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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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reichen, wird wenigstens die Vase nicht weit über diesen Zeitpunkt
hinabrücken können. Auf alle Fälle ist der Zeitraum ein viel zu
kurzer für den ziemlich langwierigen Prozess, der in der Zeit
zwischen der Aufführung der Choephoren und der Verfertigung
von A sich hätte abspielen müssen: zuerst nämlich müsste ein
Tragiker an die citierten Aischylos-Verse anknüpfend den Mythos
umgestalten, dann müsste ein grosser Künstler -- denn auf ältere
bildliche Tradition dürften wir ja in diesem Fall nicht zurück-
greifen -- also ein grosser Künstler, etwa ein Maler aus der
Schule des Polygnotos die neue Sagenversion bildlich gestalten,
endlich müsste diese neue Schöpfung in den Typenvorrat des
Kunsthandwerks eindringen. Absichtlich habe ich bei dieser De-
duktion den oben aufgestellten Satz, dass in der strengen rot-
figurigen Vasenmalerei Sagenversionen des Dramas unerhört sind,
bei Seite gelassen; derselbe würde, wenn er auch für Andere
dieselbe Beweiskraft hätte, wie für mich, allein ausgereicht haben,
die Sache zu entscheiden.

Wenn also der besprochene Typus weder unmittelbar noch
mittelbar von der Oresteia des Aischylos abhängig ist, so müssen
beide auf dieselbe ältere Sagenbehandlung zurückgehen. Aischylos
hat den grässlichen Zug, dass die Mutter gegen den Sohn --
mag sie ihn nun erkannt haben oder nicht -- das Beil erhebt,
ausgemerzt, aber so mächtig war diese Tradition, so tief war sie
der Volksphantasie eingeprägt, dass er mit den Worten doie tis
androkmeta pelekun os takhos wenigstens daran erinnern zu müssen
glaubte. Hier sehen wir den selbständig schaffenden Dichter
im Kampf mit der poetischen Sagentradition.

Aber diese Sagentradition woher stammt sie? Unser nächster
Gedanke wird das Epos, also die Nostoi des Hagias von Troizen
sein. Allein die kurze Notiz der von Proklos überlieferten Hypothe-
sis: epeita Agamemnonos upo Aigisthou kai Klutaimnestras anai-
rethentos up Orestou kai Puladou timoria kai Menelaou eis ten
oikeian anakomide giebt uns keinen genügenden Anhalt; ja die
Erwähnung des Pylades muss uns misstrauisch machen, da von
den besprochenen Vasen nur die jüngste D neben Orestes einen
Gefährten zeigt, der möglicher Weise -- aber keineswegs mit

Philolog. Untersuchungen V. 11

reichen, wird wenigstens die Vase nicht weit über diesen Zeitpunkt
hinabrücken können. Auf alle Fälle ist der Zeitraum ein viel zu
kurzer für den ziemlich langwierigen Prozeſs, der in der Zeit
zwischen der Aufführung der Choephoren und der Verfertigung
von A sich hätte abspielen müssen: zuerst nämlich müſste ein
Tragiker an die citierten Aischylos-Verse anknüpfend den Mythos
umgestalten, dann müſste ein groſser Künstler — denn auf ältere
bildliche Tradition dürften wir ja in diesem Fall nicht zurück-
greifen — also ein groſser Künstler, etwa ein Maler aus der
Schule des Polygnotos die neue Sagenversion bildlich gestalten,
endlich müſste diese neue Schöpfung in den Typenvorrat des
Kunsthandwerks eindringen. Absichtlich habe ich bei dieser De-
duktion den oben aufgestellten Satz, daſs in der strengen rot-
figurigen Vasenmalerei Sagenversionen des Dramas unerhört sind,
bei Seite gelassen; derselbe würde, wenn er auch für Andere
dieselbe Beweiskraft hätte, wie für mich, allein ausgereicht haben,
die Sache zu entscheiden.

