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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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A. Altorientalisches.
mit den dreieckigen Blättern7). Das Hauptargument in seiner Beweis-
führung bildet der Hinweis auf den Umstand, dass die Hieroglyphe
mit der Glockenbekrönung keineswegs zwingend als Papyrus inter-
pretirt werden muss, und dass die auf das Papyrusland Unteregypten
bezogene Bekrönung nicht bloss auf dem angeblichen Papyrus, sondern
auch auf ausgesprochenem Lotus mit dreispaltigem Profil, also auf dem
vermeintlichen Repräsentanten von Oberegypten vorkommt. Damit
waren die in der Egyptologie wurzelnden Hindernisse, über welche die
Nichtegyptologen nicht hinweg konnten, hinweggeräumt und der kunst-
historischen Forschung der Weg geebnet, um das Verhältniss der beiden,
dieselbe Blumenspecies symbolisirenden Typen zu einander zu klären.

Aber noch eine weitere fundamentale Aufklärung verdanken wir
dem genannten amerikanischen Forscher. Wie sich aus seinen Aus-
führungen7a) überzeugend ergiebt, hat man bisher das Lotusmotiv der
altegyptischen Kunst beharrlich mit einer Pflanzenspecies als angeb-
lichem Vorbild identificirt, die in jenen bildlichen Darstellungen gar
nicht gemeint ist. Es ist dies die Species Nymphaea Nelumbo
(oder Nelumbium speciosum), die streng genommen gar nicht zur
botanischen Gruppe des Lotus gehört. Den Irrthum hat in letzter Linie
Herodot's Bericht verschuldet, der von einer in Egypten sehr populären
Lotusgattung berichtete, dass deren Samen essbar wären. Dies stimmt
nun allerdings nur für die erwähnte Species, die aber in Egypten nicht
heimisch, heute daselbst gar nicht zu finden ist, dagegen in Indien
hauptsächlich gedeiht und von dort in das altegyptische Reich für eine
gewisse Zeit verpflanzt worden sein mochte, bis dieselbe Mangels fort-
gesetzter Kultur wieder vom Boden des Nilthals verschwand. Der
wirkliche heilige Lotus dagegen, der noch heute in Egypten gedeiht,
ist die Nymphaea Lotus (weisser Lotus), von dem auch eine blaue
Abart (Nymphaea caerulea) existirt. Auch diesbezüglich würde es zu
weit führen die ganze Beweisführung Goodyear's hierher zu setzen,
und ich beschränke mich daher nur auf die Hervorhebung des über-
zeugendsten Punktes, nämlich der Uebereinstimmung des Lotusblattes
(Fig. 9), wie es an den Kunstdenkmälern typisch wiederkehrt, mit der
gespaltenen Blattform von Nymphaea Lotus, wogegen die Trichterform
des Blattes von Nelumbium speciosum sich auf keine Weise -- man mag
selbst eine noch so wunderliche Projektion des Blattes in der künst-

7) a. a. O. 43 ff.
7a) a. a. O. S. 25 ff.

A. Altorientalisches.
mit den dreieckigen Blättern7). Das Hauptargument in seiner Beweis-
führung bildet der Hinweis auf den Umstand, dass die Hieroglyphe
mit der Glockenbekrönung keineswegs zwingend als Papyrus inter-
pretirt werden muss, und dass die auf das Papyrusland Unteregypten
bezogene Bekrönung nicht bloss auf dem angeblichen Papyrus, sondern
auch auf ausgesprochenem Lotus mit dreispaltigem Profil, also auf dem
vermeintlichen Repräsentanten von Oberegypten vorkommt. Damit
waren die in der Egyptologie wurzelnden Hindernisse, über welche die
Nichtegyptologen nicht hinweg konnten, hinweggeräumt und der kunst-
historischen Forschung der Weg geebnet, um das Verhältniss der beiden,
dieselbe Blumenspecies symbolisirenden Typen zu einander zu klären.

