen
Oiax und Elektra. Aber ist es glaublich, dass Aigisthos und Klytaimnestra
dem gefährlichen auf Rache sinnenden Mädchen solchen Gatten geben
sollten? Vergebens müht man sich, ein solches Verfahren zu motivieren.
Nein, nicht Elektra, sondern Erigone, die Tochter des Aigisthos und
der Klytaimnestra (Hyg. fab. 122), ist die Braut. Denn dass die Ehe des
Aigisthos und der Klytaimnestra kinderlos gewesen sei, braucht doch nicht
notwendig, wie Ribbeck will, aus fr. XV zu folgen. Die Worte vel cum illum
videas sollicitum orbitudine
können, wenn wir denn einmal mit blossen Möglich-
keiten operieren wollen, beispielsweise auch der grossen Streitscene zwischen
Elektra und Klytaimnestra, in die ja auch fr. VII (vgl. Soph. Elektr. 552--555)
gehört, zugeteilt und auf die traurige elternlose Jugend des Orestes bezogen
werden; vgl. Soph. Elektr. 601 o d allos exo kheira sen molis phugon tle-
mon Orestes dustukhe tribei bion. Man wird ferner zugeben, dass fr. II
gnatam despondit, nuptiis hanc dat diem
passender von Aigisth und Erigone als von Aigisth und Elektra gesagt werde.
Endlich darf auf den wirkungsvollen Gegensatz zwischen der glücklichen
Erigone und der einsamen Elektra hingewiesen werden; letzterer gehört viel-
leicht fr. I hymenaeum fremunt aequales "aber ich habe keinen Teil an der
Festfreude", wie man den Gedanken ergänzen könnte.
34) Ich meine den Sarkophag Lezzani (Visconti Museo Pio-Clementino V A
M. d. I. VIII tav. XV), dessen Darstellungen zuerst Benndorf richtig auf-
gefasst hat. Die Scene links zeigt die Ermordung des Aigisthos, die Haupt-

haben; auch wäre die Absicht, die er mit dieser Erweiterung
verband, absolut unerfindlich. Die spätere Poesie scheint die
Gestalt des Oiax noch mehr ausgebildet und ihn namentlich in
ein nahes Verhältnis zu der Tochter des Aigisthos Erigone ge-
setzt zu haben 33). Auf einem römischen Sarkophag, der von
den übrigen Orestessarkophagen unabhängig eine eigene Klasse
repräsentiert, eilt Erigone dem Aigisthos, Oiax der Klytai-
mnestra 34) zu Hilfe.


