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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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mit der Milch (fr. 42, Aischylos, Sophokles). Erschreckt erwacht
Klytaimnestra und sendet, da sie selbst nicht zu gehen wagt,
Elektra mit einer Totenspende zum Grabe des Agamemnon
(Aichyl. Soph. Eur. melisches Relief), die alte Amme des Orestes
Laodameia begleitet sie (fr. 40. melisches Relief). Als Elektra
traurig am Grabe ihres Vaters sitzt, naht ein Jüngling und ein
alter Mann, Orestes und Talthybios (melisches Relief). Talthybios
und Laodameia erkennen sich und führen das Wiedererkennen der
Geschwister herbei (Euripides in freier Umgestaltung, ähnlich
Sophokles), Orestes zieht sein Schwert und weiht es am Grabe
des Vaters zum Rachewerk ein (zweites melisches Relief, Nach-
klänge bei Sophokles und Euripides), Orestes dringt in das
Gemach27), während Talthybios draussen Wache hält, und ermordet
den Aigisthos, der auf dem Thron des Agamemnon sitzt28).

27) Unter welchem Vorwand gelangte bei Stesichoros Orestes in den Palast
und zu Aigisthos? Da auf allen Vasen ausser D Elektra gegenwärtig ist und
zwar hinter dem Stuhl des Aigisthos steht, während Klytaimnestra erst
hereingeeilt kommt, so liegt die Vermutung nahe, dass nach der Meinung der
Vasenmaler und also auch wohl nach der Dichtung des Stesichoros Elektra
es ist, die den Orestes als unbekannten Fremdling zu Aigisthos geführt hat.
Vielleicht gab sie vor, dass er eine Nachricht bringe, vielleicht sogar die-
selbe, wie bei Aischylos und Sophokles, die fingierte von seinem eigenen
Tod. Auffallend und schwerlich zufällig ist es, dass Orestes zweimal, auf A
und B, gerüstet erscheint; denn Gedankenlosigkeit des Vasenmalers ist bei
der sorgfältigen und durchdachten Komposition kaum anzunehmen; gab etwa
Orestes vor, dass er aus der Schlacht komme und dort den Tod des Orestes
gesehen habe? oder gar, dass er selbst ihn erschlagen habe? So heisst es bei
Hygin. fab. 119 von Orestes: dicitque se Aeolium hospitem esse nuntiatque
Orestem esse mortuum quem Aegisthus populo necandum demandaverat;
und
dass auf den Kopf des Orestes von Aigisthos ein Preis gesetzt worden sei,
findet sich auch in der Elektra des Euripides V. 33. Wilamowitz vermutet
ansprechend, dass das Motiv aus dieser Sage durch Euripides auf die Kres-
phontes-Sage übertragen worden sei.
28) Auch auf diesen stesichoreischen Zug hat Aischylos eine Anspielung,
die gewiss jeder antike Hörer verstand. Zwar wird bei ihm Aigisthos erst
herbeigerufen und empfängt den Todesstoss, als er ins Gemach tritt; aber
vorher, als Orestes dem Chor seinen Plan mitteilt, sagt er V. 558:
ei d oun ameipso balon erkeion pulon
kakeinon en thronoisin eureso patros,
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mit der Milch (fr. 42, Aischylos, Sophokles). Erschreckt erwacht
Klytaimnestra und sendet, da sie selbst nicht zu gehen wagt,
Elektra mit einer Totenspende zum Grabe des Agamemnon
(Aichyl. Soph. Eur. melisches Relief), die alte Amme des Orestes
Laodameia begleitet sie (fr. 40. melisches Relief). Als Elektra
traurig am Grabe ihres Vaters sitzt, naht ein Jüngling und ein
alter Mann, Orestes und Talthybios (melisches Relief). Talthybios
und Laodameia erkennen sich und führen das Wiedererkennen der
Geschwister herbei (Euripides in freier Umgestaltung, ähnlich
Sophokles), Orestes zieht sein Schwert und weiht es am Grabe
des Vaters zum Rachewerk ein (zweites melisches Relief, Nach-
klänge bei Sophokles und Euripides), Orestes dringt in das
Gemach27), während Talthybios drauſsen Wache hält, und ermordet
den Aigisthos, der auf dem Thron des Agamemnon sitzt28).

