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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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haben, dass Elektras Warnung vergeblich ist und das Beil im
nächsten Augenblick auf das Haupt des Orestes niederfällt, dass also
der Maler eine Sage darstellen wollte, nach der Orestes zwar seinen
Vater an Aigisthos rächt, aber in demselben Augenblick von seiner
eigenen Mutter erschlagen wird. Da nun eine solche Version
unserer gesamten Überlieferung von der Orestes-Sage widerspricht
und wenigstens für das Athen des 5. Jahrhunderts, ja überhaupt --
es sei denn für einen Mythographen vom Schlage des Ptolemaios
Hephaistion -- nicht denkbar ist, so würde man schwerlich so bald
die richtige Deutung gefunden oder ihr, wenn sie aufgestellt
worden wäre, Glauben geschenkt haben, wäre nicht die Meinung
des Vasenmalers durch die beigesetzten Namen sicher gestellt.
So also gilt es, sich mit dem Befremdlichen der Scene auf die eine
oder andere Weise abzufinden. Für Welcker war mehr als alles
Andere der Gedanke abstossend, dass die Mutter das Mordbeil
gegen ihren Sohn schwingen solle, weil er gerechte Rache übe,
(freilich vergass er dabei, dass in der dargestellten Scene Kly-
taimnestra ihren Sohn noch nicht erkannt hat) er nimmt also
an, dass der Maler die Gestalten der Klytaimnestra und Elektra
vertauscht habe, dass in der ursprünglichen Komposition die
hinter Aigisthos stehende Elektra das Beil geschwungen habe,
natürlich gegen Aigisthos. Veranlasst wurde Welcker zu dieser
Annahme durch die Darstellung auf D, wo in der That die hinter
Aigisthos herbeieilende Frau -- nach Welckers Deutung Elektra
-- mit beiden Händen das Doppelbeil über ihrem Haupte zum
Schlag erhebt. Wenden wir uns nun also zu D, so muss zuerst
konstatiert werden, dass diese Vase nicht, wie Welcker annahm,
älter, sondern mindestens ebenso jung, wahrscheinlich weit
jünger ist, als der Berliner Stamnos, auf dem noch konsequent
dreistrichiges Sigma geschrieben ist und N und E noch schräg
stehen. D gehört zu jener Klasse von Amphoren, die mit
einer rings um den Bauch des Gefässes herumlaufenden Dar-
stellung geschmückt sind, ein Verfahren, wodurch der Maler ge-
nötigt wird, viele Nebenfiguren, meistens namenlose, anzubringen.
In dieser Manier pflegt der Vasenmaler Hermonax2), der kon-

2) Vgl. Körte Arch. Zeit. 1878 S. 111.

haben, daſs Elektras Warnung vergeblich ist und das Beil im
nächsten Augenblick auf das Haupt des Orestes niederfällt, daſs also
der Maler eine Sage darstellen wollte, nach der Orestes zwar seinen
Vater an Aigisthos rächt, aber in demselben Augenblick von seiner
eigenen Mutter erschlagen wird. Da nun eine solche Version
unserer gesamten Überlieferung von der Orestes-Sage widerspricht
und wenigstens für das Athen des 5. Jahrhunderts, ja überhaupt —
es sei denn für einen Mythographen vom Schlage des Ptolemaios
Hephaistion — nicht denkbar ist, so würde man schwerlich so bald
die richtige Deutung gefunden oder ihr, wenn sie aufgestellt
worden wäre, Glauben geschenkt haben, wäre nicht die Meinung
des Vasenmalers durch die beigesetzten Namen sicher gestellt.
So also gilt es, sich mit dem Befremdlichen der Scene auf die eine
oder andere Weise abzufinden. Für Welcker war mehr als alles
Andere der Gedanke abstoſsend, daſs die Mutter das Mordbeil
gegen ihren Sohn schwingen solle, weil er gerechte Rache übe,
(freilich vergaſs er dabei, daſs in der dargestellten Scene Kly-
taimnestra ihren Sohn noch nicht erkannt hat) er nimmt also
an, daſs der Maler die Gestalten der Klytaimnestra und Elektra
vertauscht habe, daſs in der ursprünglichen Komposition die
hinter Aigisthos stehende Elektra das Beil geschwungen habe,
natürlich gegen Aigisthos. Veranlaſst wurde Welcker zu dieser
Annahme durch die Darstellung auf D, wo in der That die hinter
Aigisthos herbeieilende Frau — nach Welckers Deutung Elektra
— mit beiden Händen das Doppelbeil über ihrem Haupte zum
Schlag erhebt. Wenden wir uns nun also zu D, so muſs zuerst
konstatiert werden, daſs diese Vase nicht, wie Welcker annahm,
älter, sondern mindestens ebenso jung, wahrscheinlich weit
jünger ist, als der Berliner Stamnos, auf dem noch konsequent
dreistrichiges Sigma geschrieben ist und Ν und Ε noch schräg
stehen. D gehört zu jener Klasse von Amphoren, die mit
einer rings um den Bauch des Gefäſses herumlaufenden Dar-
stellung geschmückt sind, ein Verfahren, wodurch der Maler ge-
nötigt wird, viele Nebenfiguren, meistens namenlose, anzubringen.
In dieser Manier pflegt der Vasenmaler Hermonax2), der kon-

