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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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fachheit her. Dass aber die Scene der Brygosschale je in kürzerer
Gestalt, etwa nur aus Paris, Aphrodite, Priamos und Hekabe be-
standen habe, ist schwer zu glauben. Hätte sie aber aus mehreren
Figuren schon in der archaischen Kunst bestanden, so wäre der
einheitliche Charakter im Vergleich mit anderen archaischen
Werken, z. B. der Amphiaraosvase, auffallend. Es kommt hinzu,
dass der Vorgang an sich zu unbedeutend ist, zu wenig sagen-
stofflich Interessantes, zu wenig wirkliche Handlung enthält,
um die archaische Kunst zu interessieren; mit einem Wort, dass
er eben erst durch die Zusammenstellung mit dem Parisurteil be-
deutsam wird.

Noch augenfälliger ist das Verfahren bei einem Krater des
Hieron, weil sich hier die Elemente, aus denen die neue Scene
gebildet wird, mit Wahrscheinlichkeit nachweisen lassen. Ein
bekannter und beliebter Typus stellt die Gesandtschaft an Achilleus
vor; er besteht aus fünf Figuren, Achilleus Phoinix Diomedes
Aias und Odysseus. Auf einem kleinen aus Attika stammenden
Aryballos des Berliner Museums 25), die uns wahrscheinlich den
Typus in seiner reinsten und ursprünglichsten Gestalt repräsen-
tiert, sitzt Achilleus zwischen Aias und Odysseus, während
Diomedes und Phoinix mit einander sprechen. Auf dem be-
kannten Krater des Louvre 26) ist als Gegenstück zu dieser
Scene ein alter Typus, die von Thanatos und Hypnos getragene
Leiche des Sarpedon, also eine bald darauf folgende Episode der
Ilias gewählt. Hieron 27) hingegen schafft sich selbst ein neues
Gegenstück, die Veranlassung des ganzen Konfliktes, die Weg-
führung der Briseis; er bedient sich dazu eines alten, aber für
eine andere Scene geschaffenen Typus, der Darstellung des Raubes

25) Dieselbe wird zusammen mit einer kleinen aus Boiotien stammenden
schwarzfigurigen Vase, die nur die beiden Hauptfiguren Achilleus und Odysseus
zeigt, in dem laufenden Jahrgang der Arch. Zeit. von mir veröffentlicht
werden.
26) M. d. I. VI 21, vgl. Thanatos S. 4. Die von Luckenbach a. a. O.
S. 619 als b besonders aufgezählte Vase ist zweifellos mit diesem Krater
identisch. Der Beschreiber hat den verhüllten Achilleus für weiblich gehalten
und als Penelope erklärt.
27) M. d. I. VI tav. XIX. vgl. oben S. 58.

fachheit her. Daſs aber die Scene der Brygosschale je in kürzerer
Gestalt, etwa nur aus Paris, Aphrodite, Priamos und Hekabe be-
standen habe, ist schwer zu glauben. Hätte sie aber aus mehreren
Figuren schon in der archaischen Kunst bestanden, so wäre der
einheitliche Charakter im Vergleich mit anderen archaischen
Werken, z. B. der Amphiaraosvase, auffallend. Es kommt hinzu,
daſs der Vorgang an sich zu unbedeutend ist, zu wenig sagen-
stofflich Interessantes, zu wenig wirkliche Handlung enthält,
um die archaische Kunst zu interessieren; mit einem Wort, daſs
er eben erst durch die Zusammenstellung mit dem Parisurteil be-
deutsam wird.