27) Unter welchem Vorwand gelangte bei Stesichoros Orestes in den Palast
und zu Aigisthos? Da auf allen Vasen auſser D Elektra gegenwärtig ist und
zwar hinter dem Stuhl des Aigisthos steht, während Klytaimnestra erst
hereingeeilt kommt, so liegt die Vermutung nahe, daſs nach der Meinung der
Vasenmaler und also auch wohl nach der Dichtung des Stesichoros Elektra
es ist, die den Orestes als unbekannten Fremdling zu Aigisthos geführt hat.
Vielleicht gab sie vor, daſs er eine Nachricht bringe, vielleicht sogar die-
selbe, wie bei Aischylos und Sophokles, die fingierte von seinem eigenen
Tod. Auffallend und schwerlich zufällig ist es, daſs Orestes zweimal, auf A
und B, gerüstet erscheint; denn Gedankenlosigkeit des Vasenmalers ist bei
der sorgfältigen und durchdachten Komposition kaum anzunehmen; gab etwa
Orestes vor, daſs er aus der Schlacht komme und dort den Tod des Orestes
gesehen habe? oder gar, daſs er selbst ihn erschlagen habe? So heiſst es bei
Hygin. fab. 119 von Orestes: dicitque se Aeolium hospitem esse nuntiatque
Orestem esse mortuum quem Aegisthus populo necandum demandaverat;
und
daſs auf den Kopf des Orestes von Aigisthos ein Preis gesetzt worden sei,
findet sich auch in der Elektra des Euripides V. 33. Wilamowitz vermutet
ansprechend, daſs das Motiv aus dieser Sage durch Euripides auf die Kres-
phontes-Sage übertragen worden sei.
28) Auch auf diesen stesichoreischen Zug hat Aischylos eine Anspielung,
die gewiſs jeder antike Hörer verstand. Zwar wird bei ihm Aigisthos erst
herbeigerufen und empfängt den Todesstoſs, als er ins Gemach tritt; aber
vorher, als Orestes dem Chor seinen Plan mitteilt, sagt er V. 558:
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[179/0193] mit der Milch (fr. 42, Aischylos, Sophokles). Erschreckt erwacht Klytaimnestra und sendet, da sie selbst nicht zu gehen wagt, Elektra mit einer Totenspende zum Grabe des Agamemnon (Aichyl. Soph. Eur. melisches Relief), die alte Amme des Orestes Laodameia begleitet sie (fr. 40. melisches Relief). Als Elektra traurig am Grabe ihres Vaters sitzt, naht ein Jüngling und ein alter Mann, Orestes und Talthybios (melisches Relief). Talthybios und Laodameia erkennen sich und führen das Wiedererkennen der Geschwister herbei (Euripides in freier Umgestaltung, ähnlich Sophokles), Orestes zieht sein Schwert und weiht es am Grabe des Vaters zum Rachewerk ein (zweites melisches Relief, Nach- klänge bei Sophokles und Euripides), Orestes dringt in das Gemach 27), während Talthybios drauſsen Wache hält, und ermordet den Aigisthos, der auf dem Thron des Agamemnon sitzt 28). 27) Unter welchem Vorwand gelangte bei Stesichoros Orestes in den Palast und zu Aigisthos? Da auf allen Vasen auſser D Elektra gegenwärtig ist und zwar hinter dem Stuhl des Aigisthos steht, während Klytaimnestra erst hereingeeilt kommt, so liegt die Vermutung nahe, daſs nach der Meinung der Vasenmaler und also auch wohl nach der Dichtung des Stesichoros Elektra es ist, die den Orestes als unbekannten Fremdling zu Aigisthos geführt hat. Vielleicht gab sie vor, daſs er eine Nachricht bringe, vielleicht sogar die- selbe, wie bei Aischylos und Sophokles, die fingierte von seinem eigenen Tod. Auffallend und schwerlich zufällig ist es, daſs Orestes zweimal, auf A und B, gerüstet erscheint; denn Gedankenlosigkeit des Vasenmalers ist bei der sorgfältigen und durchdachten Komposition kaum anzunehmen; gab etwa Orestes vor, daſs er aus der Schlacht komme und dort den Tod des Orestes gesehen habe? oder gar, daſs er selbst ihn erschlagen habe? So heiſst es bei Hygin. fab. 119 von Orestes: dicitque se Aeolium hospitem esse nuntiatque Orestem esse mortuum quem Aegisthus populo necandum demandaverat; und daſs auf den Kopf des Orestes von Aigisthos ein Preis gesetzt worden sei, findet sich auch in der Elektra des Euripides V. 33. Wilamowitz vermutet ansprechend, daſs das Motiv aus dieser Sage durch Euripides auf die Kres- phontes-Sage übertragen worden sei. 28) Auch auf diesen stesichoreischen Zug hat Aischylos eine Anspielung, die gewiſs jeder antike Hörer verstand. Zwar wird bei ihm Aigisthos erst herbeigerufen und empfängt den Todesstoſs, als er ins Gemach tritt; aber vorher, als Orestes dem Chor seinen Plan mitteilt, sagt er V. 558: εἰ δ̕ οὖν ἀμείψω βαλὸν ἑρκείων πυλῶν κἀκεῖνον ἐν ϑρόνοισιν εὑρήσω πατρός, 12*

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/193>, abgerufen am 27.04.2024.