Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

Talthybios ihn aufmerksam gemacht habe. Auf B hingegen könnte
der Ruf und die Handbewegung der Elektra eine solche Reflex-
bewegung bei Orestes sehr wohl zur Folge haben -- aber hier
gerade wendet Orestes den Kopf nicht um. So haben wir
auf B die Ursache, auf A die Wirkung; und es wird nicht zu
kühn sein, daraus den Schluss zu ziehen, dass in der ursprüng-
lichen Komposition Orestes wesentlich wie auf A, Elektra an
derselben Stelle und in derselben Stellung wie auf B dargestellt
war. Denn dass Chrysothemis, die auf A ihre Schwester ver-
tritt, an einen anderen Platz und daher auch in veränderter
Haltung erscheint, hat in der dort gewählten, durch die Form
dieses Gefässes bedingten Kompositionsmanier seinen Grund;
sie soll, wie oben hervorgehoben, ein Mittelglied zwischen
Vorder- und Rückseite bilden; mithin ist sie für die Re-
konstruktion des ursprünglichen Typus nicht verwendbar.

Eine Komposition nun, die in allem Wesentlichen der eben
durch Rekonstruktion gefundenen entspricht, zeigt uns die Vorder-
seite der Vase von Bologna E, die auf eine strenge Symmetrie
verzichtet hat; die Darstellung besteht aus fünf Figuren, die sich
von links nach rechts in dieser Weise folgen: Talthybios -- im
Bull. fälschlich als Pylades bezeichnet, aber durch den Herolds-
hut gesichert -- Klytaimnestra Orestes (ohne Rüstung, in Chla-
mys wie auf D) Aigisthos Elektra. Elektra streckt, wie auf B,
den rechten Arm gegen Orestes hin aus und scheint ihm zu-
zurufen. Orestes wendet, durch sie aufmerksam gemacht, den
Kopf nach rückwärts, wo Klytaimnestra mit dem Beil über dem
Haupte zum Streiche ausholt, aber von dem herbeigeeilten Tal-
thybios, der mit der Rechten ihre Hand, mit der Linken das Beil
festhält, am Schlage gehindert wird. Von allen erhaltenen Dar-
stellungen dieser Gruppe hat also E den ursprünglichen Typus
am treuesten bewahrt -- wenigstens in der Gesamtkomposition;
denn in den einzelnen Figuren, wie in der der Klytaimnestra
und der Gruppe von Aigisthos und Orestes steht es, abgesehen
von der Kopfwendung des letzteren, B näher als A.

Zweifelhaft bleibt, ob in dem ursprünglichen Typus Kly-
taimnestra mit erhobenem wie auf B D E oder mit gesenktem

Talthybios ihn aufmerksam gemacht habe. Auf B hingegen könnte
der Ruf und die Handbewegung der Elektra eine solche Reflex-
bewegung bei Orestes sehr wohl zur Folge haben — aber hier
gerade wendet Orestes den Kopf nicht um. So haben wir
auf B die Ursache, auf A die Wirkung; und es wird nicht zu
kühn sein, daraus den Schluſs zu ziehen, daſs in der ursprüng-
lichen Komposition Orestes wesentlich wie auf A, Elektra an
derselben Stelle und in derselben Stellung wie auf B dargestellt
war. Denn daſs Chrysothemis, die auf A ihre Schwester ver-
tritt, an einen anderen Platz und daher auch in veränderter
Haltung erscheint, hat in der dort gewählten, durch die Form
dieses Gefäſses bedingten Kompositionsmanier seinen Grund;
sie soll, wie oben hervorgehoben, ein Mittelglied zwischen
Vorder- und Rückseite bilden; mithin ist sie für die Re-
konstruktion des ursprünglichen Typus nicht verwendbar.

Eine Komposition nun, die in allem Wesentlichen der eben
durch Rekonstruktion gefundenen entspricht, zeigt uns die Vorder-
seite der Vase von Bologna E, die auf eine strenge Symmetrie
verzichtet hat; die Darstellung besteht aus fünf Figuren, die sich
von links nach rechts in dieser Weise folgen: Talthybios — im
Bull. fälschlich als Pylades bezeichnet, aber durch den Herolds-
hut gesichert — Klytaimnestra Orestes (ohne Rüstung, in Chla-
mys wie auf D) Aigisthos Elektra. Elektra streckt, wie auf B,
den rechten Arm gegen Orestes hin aus und scheint ihm zu-
zurufen. Orestes wendet, durch sie aufmerksam gemacht, den
Kopf nach rückwärts, wo Klytaimnestra mit dem Beil über dem
Haupte zum Streiche ausholt, aber von dem herbeigeeilten Tal-
thybios, der mit der Rechten ihre Hand, mit der Linken das Beil
festhält, am Schlage gehindert wird. Von allen erhaltenen Dar-
stellungen dieser Gruppe hat also E den ursprünglichen Typus
am treuesten bewahrt — wenigstens in der Gesamtkomposition;
denn in den einzelnen Figuren, wie in der der Klytaimnestra
und der Gruppe von Aigisthos und Orestes steht es, abgesehen
von der Kopfwendung des letzteren, B näher als A.

