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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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Scamandriam undam salso sanctam obtexi sanguine
atque acervos alta in amni corpore explevi hostico,

Worte des Achilleus, die sich nur auf den Kampf an und im
Skamander beziehen können, also eine Episode, die in der Ilias
dem Tod des Hektor unmittelbar vorhergeht. Aber muss es auch
bei Accius so gewesen sein? konnte nicht der Tragiker den
Achilleus schon gleich nach Patroklos' Tod bis zum Skamander
vordringen lassen, um die Leiche des Patroklos zu retten. In
der Ilias freilich springt er bloss auf den Wall und treibt nur durch
seine Stimme und das Funkeln seiner Augen die Troer zurück;
allein, dass er bei Accius sich wirklich in den Kampf stürzt,
scheint sich doch aus fr. I unmittelbar zu ergeben. In dieselbe
Scene wird man schon des gleichen Metrums wegen geneigt sein
auch fr. VII zu verweisen:

Mors amici subigit, quod mi est senium multo acerrimum,

und es mag verstattet sein, hier eine freilich sehr unsichere Ver-
mutung über den Zusammenhang dieser Worte aufzustellen.
Wozu zwingt der Tod des Freundes den Achill? doch zum Kampf,
speziell gegen Hektor; aber warum wird denn der Zwang so
ganz besonders betont? Hat sich vielleicht Accius des schönen
Motivs der Ilias bedient, dass dem Achill bestimmt war, unmittel-
bar nach Hektor selbst zu fallen, dass er also durch die Rache
für den Freund den eigenen Tod beschleunigt? 7) Dann hätten wir
uns als die Person, mit der Achilleus spricht, Thetis zu denken;
an sie würde dann auch die Erzählung des Kampfes gerichtet
sein. Mit dem Beschluss des Achill, trotz dem Schicksalsspruch
den Hektor zu töten, mit dem Versprechen der Thetis, ihm
Waffen zu bringen, könnte das Stück in einer äusserst dra-
matischen Weise schliessen, einer Weise, die dem Hörer zugleich
jeden Zweifel über den weiteren Verlauf benimmt.

So lässt sich der Gang dieses Stückes so klar erkennen, wie der
von wenigen römischen Dramen. Zuerst die kampfeslustigen Myrmi-

7) Vgl. oben Kap. III S. 106.
Scamandriam undam salso sanctam obtexi sanguine
atque acervos alta in amni corpore explevi hostico,

Worte des Achilleus, die sich nur auf den Kampf an und im
Skamander beziehen können, also eine Episode, die in der Ilias
dem Tod des Hektor unmittelbar vorhergeht. Aber muſs es auch
bei Accius so gewesen sein? konnte nicht der Tragiker den
Achilleus schon gleich nach Patroklos’ Tod bis zum Skamander
vordringen lassen, um die Leiche des Patroklos zu retten. In
der Ilias freilich springt er bloſs auf den Wall und treibt nur durch
seine Stimme und das Funkeln seiner Augen die Troer zurück;
allein, daſs er bei Accius sich wirklich in den Kampf stürzt,
scheint sich doch aus fr. I unmittelbar zu ergeben. In dieselbe
Scene wird man schon des gleichen Metrums wegen geneigt sein
auch fr. VII zu verweisen:

Mors amici subigit, quod mi est senium multo acerrimum,

und es mag verstattet sein, hier eine freilich sehr unsichere Ver-
mutung über den Zusammenhang dieser Worte aufzustellen.
Wozu zwingt der Tod des Freundes den Achill? doch zum Kampf,
speziell gegen Hektor; aber warum wird denn der Zwang so
ganz besonders betont? Hat sich vielleicht Accius des schönen
Motivs der Ilias bedient, daſs dem Achill bestimmt war, unmittel-
bar nach Hektor selbst zu fallen, daſs er also durch die Rache
für den Freund den eigenen Tod beschleunigt? 7) Dann hätten wir
uns als die Person, mit der Achilleus spricht, Thetis zu denken;
an sie würde dann auch die Erzählung des Kampfes gerichtet
sein. Mit dem Beschluſs des Achill, trotz dem Schicksalsspruch
den Hektor zu töten, mit dem Versprechen der Thetis, ihm
Waffen zu bringen, könnte das Stück in einer äuſserst dra-
matischen Weise schlieſsen, einer Weise, die dem Hörer zugleich
jeden Zweifel über den weiteren Verlauf benimmt.

So läſst sich der Gang dieses Stückes so klar erkennen, wie der
von wenigen römischen Dramen. Zuerst die kampfeslustigen Myrmi-

7) Vgl. oben Kap. III S. 106.
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[139/0153] Scamandriam undam salso sanctam obtexi sanguine atque acervos alta in amni corpore explevi hostico, Worte des Achilleus, die sich nur auf den Kampf an und im Skamander beziehen können, also eine Episode, die in der Ilias dem Tod des Hektor unmittelbar vorhergeht. Aber muſs es auch bei Accius so gewesen sein? konnte nicht der Tragiker den Achilleus schon gleich nach Patroklos’ Tod bis zum Skamander vordringen lassen, um die Leiche des Patroklos zu retten. In der Ilias freilich springt er bloſs auf den Wall und treibt nur durch seine Stimme und das Funkeln seiner Augen die Troer zurück; allein, daſs er bei Accius sich wirklich in den Kampf stürzt, scheint sich doch aus fr. I unmittelbar zu ergeben. In dieselbe Scene wird man schon des gleichen Metrums wegen geneigt sein auch fr. VII zu verweisen: Mors amici subigit, quod mi est senium multo acerrimum, und es mag verstattet sein, hier eine freilich sehr unsichere Ver- mutung über den Zusammenhang dieser Worte aufzustellen. Wozu zwingt der Tod des Freundes den Achill? doch zum Kampf, speziell gegen Hektor; aber warum wird denn der Zwang so ganz besonders betont? Hat sich vielleicht Accius des schönen Motivs der Ilias bedient, daſs dem Achill bestimmt war, unmittel- bar nach Hektor selbst zu fallen, daſs er also durch die Rache für den Freund den eigenen Tod beschleunigt? 7) Dann hätten wir uns als die Person, mit der Achilleus spricht, Thetis zu denken; an sie würde dann auch die Erzählung des Kampfes gerichtet sein. Mit dem Beschluſs des Achill, trotz dem Schicksalsspruch den Hektor zu töten, mit dem Versprechen der Thetis, ihm Waffen zu bringen, könnte das Stück in einer äuſserst dra- matischen Weise schlieſsen, einer Weise, die dem Hörer zugleich jeden Zweifel über den weiteren Verlauf benimmt. So läſst sich der Gang dieses Stückes so klar erkennen, wie der von wenigen römischen Dramen. Zuerst die kampfeslustigen Myrmi- 7) Vgl. oben Kap. III S. 106.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/153>, abgerufen am 28.04.2024.