2) Vgl. Körte Arch. Zeit. 1878 S. 111.
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[151/0165] haben, daſs Elektras Warnung vergeblich ist und das Beil im nächsten Augenblick auf das Haupt des Orestes niederfällt, daſs also der Maler eine Sage darstellen wollte, nach der Orestes zwar seinen Vater an Aigisthos rächt, aber in demselben Augenblick von seiner eigenen Mutter erschlagen wird. Da nun eine solche Version unserer gesamten Überlieferung von der Orestes-Sage widerspricht und wenigstens für das Athen des 5. Jahrhunderts, ja überhaupt — es sei denn für einen Mythographen vom Schlage des Ptolemaios Hephaistion — nicht denkbar ist, so würde man schwerlich so bald die richtige Deutung gefunden oder ihr, wenn sie aufgestellt worden wäre, Glauben geschenkt haben, wäre nicht die Meinung des Vasenmalers durch die beigesetzten Namen sicher gestellt. So also gilt es, sich mit dem Befremdlichen der Scene auf die eine oder andere Weise abzufinden. Für Welcker war mehr als alles Andere der Gedanke abstoſsend, daſs die Mutter das Mordbeil gegen ihren Sohn schwingen solle, weil er gerechte Rache übe, (freilich vergaſs er dabei, daſs in der dargestellten Scene Kly- taimnestra ihren Sohn noch nicht erkannt hat) er nimmt also an, daſs der Maler die Gestalten der Klytaimnestra und Elektra vertauscht habe, daſs in der ursprünglichen Komposition die hinter Aigisthos stehende Elektra das Beil geschwungen habe, natürlich gegen Aigisthos. Veranlaſst wurde Welcker zu dieser Annahme durch die Darstellung auf D, wo in der That die hinter Aigisthos herbeieilende Frau — nach Welckers Deutung Elektra — mit beiden Händen das Doppelbeil über ihrem Haupte zum Schlag erhebt. Wenden wir uns nun also zu D, so muſs zuerst konstatiert werden, daſs diese Vase nicht, wie Welcker annahm, älter, sondern mindestens ebenso jung, wahrscheinlich weit jünger ist, als der Berliner Stamnos, auf dem noch konsequent dreistrichiges Sigma geschrieben ist und Ν und Ε noch schräg stehen. D gehört zu jener Klasse von Amphoren, die mit einer rings um den Bauch des Gefäſses herumlaufenden Dar- stellung geschmückt sind, ein Verfahren, wodurch der Maler ge- nötigt wird, viele Nebenfiguren, meistens namenlose, anzubringen. In dieser Manier pflegt der Vasenmaler Hermonax 2), der kon- 2) Vgl. Körte Arch. Zeit. 1878 S. 111.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/165>, abgerufen am 28.04.2024.