Noch augenfälliger ist das Verfahren bei einem Krater des
Hieron, weil sich hier die Elemente, aus denen die neue Scene
gebildet wird, mit Wahrscheinlichkeit nachweisen lassen. Ein
bekannter und beliebter Typus stellt die Gesandtschaft an Achilleus
vor; er besteht aus fünf Figuren, Achilleus Phoinix Diomedes
Aias und Odysseus. Auf einem kleinen aus Attika stammenden
Aryballos des Berliner Museums 25), die uns wahrscheinlich den
Typus in seiner reinsten und ursprünglichsten Gestalt repräsen-
tiert, sitzt Achilleus zwischen Aias und Odysseus, während
Diomedes und Phoinix mit einander sprechen. Auf dem be-
kannten Krater des Louvre 26) ist als Gegenstück zu dieser
Scene ein alter Typus, die von Thanatos und Hypnos getragene
Leiche des Sarpedon, also eine bald darauf folgende Episode der
Ilias gewählt. Hieron 27) hingegen schafft sich selbst ein neues
Gegenstück, die Veranlassung des ganzen Konfliktes, die Weg-
führung der Briseis; er bedient sich dazu eines alten, aber für
eine andere Scene geschaffenen Typus, der Darstellung des Raubes

25) Dieselbe wird zusammen mit einer kleinen aus Boiotien stammenden
schwarzfigurigen Vase, die nur die beiden Hauptfiguren Achilleus und Odysseus
zeigt, in dem laufenden Jahrgang der Arch. Zeit. von mir veröffentlicht
werden.
26) M. d. I. VI 21, vgl. Thanatos S. 4. Die von Luckenbach a. a. O.
S. 619 als β besonders aufgezählte Vase ist zweifellos mit diesem Krater
identisch. Der Beschreiber hat den verhüllten Achilleus für weiblich gehalten
und als Penelope erklärt.
27) M. d. I. VI tav. XIX. vgl. oben S. 58.
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[95/0109] fachheit her. Daſs aber die Scene der Brygosschale je in kürzerer Gestalt, etwa nur aus Paris, Aphrodite, Priamos und Hekabe be- standen habe, ist schwer zu glauben. Hätte sie aber aus mehreren Figuren schon in der archaischen Kunst bestanden, so wäre der einheitliche Charakter im Vergleich mit anderen archaischen Werken, z. B. der Amphiaraosvase, auffallend. Es kommt hinzu, daſs der Vorgang an sich zu unbedeutend ist, zu wenig sagen- stofflich Interessantes, zu wenig wirkliche Handlung enthält, um die archaische Kunst zu interessieren; mit einem Wort, daſs er eben erst durch die Zusammenstellung mit dem Parisurteil be- deutsam wird. Noch augenfälliger ist das Verfahren bei einem Krater des Hieron, weil sich hier die Elemente, aus denen die neue Scene gebildet wird, mit Wahrscheinlichkeit nachweisen lassen. Ein bekannter und beliebter Typus stellt die Gesandtschaft an Achilleus vor; er besteht aus fünf Figuren, Achilleus Phoinix Diomedes Aias und Odysseus. Auf einem kleinen aus Attika stammenden Aryballos des Berliner Museums 25), die uns wahrscheinlich den Typus in seiner reinsten und ursprünglichsten Gestalt repräsen- tiert, sitzt Achilleus zwischen Aias und Odysseus, während Diomedes und Phoinix mit einander sprechen. Auf dem be- kannten Krater des Louvre 26) ist als Gegenstück zu dieser Scene ein alter Typus, die von Thanatos und Hypnos getragene Leiche des Sarpedon, also eine bald darauf folgende Episode der Ilias gewählt. Hieron 27) hingegen schafft sich selbst ein neues Gegenstück, die Veranlassung des ganzen Konfliktes, die Weg- führung der Briseis; er bedient sich dazu eines alten, aber für eine andere Scene geschaffenen Typus, der Darstellung des Raubes 25) Dieselbe wird zusammen mit einer kleinen aus Boiotien stammenden schwarzfigurigen Vase, die nur die beiden Hauptfiguren Achilleus und Odysseus zeigt, in dem laufenden Jahrgang der Arch. Zeit. von mir veröffentlicht werden. 26) M. d. I. VI 21, vgl. Thanatos S. 4. Die von Luckenbach a. a. O. S. 619 als β besonders aufgezählte Vase ist zweifellos mit diesem Krater identisch. Der Beschreiber hat den verhüllten Achilleus für weiblich gehalten und als Penelope erklärt. 27) M. d. I. VI tav. XIX. vgl. oben S. 58.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/109>, abgerufen am 02.05.2024.