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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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Der Wappenstil.
lich, dass der Weber jeden Faden einzeln zwischen die Kettfäden ge-
schlungen und möchte fast meinen, es sei dies eher mit der Nadel als
mit dem Schiffchen geschehen. Wenn man so etwa mehr Handarbeit
als Fabrikation in der Herstellung der Gewebe erkennt, wird man auch
über die vielen Unregelmässigkeiten nicht erstaunt sein." Es war eben
noch nicht so lange her, dass die Seide ausserhalb der ostasiatischen
Kulturwelt verarbeitet wurde; keinesfalls reichen unsere Nachrichten
darüber in die Zeiten der altorientalischen Monarchien zurück. Ein
ununterbrochener technischer Zusammenhang zwischen einer vermeint-
lichen altassyrischen und der nachweisbaren sassanidischen Seidenkunst-
weberei lässt sich somit nicht herstellen; nach stilhistorischer Seite liegt
aber dazwischen die Ausbreitung der hellenistischen und römischen
Antike, die -- allerdings unter unmittelbarer Berührung mit den alt-
orientalischen Künsten entstanden und herangebildet -- ihrerseits wieder
insbesondere die Luxuskünste im Oriente durchaus in ihre Einfluss-
sphäre zu ziehen gewusst hat.

Das Princip des Wappenstils, die absolute Symmetrie hat in der
späten Antike überhaupt eine sehr maassgebende Rolle gespielt, was
vielleicht mit der sinkenden Schaffenskraft im Kunstleben dieser Zeit
zusammenhängt, da die hellenistische Kunst noch die relative Symmetrie
in der Dekoration beobachtete, und die Langweiligkeit der absoluten
Symmetrie nach Möglichkeit vermied. Es ist daher nicht recht zu ver-
stehen, warum uns das wappenartige Ornamentationssystem der sassa-
nidischen Seidenstoffe so fremdartig asiatisch, so ganz und gar nicht-
abendländisch erscheinen soll. Wenn die Beherrschung der Anfangs
so schwierigen Technik der Kunstweberei bereits am Ausgange der
Antike rasche Fortschritte gemacht zu haben scheint, so ist dies wohl
aus der zwingenden Nothwendigkeit zu erklären, die man empfunden
haben musste, für das eben zur vorherrschenden Geltung gelangte neue
Rohmaterial, die Seide, auch die passendste Technik auszubilden, wofür
sich aus anderwärts10) von mir erörterten Gründen die antike Wirkerei
durchaus nicht empfahl. Für die Seidenkunstweberei hatte nun das
zur damaligen Zeit wieder allgemein verbreitete Ornamentationssystem
des Wappenstils allerdings jene grossen Vorzüge, auf die auch Curtius
hingewiesen hat, und wohl aus diesem Grunde, nicht einer vermeint-
lichen assyrischen Textilüberlieferung halber, finden wir das genannte
Dekorationsschema an den Seidenstoffen von spätantiker Zeit (Fig. 5) an

10) Bei Bucher, Geschichte der technischen Künste III. 361 f.

Der Wappenstil.
lich, dass der Weber jeden Faden einzeln zwischen die Kettfäden ge-
schlungen und möchte fast meinen, es sei dies eher mit der Nadel als
mit dem Schiffchen geschehen. Wenn man so etwa mehr Handarbeit
als Fabrikation in der Herstellung der Gewebe erkennt, wird man auch
über die vielen Unregelmässigkeiten nicht erstaunt sein.“ Es war eben
noch nicht so lange her, dass die Seide ausserhalb der ostasiatischen
Kulturwelt verarbeitet wurde; keinesfalls reichen unsere Nachrichten
darüber in die Zeiten der altorientalischen Monarchien zurück. Ein
ununterbrochener technischer Zusammenhang zwischen einer vermeint-
lichen altassyrischen und der nachweisbaren sassanidischen Seidenkunst-
weberei lässt sich somit nicht herstellen; nach stilhistorischer Seite liegt
aber dazwischen die Ausbreitung der hellenistischen und römischen
Antike, die — allerdings unter unmittelbarer Berührung mit den alt-
orientalischen Künsten entstanden und herangebildet — ihrerseits wieder
insbesondere die Luxuskünste im Oriente durchaus in ihre Einfluss-
sphäre zu ziehen gewusst hat.

