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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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sequent vierstrichiges Sigma schreibt und seine Künstlerinschrift
in eigentümlicher Weise stoikhedon zu setzen liebt, seine Gefässe
zu bemalen; und ich kenne kein Gefäss dieser Art, welches ich
über die Mitte des fünften Jahrhunderts zurückdatieren möchte.
Die Amphora Baseggio darf daher wohl für das jüngste der fünf
ersten oben aufgezählten Gefässe gelten.

Der tragische Eindruck der Hauptgruppe ist auf D im Vergleich
mit der Berliner Vase ungemein abgeschwächt; auch ist ein etwas
früherer Moment dargestellt. Aigisthos sitzt nicht auf dem Thron,
er ist auf ein Knie niedergesunken, während er sich mit dem
Stab unter der Achsel stützt. Orestes ohne Rüstung, nur mit
kurzem Chiton und Chlamys bekleidet, ist erst im Begriff den
Stoss zu führen; der linke Arm mit der leeren Schwertscheide
ist zur Deckung vorgestreckt, der rechte holt zum Stosse aus.
Mit Recht hat man auf die Ähnlichkeit mit dem Harmodios des
Antenor hingewiesen. Hinter Orest steht ein ähnlich gekleideter
bärtiger Mann die Hand auf den Speer gestützt als ruhiger Zu-
schauer -- Pylades nennt ihn Welcker, ob mit Recht, wird sich
später zeigen. Hinter Aigisth eilt die schon oben erwähnte Frau
mit geschwungenem Beil herbei; ihre Stellung und Haltung ist
dieselbe, wie die der Klytaimnestra auf B, nur im Gegensinne;
auch trägt sie wie jene eine Haube; aber ihr Gewand ist dem
ganzen Charakter der Vase entsprechend einfacher. Unmittelbar
hinter ihr und zwar, wenn auch auf der Rückseite der Vase,
durch keine äussere Abgrenzung von ihr geschieden, finden wir
vier Frauen, die in lebhaftester Weise ihren Schmerz äussern;
die drei vorderen eilen der Beilschwingerin nach; die Haltung
der dritten ist der der Elektra auf B sehr ähnlich. Welckers
Deutung auf den Schatten der Klytaimnestra und die drei
Erinyen wird heute gewiss Niemand mehr für möglich halten.
Sie ist schon deshalb hinfällig, weil nach dem oben Gesagten
nicht zwei Scenen zu scheiden sind, sondern die Darstellung um
den Bauch des Gefässes herum gleichsam in sich selbst zurück-
läuft, weshalb auch die vierte Frau en face gestellt ist, um
den Übergang zu dem sog. Pylades, dessen Körper gleichfalls
en face steht, zu vermitteln. Die vier Frauen sind Dienerinnen,

sequent vierstrichiges Sigma schreibt und seine Künstlerinschrift
in eigentümlicher Weise στοιχηδόν zu setzen liebt, seine Gefäſse
zu bemalen; und ich kenne kein Gefäſs dieser Art, welches ich
über die Mitte des fünften Jahrhunderts zurückdatieren möchte.
Die Amphora Baseggio darf daher wohl für das jüngste der fünf
ersten oben aufgezählten Gefäſse gelten.

