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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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die von Hypnos und Thanatos getragene Leiche eines Kriegers
dargestellt. Brunn erklärt also, dass der Künstler nicht zwei un-
mittelbar auf einander folgende Scenen vereinigt habe, -- dies
geschehe überhaupt selten -- sondern sich durch die poetische
Analogie habe leiten lassen.

Der "Grundgedanke" der Vase wird nun folgendermassen
entwickelt:

L' eccesso dell' ira del Pelide richiama sopra di se la
vendetta divina; non vien espiata, se non colla morte del di-
vino eroe.

Brunn mag es mir verzeihen, wenn ich ihn schon hier unter-
brechen muss: "Das Übermass des Zornes des Peliden ruft die
göttliche Rache wach?" Wie seltsam! Waren es nicht die Götter
selbst, die ihn zum Zürnen aufgestachelt und in seinem Groll
unterstützt haben? Hat nicht Athena selbst zu ihm gesagt, als
er den Agamemnon töten wollte A 211:

all e toi epesin men oneidison os esetai per,
ode gar exereo, to de kai tetelesmenon estai ;
kai pote toi tris tossa paressetai aglaa dora
ubrios eineka tesde; su d iskheo, peitheo d emin.

Hat ihm nicht seine Mutter, die zukunftskundige Thetis, selbst
geboten A 421:

alla su men nun neusi paremenos okuporoisin
meni Akhaioisin, polemou d apopauseo pampan.

Hat nicht Zeus selbst durch das Versprechen, den Troern Sieg
zu geben, sich mit Achills Handlungsweise einverstanden erklärt?
Und irgend eine Aufforderung, im Groll nachzulassen, hat doch
weder Zeus noch Athena noch Thetis ihm zugehen lassen. Und
nun sollen es die Götter selbst sein, die über ihn wegen des
Zornes göttliche Strafe erhängen; also der Rat seiner Mutter
Thetis selbst ist es, der ihm den Zorn und die Strafe der Götter
zugezogen hat; und doch hat sie auch, als die Gesandschaft der
Achäer kommt, keine Warnung und keinen Rat für ihren Sohn.
Ist dies nicht in der That seltsam? Aber noch seltsamer ist die

die von Hypnos und Thanatos getragene Leiche eines Kriegers
dargestellt. Brunn erklärt also, daſs der Künstler nicht zwei un-
mittelbar auf einander folgende Scenen vereinigt habe, — dies
geschehe überhaupt selten — sondern sich durch die poetische
Analogie habe leiten lassen.

Der „Grundgedanke“ der Vase wird nun folgendermaſsen
entwickelt:

L’ ecceſso dell’ ira del Pelide richiama sopra di se la
vendetta divina; non vien espiata, se non colla morte del di-
vino eroe.

Brunn mag es mir verzeihen, wenn ich ihn schon hier unter-
brechen muſs: „Das Übermaſs des Zornes des Peliden ruft die
göttliche Rache wach?“ Wie seltsam! Waren es nicht die Götter
selbst, die ihn zum Zürnen aufgestachelt und in seinem Groll
unterstützt haben? Hat nicht Athena selbst zu ihm gesagt, als
er den Agamemnon töten wollte Α 211:

ἀλλ̕ ἤ τοι ἔπεσιν μὲν ὀνείδισον ὡς ἔσεταί περ,
ὧδε γὰρ ἐξερέω, τὸ δὲ καὶ τετελεσμένον ἔσται ·
καὶ ποτέ τοι τρὶς τόσσα παρέσσεται ἀγλαὰ δῶρα
υβριος εἵνεκα τῆςδε· σὺ δ̕ ἴσχεο, πείϑεο δ̕ ἡμῖν.

Hat ihm nicht seine Mutter, die zukunftskundige Thetis, selbst
geboten Α 421:

ἀλλὰ σὺ μὲν νῦν νηυσὶ παρήμενος ὠκυπόροισιν
μήνι̕ Ἀχαιοῖσιν, πολέμου δ̕ ἀποπαύσεο πάμπαν.

Hat nicht Zeus selbst durch das Versprechen, den Troern Sieg
zu geben, sich mit Achills Handlungsweise einverstanden erklärt?
Und irgend eine Aufforderung, im Groll nachzulassen, hat doch
weder Zeus noch Athena noch Thetis ihm zugehen lassen. Und
nun sollen es die Götter selbst sein, die über ihn wegen des
Zornes göttliche Strafe erhängen; also der Rat seiner Mutter
Thetis selbst ist es, der ihm den Zorn und die Strafe der Götter
zugezogen hat; und doch hat sie auch, als die Gesandschaft der
Achäer kommt, keine Warnung und keinen Rat für ihren Sohn.
Ist dies nicht in der That seltsam? Aber noch seltsamer ist die

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[105/0119] die von Hypnos und Thanatos getragene Leiche eines Kriegers dargestellt. Brunn erklärt also, daſs der Künstler nicht zwei un- mittelbar auf einander folgende Scenen vereinigt habe, — dies geschehe überhaupt selten — sondern sich durch die poetische Analogie habe leiten lassen. Der „Grundgedanke“ der Vase wird nun folgendermaſsen entwickelt: L’ ecceſso dell’ ira del Pelide richiama sopra di se la vendetta divina; non vien espiata, se non colla morte del di- vino eroe. Brunn mag es mir verzeihen, wenn ich ihn schon hier unter- brechen muſs: „Das Übermaſs des Zornes des Peliden ruft die göttliche Rache wach?“ Wie seltsam! Waren es nicht die Götter selbst, die ihn zum Zürnen aufgestachelt und in seinem Groll unterstützt haben? Hat nicht Athena selbst zu ihm gesagt, als er den Agamemnon töten wollte Α 211: ἀλλ̕ ἤ τοι ἔπεσιν μὲν ὀνείδισον ὡς ἔσεταί περ, ὧδε γὰρ ἐξερέω, τὸ δὲ καὶ τετελεσμένον ἔσται · καὶ ποτέ τοι τρὶς τόσσα παρέσσεται ἀγλαὰ δῶρα υβριος εἵνεκα τῆςδε· σὺ δ̕ ἴσχεο, πείϑεο δ̕ ἡμῖν. Hat ihm nicht seine Mutter, die zukunftskundige Thetis, selbst geboten Α 421: ἀλλὰ σὺ μὲν νῦν νηυσὶ παρήμενος ὠκυπόροισιν μήνι̕ Ἀχαιοῖσιν, πολέμου δ̕ ἀποπαύσεο πάμπαν. Hat nicht Zeus selbst durch das Versprechen, den Troern Sieg zu geben, sich mit Achills Handlungsweise einverstanden erklärt? Und irgend eine Aufforderung, im Groll nachzulassen, hat doch weder Zeus noch Athena noch Thetis ihm zugehen lassen. Und nun sollen es die Götter selbst sein, die über ihn wegen des Zornes göttliche Strafe erhängen; also der Rat seiner Mutter Thetis selbst ist es, der ihm den Zorn und die Strafe der Götter zugezogen hat; und doch hat sie auch, als die Gesandschaft der Achäer kommt, keine Warnung und keinen Rat für ihren Sohn. Ist dies nicht in der That seltsam? Aber noch seltsamer ist die

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/119>, abgerufen am 24.11.2024.