Aber noch eine weitere fundamentale Aufklärung verdanken wir
dem genannten amerikanischen Forscher. Wie sich aus seinen Aus-
führungen7a) überzeugend ergiebt, hat man bisher das Lotusmotiv der
altegyptischen Kunst beharrlich mit einer Pflanzenspecies als angeb-
lichem Vorbild identificirt, die in jenen bildlichen Darstellungen gar
nicht gemeint ist. Es ist dies die Species Nymphaea Nelumbo
(oder Nelumbium speciosum), die streng genommen gar nicht zur
botanischen Gruppe des Lotus gehört. Den Irrthum hat in letzter Linie
Herodot’s Bericht verschuldet, der von einer in Egypten sehr populären
Lotusgattung berichtete, dass deren Samen essbar wären. Dies stimmt
nun allerdings nur für die erwähnte Species, die aber in Egypten nicht
heimisch, heute daselbst gar nicht zu finden ist, dagegen in Indien
hauptsächlich gedeiht und von dort in das altegyptische Reich für eine
gewisse Zeit verpflanzt worden sein mochte, bis dieselbe Mangels fort-
gesetzter Kultur wieder vom Boden des Nilthals verschwand. Der
wirkliche heilige Lotus dagegen, der noch heute in Egypten gedeiht,
ist die Nymphaea Lotus (weisser Lotus), von dem auch eine blaue
Abart (Nymphaea caerulea) existirt. Auch diesbezüglich würde es zu
weit führen die ganze Beweisführung Goodyear’s hierher zu setzen,
und ich beschränke mich daher nur auf die Hervorhebung des über-
zeugendsten Punktes, nämlich der Uebereinstimmung des Lotusblattes
(Fig. 9), wie es an den Kunstdenkmälern typisch wiederkehrt, mit der
gespaltenen Blattform von Nymphaea Lotus, wogegen die Trichterform
des Blattes von Nelumbium speciosum sich auf keine Weise — man mag
selbst eine noch so wunderliche Projektion des Blattes in der künst-

7) a. a. O. 43 ff.
7a) a. a. O. S. 25 ff.
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[50/0076] A. Altorientalisches. mit den dreieckigen Blättern 7). Das Hauptargument in seiner Beweis- führung bildet der Hinweis auf den Umstand, dass die Hieroglyphe mit der Glockenbekrönung keineswegs zwingend als Papyrus inter- pretirt werden muss, und dass die auf das Papyrusland Unteregypten bezogene Bekrönung nicht bloss auf dem angeblichen Papyrus, sondern auch auf ausgesprochenem Lotus mit dreispaltigem Profil, also auf dem vermeintlichen Repräsentanten von Oberegypten vorkommt. Damit waren die in der Egyptologie wurzelnden Hindernisse, über welche die Nichtegyptologen nicht hinweg konnten, hinweggeräumt und der kunst- historischen Forschung der Weg geebnet, um das Verhältniss der beiden, dieselbe Blumenspecies symbolisirenden Typen zu einander zu klären. Aber noch eine weitere fundamentale Aufklärung verdanken wir dem genannten amerikanischen Forscher. Wie sich aus seinen Aus- führungen 7a) überzeugend ergiebt, hat man bisher das Lotusmotiv der altegyptischen Kunst beharrlich mit einer Pflanzenspecies als angeb- lichem Vorbild identificirt, die in jenen bildlichen Darstellungen gar nicht gemeint ist. Es ist dies die Species Nymphaea Nelumbo (oder Nelumbium speciosum), die streng genommen gar nicht zur botanischen Gruppe des Lotus gehört. Den Irrthum hat in letzter Linie Herodot’s Bericht verschuldet, der von einer in Egypten sehr populären Lotusgattung berichtete, dass deren Samen essbar wären. Dies stimmt nun allerdings nur für die erwähnte Species, die aber in Egypten nicht heimisch, heute daselbst gar nicht zu finden ist, dagegen in Indien hauptsächlich gedeiht und von dort in das altegyptische Reich für eine gewisse Zeit verpflanzt worden sein mochte, bis dieselbe Mangels fort- gesetzter Kultur wieder vom Boden des Nilthals verschwand. Der wirkliche heilige Lotus dagegen, der noch heute in Egypten gedeiht, ist die Nymphaea Lotus (weisser Lotus), von dem auch eine blaue Abart (Nymphaea caerulea) existirt. Auch diesbezüglich würde es zu weit führen die ganze Beweisführung Goodyear’s hierher zu setzen, und ich beschränke mich daher nur auf die Hervorhebung des über- zeugendsten Punktes, nämlich der Uebereinstimmung des Lotusblattes (Fig. 9), wie es an den Kunstdenkmälern typisch wiederkehrt, mit der gespaltenen Blattform von Nymphaea Lotus, wogegen die Trichterform des Blattes von Nelumbium speciosum sich auf keine Weise — man mag selbst eine noch so wunderliche Projektion des Blattes in der künst- 7) a. a. O. 43 ff. 7a) a. a. O. S. 25 ff.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/76>, abgerufen am 28.04.2024.