Wenn also der besprochene Typus weder unmittelbar noch
mittelbar von der Oresteia des Aischylos abhängig ist, so müssen
beide auf dieselbe ältere Sagenbehandlung zurückgehen. Aischylos
hat den gräſslichen Zug, daſs die Mutter gegen den Sohn —
mag sie ihn nun erkannt haben oder nicht — das Beil erhebt,
ausgemerzt, aber so mächtig war diese Tradition, so tief war sie
der Volksphantasie eingeprägt, daſs er mit den Worten δοίη τις
ἀνδροκμῆτα πέλεκυν ὡς τάχος wenigstens daran erinnern zu müssen
glaubte. Hier sehen wir den selbständig schaffenden Dichter
im Kampf mit der poetischen Sagentradition.

Aber diese Sagentradition woher stammt sie? Unser nächster
Gedanke wird das Epos, also die Nostoi des Hagias von Troizen
sein. Allein die kurze Notiz der von Proklos überlieferten Hypothe-
sis: ἔπειτα Ἀγαμέμνονος ὑπὸ Αἰγίσϑου καὶ Κλυταιμνήστρας ἀναι-
ρεϑέντος ὑπ̕ Ὀρέστου καὶ Πυλάδου τιμωρία καὶ Μενελάου εἰς τὴν
οἰκείαν ἀνακομιδή giebt uns keinen genügenden Anhalt; ja die
Erwähnung des Pylades muſs uns miſstrauisch machen, da von
den besprochenen Vasen nur die jüngste D neben Orestes einen
Gefährten zeigt, der möglicher Weise — aber keineswegs mit

Philolog. Untersuchungen V. 11
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[161/0175] reichen, wird wenigstens die Vase nicht weit über diesen Zeitpunkt hinabrücken können. Auf alle Fälle ist der Zeitraum ein viel zu kurzer für den ziemlich langwierigen Prozeſs, der in der Zeit zwischen der Aufführung der Choephoren und der Verfertigung von A sich hätte abspielen müssen: zuerst nämlich müſste ein Tragiker an die citierten Aischylos-Verse anknüpfend den Mythos umgestalten, dann müſste ein groſser Künstler — denn auf ältere bildliche Tradition dürften wir ja in diesem Fall nicht zurück- greifen — also ein groſser Künstler, etwa ein Maler aus der Schule des Polygnotos die neue Sagenversion bildlich gestalten, endlich müſste diese neue Schöpfung in den Typenvorrat des Kunsthandwerks eindringen. Absichtlich habe ich bei dieser De- duktion den oben aufgestellten Satz, daſs in der strengen rot- figurigen Vasenmalerei Sagenversionen des Dramas unerhört sind, bei Seite gelassen; derselbe würde, wenn er auch für Andere dieselbe Beweiskraft hätte, wie für mich, allein ausgereicht haben, die Sache zu entscheiden. Wenn also der besprochene Typus weder unmittelbar noch mittelbar von der Oresteia des Aischylos abhängig ist, so müssen beide auf dieselbe ältere Sagenbehandlung zurückgehen. Aischylos hat den gräſslichen Zug, daſs die Mutter gegen den Sohn — mag sie ihn nun erkannt haben oder nicht — das Beil erhebt, ausgemerzt, aber so mächtig war diese Tradition, so tief war sie der Volksphantasie eingeprägt, daſs er mit den Worten δοίη τις ἀνδροκμῆτα πέλεκυν ὡς τάχος wenigstens daran erinnern zu müssen glaubte. Hier sehen wir den selbständig schaffenden Dichter im Kampf mit der poetischen Sagentradition. Aber diese Sagentradition woher stammt sie? Unser nächster Gedanke wird das Epos, also die Nostoi des Hagias von Troizen sein. Allein die kurze Notiz der von Proklos überlieferten Hypothe- sis: ἔπειτα Ἀγαμέμνονος ὑπὸ Αἰγίσϑου καὶ Κλυταιμνήστρας ἀναι- ρεϑέντος ὑπ̕ Ὀρέστου καὶ Πυλάδου τιμωρία καὶ Μενελάου εἰς τὴν οἰκείαν ἀνακομιδή giebt uns keinen genügenden Anhalt; ja die Erwähnung des Pylades muſs uns miſstrauisch machen, da von den besprochenen Vasen nur die jüngste D neben Orestes einen Gefährten zeigt, der möglicher Weise — aber keineswegs mit Philolog. Untersuchungen V. 11

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/175>, abgerufen am 24.11.2024.