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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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A. Altorientalisches.
egypter keineswegs starr bei ihren ursprünglichen Bildungen stehen
geblieben sind, sondern auf verschiedenen Wegen getrachtet haben, die
Verwendung der überkommenen Elemente mannigfaltiger und reicher
zu gestalten. So sehen wir nämlich in Fig. 24 eine Art Ranke in
Kreisform eingerollt und mit eben solchen fortlaufend durch Tangenten
verbunden, von denen je eine Lotusblüthe und Knospe abzweigen.
Die einzelnen Kreise sind mit Rosetten gefüllt. Das ganze Motiv er-
innert in Folge der Verbindung mittels Tangenten an ähnliche Bildungen
in der frühgriechischen Kunst, insbesondere im Dipylon, welch letztere
aber lediglich geometrischer Natur sind und keinerlei vegetabilische Ele-
mente tragen. Von der lebendig bewegten griechischen Ranke ist
dieses steife einseitige Schema noch durch eine ganze Welt getrennt.

[Abbildung] Fig. 24.

Rankenartige Verbindung von Lotusblüthen und Knospen.

Eine Vereinigung geschwungener Stengellinien mit Lotusblüthen
(in den verschiedenen Profilansichten, die wir kennen gelernt haben)
treffen wir ferner an dem nicht seltenen Geschlinge, das die beiden
Reiche von Ober- und Unteregypten symbolisiren soll, z. B. bei Lepsius II.
120, III. 19. Der elegante Schwung der Linien und die Gruppirung der
Blüthen untereinander bietet uns in der That eine Vorahnung dessen,
was die Griechen später mit diesen -- wenn einmal frei bewegten --
Motiven anzufangen wissen werden. Aber die Bedeutung des in Rede
stehenden Geschlinges war nicht so sehr eine ornamentale als eine
gegenständliche und es hat sich auch daran, so viel wir sehen, keine
weitere Entwicklung geknüpft.

Die Verbindung der gereihten Lotus-Motive mittels Bogenlinien hat
in der Natur kein Vorbild, sie ist zweifellos eine rein ornamentale
Erfindung
. Wenn wir hinsichtlich der Stilisirung der Lotusblüthen,
die ja in der Mehrzahl der Typen, (insbesondere beim glockenförmigen
und beim Volutenkelch) der realen Erscheinung der Lotusblüthe eben-

A. Altorientalisches.
egypter keineswegs starr bei ihren ursprünglichen Bildungen stehen
geblieben sind, sondern auf verschiedenen Wegen getrachtet haben, die
Verwendung der überkommenen Elemente mannigfaltiger und reicher
zu gestalten. So sehen wir nämlich in Fig. 24 eine Art Ranke in
Kreisform eingerollt und mit eben solchen fortlaufend durch Tangenten
verbunden, von denen je eine Lotusblüthe und Knospe abzweigen.
Die einzelnen Kreise sind mit Rosetten gefüllt. Das ganze Motiv er-
innert in Folge der Verbindung mittels Tangenten an ähnliche Bildungen
in der frühgriechischen Kunst, insbesondere im Dipylon, welch letztere
aber lediglich geometrischer Natur sind und keinerlei vegetabilische Ele-
mente tragen. Von der lebendig bewegten griechischen Ranke ist
dieses steife einseitige Schema noch durch eine ganze Welt getrennt.

[Abbildung] Fig. 24.

Rankenartige Verbindung von Lotusblüthen und Knospen.

Eine Vereinigung geschwungener Stengellinien mit Lotusblüthen
(in den verschiedenen Profilansichten, die wir kennen gelernt haben)
treffen wir ferner an dem nicht seltenen Geschlinge, das die beiden
Reiche von Ober- und Unteregypten symbolisiren soll, z. B. bei Lepsius II.
120, III. 19. Der elegante Schwung der Linien und die Gruppirung der
Blüthen untereinander bietet uns in der That eine Vorahnung dessen,
was die Griechen später mit diesen — wenn einmal frei bewegten —
Motiven anzufangen wissen werden. Aber die Bedeutung des in Rede
stehenden Geschlinges war nicht so sehr eine ornamentale als eine
gegenständliche und es hat sich auch daran, so viel wir sehen, keine
weitere Entwicklung geknüpft.

Die Verbindung der gereihten Lotus-Motive mittels Bogenlinien hat
in der Natur kein Vorbild, sie ist zweifellos eine rein ornamentale
Erfindung
. Wenn wir hinsichtlich der Stilisirung der Lotusblüthen,
die ja in der Mehrzahl der Typen, (insbesondere beim glockenförmigen
und beim Volutenkelch) der realen Erscheinung der Lotusblüthe eben-

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[70/0096] A. Altorientalisches. egypter keineswegs starr bei ihren ursprünglichen Bildungen stehen geblieben sind, sondern auf verschiedenen Wegen getrachtet haben, die Verwendung der überkommenen Elemente mannigfaltiger und reicher zu gestalten. So sehen wir nämlich in Fig. 24 eine Art Ranke in Kreisform eingerollt und mit eben solchen fortlaufend durch Tangenten verbunden, von denen je eine Lotusblüthe und Knospe abzweigen. Die einzelnen Kreise sind mit Rosetten gefüllt. Das ganze Motiv er- innert in Folge der Verbindung mittels Tangenten an ähnliche Bildungen in der frühgriechischen Kunst, insbesondere im Dipylon, welch letztere aber lediglich geometrischer Natur sind und keinerlei vegetabilische Ele- mente tragen. Von der lebendig bewegten griechischen Ranke ist dieses steife einseitige Schema noch durch eine ganze Welt getrennt. [Abbildung Fig. 24. Rankenartige Verbindung von Lotusblüthen und Knospen. ] Eine Vereinigung geschwungener Stengellinien mit Lotusblüthen (in den verschiedenen Profilansichten, die wir kennen gelernt haben) treffen wir ferner an dem nicht seltenen Geschlinge, das die beiden Reiche von Ober- und Unteregypten symbolisiren soll, z. B. bei Lepsius II. 120, III. 19. Der elegante Schwung der Linien und die Gruppirung der Blüthen untereinander bietet uns in der That eine Vorahnung dessen, was die Griechen später mit diesen — wenn einmal frei bewegten — Motiven anzufangen wissen werden. Aber die Bedeutung des in Rede stehenden Geschlinges war nicht so sehr eine ornamentale als eine gegenständliche und es hat sich auch daran, so viel wir sehen, keine weitere Entwicklung geknüpft. Die Verbindung der gereihten Lotus-Motive mittels Bogenlinien hat in der Natur kein Vorbild, sie ist zweifellos eine rein ornamentale Erfindung. Wenn wir hinsichtlich der Stilisirung der Lotusblüthen, die ja in der Mehrzahl der Typen, (insbesondere beim glockenförmigen und beim Volutenkelch) der realen Erscheinung der Lotusblüthe eben-

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/96>, abgerufen am 28.04.2024.