Zweifelhaft bleibt, ob in dem ursprünglichen Typus Kly-
taimnestra mit erhobenem wie auf B D E oder mit gesenktem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0171" n="157"/>
Talthybios ihn aufmerksam gemacht habe. Auf B hingegen könnte<lb/>
der Ruf und die Handbewegung der Elektra eine solche Reflex-<lb/>
bewegung bei Orestes sehr wohl zur Folge haben &#x2014; aber hier<lb/>
gerade wendet Orestes den Kopf nicht um. So haben wir<lb/>
auf B die Ursache, auf A die Wirkung; und es wird nicht zu<lb/>
kühn sein, daraus den Schlu&#x017F;s zu ziehen, da&#x017F;s in der ursprüng-<lb/>
lichen Komposition Orestes wesentlich wie auf A, Elektra an<lb/>
derselben Stelle und in derselben Stellung wie auf B dargestellt<lb/>
war. Denn da&#x017F;s Chrysothemis, die auf A ihre Schwester ver-<lb/>
tritt, an einen anderen Platz und daher auch in veränderter<lb/>
Haltung erscheint, hat in der dort gewählten, durch die Form<lb/>
dieses Gefä&#x017F;ses bedingten Kompositionsmanier seinen Grund;<lb/>
sie soll, wie oben hervorgehoben, ein Mittelglied zwischen<lb/>
Vorder- und Rückseite bilden; mithin ist sie für die Re-<lb/>
konstruktion des ursprünglichen Typus nicht verwendbar.</p><lb/>
          <p>Eine Komposition nun, die in allem Wesentlichen der eben<lb/>
durch Rekonstruktion gefundenen entspricht, zeigt uns die Vorder-<lb/>
seite der Vase von Bologna E, die auf eine strenge Symmetrie<lb/>
verzichtet hat; die Darstellung besteht aus fünf Figuren, die sich<lb/>
von links nach rechts in dieser Weise folgen: Talthybios &#x2014; im<lb/>
Bull. fälschlich als Pylades bezeichnet, aber durch den Herolds-<lb/>
hut gesichert &#x2014; Klytaimnestra Orestes (ohne Rüstung, in Chla-<lb/>
mys wie auf D) Aigisthos Elektra. Elektra streckt, wie auf B,<lb/>
den rechten Arm gegen Orestes hin aus und scheint ihm zu-<lb/>
zurufen. Orestes wendet, durch sie aufmerksam gemacht, den<lb/>
Kopf nach rückwärts, wo Klytaimnestra mit dem Beil über dem<lb/>
Haupte zum Streiche ausholt, aber von dem herbeigeeilten Tal-<lb/>
thybios, der mit der Rechten ihre Hand, mit der Linken das Beil<lb/>
festhält, am Schlage gehindert wird. Von allen erhaltenen Dar-<lb/>
stellungen dieser Gruppe hat also E den ursprünglichen Typus<lb/>
am treuesten bewahrt &#x2014; wenigstens in der Gesamtkomposition;<lb/>
denn in den einzelnen Figuren, wie in der der Klytaimnestra<lb/>
und der Gruppe von Aigisthos und Orestes steht es, abgesehen<lb/>
von der Kopfwendung des letzteren, B näher als A.</p><lb/>
          <p>Zweifelhaft bleibt, ob in dem ursprünglichen Typus Kly-<lb/>
taimnestra mit erhobenem wie auf B D E oder mit gesenktem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0171] Talthybios ihn aufmerksam gemacht habe. Auf B hingegen könnte der Ruf und die Handbewegung der Elektra eine solche Reflex- bewegung bei Orestes sehr wohl zur Folge haben — aber hier gerade wendet Orestes den Kopf nicht um. So haben wir auf B die Ursache, auf A die Wirkung; und es wird nicht zu kühn sein, daraus den Schluſs zu ziehen, daſs in der ursprüng- lichen Komposition Orestes wesentlich wie auf A, Elektra an derselben Stelle und in derselben Stellung wie auf B dargestellt war. Denn daſs Chrysothemis, die auf A ihre Schwester ver- tritt, an einen anderen Platz und daher auch in veränderter Haltung erscheint, hat in der dort gewählten, durch die Form dieses Gefäſses bedingten Kompositionsmanier seinen Grund; sie soll, wie oben hervorgehoben, ein Mittelglied zwischen Vorder- und Rückseite bilden; mithin ist sie für die Re- konstruktion des ursprünglichen Typus nicht verwendbar. Eine Komposition nun, die in allem Wesentlichen der eben durch Rekonstruktion gefundenen entspricht, zeigt uns die Vorder- seite der Vase von Bologna E, die auf eine strenge Symmetrie verzichtet hat; die Darstellung besteht aus fünf Figuren, die sich von links nach rechts in dieser Weise folgen: Talthybios — im Bull. fälschlich als Pylades bezeichnet, aber durch den Herolds- hut gesichert — Klytaimnestra Orestes (ohne Rüstung, in Chla- mys wie auf D) Aigisthos Elektra. Elektra streckt, wie auf B, den rechten Arm gegen Orestes hin aus und scheint ihm zu- zurufen. Orestes wendet, durch sie aufmerksam gemacht, den Kopf nach rückwärts, wo Klytaimnestra mit dem Beil über dem Haupte zum Streiche ausholt, aber von dem herbeigeeilten Tal- thybios, der mit der Rechten ihre Hand, mit der Linken das Beil festhält, am Schlage gehindert wird. Von allen erhaltenen Dar- stellungen dieser Gruppe hat also E den ursprünglichen Typus am treuesten bewahrt — wenigstens in der Gesamtkomposition; denn in den einzelnen Figuren, wie in der der Klytaimnestra und der Gruppe von Aigisthos und Orestes steht es, abgesehen von der Kopfwendung des letzteren, B näher als A. Zweifelhaft bleibt, ob in dem ursprünglichen Typus Kly- taimnestra mit erhobenem wie auf B D E oder mit gesenktem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/171
Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/171>, abgerufen am 28.04.2024.