33) Dies scheint der Fall zu sein in dem Dulorestes des Pacuvius und
also auch dem vorauszusetzenden griechischen Original desselben. Bekannt-
lich hat O. Jahn (Hermes II 229) nachgewiesen, daſs der Inhalt dieses Stückes
die Ermordung des Aigisthos sei, und den Gang der Handlung, nament-
lich auch die Rolle des Oiax, im Ganzen endgültig festgestellt. Ribbecks
abermalige reifliche Erwägung des „sehr unsicheren“ Materials (Röm. Trag.
S. 239) hat den Gegenstand nicht gefördert. Nur in einem Punkte muſs
ich von O. Jahn abweichen. An dem Tage, an welchem das Stück spielt,
soll eine Hochzeit gefeiert werden fr. I. II.; O. Jahn glaubt zwischen
Oiax und Elektra. Aber ist es glaublich, daſs Aigisthos und Klytaimnestra
dem gefährlichen auf Rache sinnenden Mädchen solchen Gatten geben
sollten? Vergebens müht man sich, ein solches Verfahren zu motivieren.
Nein, nicht Elektra, sondern Erigone, die Tochter des Aigisthos und
der Klytaimnestra (Hyg. fab. 122), ist die Braut. Denn daſs die Ehe des
Aigisthos und der Klytaimnestra kinderlos gewesen sei, braucht doch nicht
notwendig, wie Ribbeck will, aus fr. XV zu folgen. Die Worte vel cum illum
videas sollicitum orbitudine
können, wenn wir denn einmal mit bloſsen Möglich-
keiten operieren wollen, beispielsweise auch der groſsen Streitscene zwischen
Elektra und Klytaimnestra, in die ja auch fr. VII (vgl. Soph. Elektr. 552—555)
gehört, zugeteilt und auf die traurige elternlose Jugend des Orestes bezogen
werden; vgl. Soph. Elektr. 601 ὁ δ̕ ἄλλος ἔξω χεῖρα σὴν μόλις φυγών τλή-
μων Ὀρέστης δυστυχῆ τρίβει βίον. Man wird ferner zugeben, daſs fr. II
gnatam despondit, nuptiis hanc dat diem
passender von Aigisth und Erigone als von Aigisth und Elektra gesagt werde.
Endlich darf auf den wirkungsvollen Gegensatz zwischen der glücklichen
Erigone und der einsamen Elektra hingewiesen werden; letzterer gehört viel-
leicht fr. I hymenaeum fremunt aequales „aber ich habe keinen Teil an der
Festfreude“, wie man den Gedanken ergänzen könnte.
34) Ich meine den Sarkophag Lezzani (Visconti Museo Pio-Clementino V A
M. d. I. VIII tav. XV), dessen Darstellungen zuerst Benndorf richtig auf-
gefaſst hat. Die Scene links zeigt die Ermordung des Aigisthos, die Haupt-
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[185/0199] haben; auch wäre die Absicht, die er mit dieser Erweiterung verband, absolut unerfindlich. Die spätere Poesie scheint die Gestalt des Oiax noch mehr ausgebildet und ihn namentlich in ein nahes Verhältnis zu der Tochter des Aigisthos Erigone ge- setzt zu haben 33). Auf einem römischen Sarkophag, der von den übrigen Orestessarkophagen unabhängig eine eigene Klasse repräsentiert, eilt Erigone dem Aigisthos, Oiax der Klytai- mnestra 34) zu Hilfe. 33) Dies scheint der Fall zu sein in dem Dulorestes des Pacuvius und also auch dem vorauszusetzenden griechischen Original desselben. Bekannt- lich hat O. Jahn (Hermes II 229) nachgewiesen, daſs der Inhalt dieses Stückes die Ermordung des Aigisthos sei, und den Gang der Handlung, nament- lich auch die Rolle des Oiax, im Ganzen endgültig festgestellt. Ribbecks abermalige reifliche Erwägung des „sehr unsicheren“ Materials (Röm. Trag. S. 239) hat den Gegenstand nicht gefördert. Nur in einem Punkte muſs ich von O. Jahn abweichen. An dem Tage, an welchem das Stück spielt, soll eine Hochzeit gefeiert werden fr. I. II.; O. Jahn glaubt zwischen Oiax und Elektra. Aber ist es glaublich, daſs Aigisthos und Klytaimnestra dem gefährlichen auf Rache sinnenden Mädchen solchen Gatten geben sollten? Vergebens müht man sich, ein solches Verfahren zu motivieren. Nein, nicht Elektra, sondern Erigone, die Tochter des Aigisthos und der Klytaimnestra (Hyg. fab. 122), ist die Braut. Denn daſs die Ehe des Aigisthos und der Klytaimnestra kinderlos gewesen sei, braucht doch nicht notwendig, wie Ribbeck will, aus fr. XV zu folgen. Die Worte vel cum illum videas sollicitum orbitudine können, wenn wir denn einmal mit bloſsen Möglich- keiten operieren wollen, beispielsweise auch der groſsen Streitscene zwischen Elektra und Klytaimnestra, in die ja auch fr. VII (vgl. Soph. Elektr. 552—555) gehört, zugeteilt und auf die traurige elternlose Jugend des Orestes bezogen werden; vgl. Soph. Elektr. 601 ὁ δ̕ ἄλλος ἔξω χεῖρα σὴν μόλις φυγών τλή- μων Ὀρέστης δυστυχῆ τρίβει βίον. Man wird ferner zugeben, daſs fr. II gnatam despondit, nuptiis hanc dat diem passender von Aigisth und Erigone als von Aigisth und Elektra gesagt werde. Endlich darf auf den wirkungsvollen Gegensatz zwischen der glücklichen Erigone und der einsamen Elektra hingewiesen werden; letzterer gehört viel- leicht fr. I hymenaeum fremunt aequales „aber ich habe keinen Teil an der Festfreude“, wie man den Gedanken ergänzen könnte. 34) Ich meine den Sarkophag Lezzani (Visconti Museo Pio-Clementino V A M. d. I. VIII tav. XV), dessen Darstellungen zuerst Benndorf richtig auf- gefaſst hat. Die Scene links zeigt die Ermordung des Aigisthos, die Haupt-

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/199>, abgerufen am 28.04.2024.