Der tragische Eindruck der Hauptgruppe ist auf D im Vergleich
mit der Berliner Vase ungemein abgeschwächt; auch ist ein etwas
früherer Moment dargestellt. Aigisthos sitzt nicht auf dem Thron,
er ist auf ein Knie niedergesunken, während er sich mit dem
Stab unter der Achsel stützt. Orestes ohne Rüstung, nur mit
kurzem Chiton und Chlamys bekleidet, ist erst im Begriff den
Stoſs zu führen; der linke Arm mit der leeren Schwertscheide
ist zur Deckung vorgestreckt, der rechte holt zum Stoſse aus.
Mit Recht hat man auf die Ähnlichkeit mit dem Harmodios des
Antenor hingewiesen. Hinter Orest steht ein ähnlich gekleideter
bärtiger Mann die Hand auf den Speer gestützt als ruhiger Zu-
schauer — Pylades nennt ihn Welcker, ob mit Recht, wird sich
später zeigen. Hinter Aigisth eilt die schon oben erwähnte Frau
mit geschwungenem Beil herbei; ihre Stellung und Haltung ist
dieselbe, wie die der Klytaimnestra auf B, nur im Gegensinne;
auch trägt sie wie jene eine Haube; aber ihr Gewand ist dem
ganzen Charakter der Vase entsprechend einfacher. Unmittelbar
hinter ihr und zwar, wenn auch auf der Rückseite der Vase,
durch keine äuſsere Abgrenzung von ihr geschieden, finden wir
vier Frauen, die in lebhaftester Weise ihren Schmerz äuſsern;
die drei vorderen eilen der Beilschwingerin nach; die Haltung
der dritten ist der der Elektra auf B sehr ähnlich. Welckers
Deutung auf den Schatten der Klytaimnestra und die drei
Erinyen wird heute gewiſs Niemand mehr für möglich halten.
Sie ist schon deshalb hinfällig, weil nach dem oben Gesagten
nicht zwei Scenen zu scheiden sind, sondern die Darstellung um
den Bauch des Gefäſses herum gleichsam in sich selbst zurück-
läuft, weshalb auch die vierte Frau en face gestellt ist, um
den Übergang zu dem sog. Pylades, dessen Körper gleichfalls
en face steht, zu vermitteln. Die vier Frauen sind Dienerinnen,

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[152/0166] sequent vierstrichiges Sigma schreibt und seine Künstlerinschrift in eigentümlicher Weise στοιχηδόν zu setzen liebt, seine Gefäſse zu bemalen; und ich kenne kein Gefäſs dieser Art, welches ich über die Mitte des fünften Jahrhunderts zurückdatieren möchte. Die Amphora Baseggio darf daher wohl für das jüngste der fünf ersten oben aufgezählten Gefäſse gelten. Der tragische Eindruck der Hauptgruppe ist auf D im Vergleich mit der Berliner Vase ungemein abgeschwächt; auch ist ein etwas früherer Moment dargestellt. Aigisthos sitzt nicht auf dem Thron, er ist auf ein Knie niedergesunken, während er sich mit dem Stab unter der Achsel stützt. Orestes ohne Rüstung, nur mit kurzem Chiton und Chlamys bekleidet, ist erst im Begriff den Stoſs zu führen; der linke Arm mit der leeren Schwertscheide ist zur Deckung vorgestreckt, der rechte holt zum Stoſse aus. Mit Recht hat man auf die Ähnlichkeit mit dem Harmodios des Antenor hingewiesen. Hinter Orest steht ein ähnlich gekleideter bärtiger Mann die Hand auf den Speer gestützt als ruhiger Zu- schauer — Pylades nennt ihn Welcker, ob mit Recht, wird sich später zeigen. Hinter Aigisth eilt die schon oben erwähnte Frau mit geschwungenem Beil herbei; ihre Stellung und Haltung ist dieselbe, wie die der Klytaimnestra auf B, nur im Gegensinne; auch trägt sie wie jene eine Haube; aber ihr Gewand ist dem ganzen Charakter der Vase entsprechend einfacher. Unmittelbar hinter ihr und zwar, wenn auch auf der Rückseite der Vase, durch keine äuſsere Abgrenzung von ihr geschieden, finden wir vier Frauen, die in lebhaftester Weise ihren Schmerz äuſsern; die drei vorderen eilen der Beilschwingerin nach; die Haltung der dritten ist der der Elektra auf B sehr ähnlich. Welckers Deutung auf den Schatten der Klytaimnestra und die drei Erinyen wird heute gewiſs Niemand mehr für möglich halten. Sie ist schon deshalb hinfällig, weil nach dem oben Gesagten nicht zwei Scenen zu scheiden sind, sondern die Darstellung um den Bauch des Gefäſses herum gleichsam in sich selbst zurück- läuft, weshalb auch die vierte Frau en face gestellt ist, um den Übergang zu dem sog. Pylades, dessen Körper gleichfalls en face steht, zu vermitteln. Die vier Frauen sind Dienerinnen,

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/166>, abgerufen am 28.04.2024.