Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.er nicht augenblicks seine alten Geständnisse widerruft! Jörg entgegnete: Ich widerrufe nicht! und als ihn der Stadtschreiber zum zweiten Mal fragte: Jetzt widerruf' ich erst recht nicht! und zum dritten Mal -- -- Da stand, wie aus dem Boden gewachsen, die alte Hollin in der Stube, geführt von zwei der angesehensten Bürger aus Nördlingen und Ulm. Sie sah dem Muckenhuber scharf ins Auge und sagte ihm mit festem Ton: Jörg, du wirst dein falsches Geständniß widerrufen! Die Stimme traf den verbissenen Burschen wie ein Donnerstreich. Er schwieg lange und schlug die Augen nieder. Alles schwieg; man hörte nur die leisen Athemzüge -- dann sprach er: Keine andere Macht der Welt hätte mich zum Widerruf bringen können, aber dieser Frau kann ich nicht ins Gesicht lügen; -- ich widerrufe! Inzwischen wuchs von außen das Getümmel der Menge, welche unter den wildesten Drohworten gegen den Rath die augenblickliche Freilassung der Frau Hollin begehrte. Die Herren spürten Gefahr auf dem Verzug. Nach kurzem geheimen Wortwechsel las daher der Stadtschreiber der Alten im artigsten Ton jene Urkunde vor, welche sie beschwören sollte. Frau Hollin aber erwiderte, sie fordere Recht und keine Gnade, sie habe sich auch nur gestellt, damit man ihren Proceß in aller Form zu Ende führen könne; diese Schrift beschwöre sie nicht. Die Herren vom Rath machten sehr lange Ge- er nicht augenblicks seine alten Geständnisse widerruft! Jörg entgegnete: Ich widerrufe nicht! und als ihn der Stadtschreiber zum zweiten Mal fragte: Jetzt widerruf' ich erst recht nicht! und zum dritten Mal — — Da stand, wie aus dem Boden gewachsen, die alte Hollin in der Stube, geführt von zwei der angesehensten Bürger aus Nördlingen und Ulm. Sie sah dem Muckenhuber scharf ins Auge und sagte ihm mit festem Ton: Jörg, du wirst dein falsches Geständniß widerrufen! Die Stimme traf den verbissenen Burschen wie ein Donnerstreich. Er schwieg lange und schlug die Augen nieder. Alles schwieg; man hörte nur die leisen Athemzüge — dann sprach er: Keine andere Macht der Welt hätte mich zum Widerruf bringen können, aber dieser Frau kann ich nicht ins Gesicht lügen; — ich widerrufe! Inzwischen wuchs von außen das Getümmel der Menge, welche unter den wildesten Drohworten gegen den Rath die augenblickliche Freilassung der Frau Hollin begehrte. Die Herren spürten Gefahr auf dem Verzug. Nach kurzem geheimen Wortwechsel las daher der Stadtschreiber der Alten im artigsten Ton jene Urkunde vor, welche sie beschwören sollte. Frau Hollin aber erwiderte, sie fordere Recht und keine Gnade, sie habe sich auch nur gestellt, damit man ihren Proceß in aller Form zu Ende führen könne; diese Schrift beschwöre sie nicht. Die Herren vom Rath machten sehr lange Ge- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0027"/> er nicht augenblicks seine alten Geständnisse widerruft! Jörg entgegnete: Ich widerrufe nicht! und als ihn der Stadtschreiber zum zweiten Mal fragte: Jetzt widerruf' ich erst recht nicht! und zum dritten Mal — —</p><lb/> <p>Da stand, wie aus dem Boden gewachsen, die alte Hollin in der Stube, geführt von zwei der angesehensten Bürger aus Nördlingen und Ulm. Sie sah dem Muckenhuber scharf ins Auge und sagte ihm mit festem Ton: Jörg, du wirst dein falsches Geständniß widerrufen! Die Stimme traf den verbissenen Burschen wie ein Donnerstreich. Er schwieg lange und schlug die Augen nieder. Alles schwieg; man hörte nur die leisen Athemzüge — dann sprach er: Keine andere Macht der Welt hätte mich zum Widerruf bringen können, aber dieser Frau kann ich nicht ins Gesicht lügen; — ich widerrufe!</p><lb/> <p>Inzwischen wuchs von außen das Getümmel der Menge, welche unter den wildesten Drohworten gegen den Rath die augenblickliche Freilassung der Frau Hollin begehrte. Die Herren spürten Gefahr auf dem Verzug. Nach kurzem geheimen Wortwechsel las daher der Stadtschreiber der Alten im artigsten Ton jene Urkunde vor, welche sie beschwören sollte. Frau Hollin aber erwiderte, sie fordere Recht und keine Gnade, sie habe sich auch nur gestellt, damit man ihren Proceß in aller Form zu Ende führen könne; diese Schrift beschwöre sie nicht.</p><lb/> <p>Die Herren vom Rath machten sehr lange Ge-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0027]
er nicht augenblicks seine alten Geständnisse widerruft! Jörg entgegnete: Ich widerrufe nicht! und als ihn der Stadtschreiber zum zweiten Mal fragte: Jetzt widerruf' ich erst recht nicht! und zum dritten Mal — —
Da stand, wie aus dem Boden gewachsen, die alte Hollin in der Stube, geführt von zwei der angesehensten Bürger aus Nördlingen und Ulm. Sie sah dem Muckenhuber scharf ins Auge und sagte ihm mit festem Ton: Jörg, du wirst dein falsches Geständniß widerrufen! Die Stimme traf den verbissenen Burschen wie ein Donnerstreich. Er schwieg lange und schlug die Augen nieder. Alles schwieg; man hörte nur die leisen Athemzüge — dann sprach er: Keine andere Macht der Welt hätte mich zum Widerruf bringen können, aber dieser Frau kann ich nicht ins Gesicht lügen; — ich widerrufe!
Inzwischen wuchs von außen das Getümmel der Menge, welche unter den wildesten Drohworten gegen den Rath die augenblickliche Freilassung der Frau Hollin begehrte. Die Herren spürten Gefahr auf dem Verzug. Nach kurzem geheimen Wortwechsel las daher der Stadtschreiber der Alten im artigsten Ton jene Urkunde vor, welche sie beschwören sollte. Frau Hollin aber erwiderte, sie fordere Recht und keine Gnade, sie habe sich auch nur gestellt, damit man ihren Proceß in aller Form zu Ende führen könne; diese Schrift beschwöre sie nicht.
Die Herren vom Rath machten sehr lange Ge-
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Zitationshilfe: | Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riehl_muckenhuber_1910/27>, abgerufen am 16.02.2025. |