Das Princip des Wappenstils, die absolute Symmetrie hat in der
späten Antike überhaupt eine sehr maassgebende Rolle gespielt, was
vielleicht mit der sinkenden Schaffenskraft im Kunstleben dieser Zeit
zusammenhängt, da die hellenistische Kunst noch die relative Symmetrie
in der Dekoration beobachtete, und die Langweiligkeit der absoluten
Symmetrie nach Möglichkeit vermied. Es ist daher nicht recht zu ver-
stehen, warum uns das wappenartige Ornamentationssystem der sassa-
nidischen Seidenstoffe so fremdartig asiatisch, so ganz und gar nicht-
abendländisch erscheinen soll. Wenn die Beherrschung der Anfangs
so schwierigen Technik der Kunstweberei bereits am Ausgange der
Antike rasche Fortschritte gemacht zu haben scheint, so ist dies wohl
aus der zwingenden Nothwendigkeit zu erklären, die man empfunden
haben musste, für das eben zur vorherrschenden Geltung gelangte neue
Rohmaterial, die Seide, auch die passendste Technik auszubilden, wofür
sich aus anderwärts10) von mir erörterten Gründen die antike Wirkerei
durchaus nicht empfahl. Für die Seidenkunstweberei hatte nun das
zur damaligen Zeit wieder allgemein verbreitete Ornamentationssystem
des Wappenstils allerdings jene grossen Vorzüge, auf die auch Curtius
hingewiesen hat, und wohl aus diesem Grunde, nicht einer vermeint-
lichen assyrischen Textilüberlieferung halber, finden wir das genannte
Dekorationsschema an den Seidenstoffen von spätantiker Zeit (Fig. 5) an

10) Bei Bucher, Geschichte der technischen Künste III. 361 f.
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[37/0063] Der Wappenstil. lich, dass der Weber jeden Faden einzeln zwischen die Kettfäden ge- schlungen und möchte fast meinen, es sei dies eher mit der Nadel als mit dem Schiffchen geschehen. Wenn man so etwa mehr Handarbeit als Fabrikation in der Herstellung der Gewebe erkennt, wird man auch über die vielen Unregelmässigkeiten nicht erstaunt sein.“ Es war eben noch nicht so lange her, dass die Seide ausserhalb der ostasiatischen Kulturwelt verarbeitet wurde; keinesfalls reichen unsere Nachrichten darüber in die Zeiten der altorientalischen Monarchien zurück. Ein ununterbrochener technischer Zusammenhang zwischen einer vermeint- lichen altassyrischen und der nachweisbaren sassanidischen Seidenkunst- weberei lässt sich somit nicht herstellen; nach stilhistorischer Seite liegt aber dazwischen die Ausbreitung der hellenistischen und römischen Antike, die — allerdings unter unmittelbarer Berührung mit den alt- orientalischen Künsten entstanden und herangebildet — ihrerseits wieder insbesondere die Luxuskünste im Oriente durchaus in ihre Einfluss- sphäre zu ziehen gewusst hat. Das Princip des Wappenstils, die absolute Symmetrie hat in der späten Antike überhaupt eine sehr maassgebende Rolle gespielt, was vielleicht mit der sinkenden Schaffenskraft im Kunstleben dieser Zeit zusammenhängt, da die hellenistische Kunst noch die relative Symmetrie in der Dekoration beobachtete, und die Langweiligkeit der absoluten Symmetrie nach Möglichkeit vermied. Es ist daher nicht recht zu ver- stehen, warum uns das wappenartige Ornamentationssystem der sassa- nidischen Seidenstoffe so fremdartig asiatisch, so ganz und gar nicht- abendländisch erscheinen soll. Wenn die Beherrschung der Anfangs so schwierigen Technik der Kunstweberei bereits am Ausgange der Antike rasche Fortschritte gemacht zu haben scheint, so ist dies wohl aus der zwingenden Nothwendigkeit zu erklären, die man empfunden haben musste, für das eben zur vorherrschenden Geltung gelangte neue Rohmaterial, die Seide, auch die passendste Technik auszubilden, wofür sich aus anderwärts 10) von mir erörterten Gründen die antike Wirkerei durchaus nicht empfahl. Für die Seidenkunstweberei hatte nun das zur damaligen Zeit wieder allgemein verbreitete Ornamentationssystem des Wappenstils allerdings jene grossen Vorzüge, auf die auch Curtius hingewiesen hat, und wohl aus diesem Grunde, nicht einer vermeint- lichen assyrischen Textilüberlieferung halber, finden wir das genannte Dekorationsschema an den Seidenstoffen von spätantiker Zeit (Fig. 5) an 10) Bei Bucher, Geschichte der technischen Künste III. 361 f.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/63>, abgerufen am 27.04.2024.