Bevor wir aber das Wesen dieses Triebes näher zu bezeichnen suchen, empfiehlt es sich, bei dem geschilderten Entwicklungsgang der Flachverzierung aus dem Plastischen noch einen Augenblick zu ver- weilen, um darzuthun, dass damit eigentlich gar nichts so Unerhörtes vorgebracht wurde.
Eine Bestätigung für das Gesagte bietet nämlich einmal auch das Studium der altegyptischen Kunst, d. i. jener Kunst, die weiter als irgend eine andere unter den antiken Künsten in die verflossenen Jahr- tausende der Menschheit hinaufreicht. In bemaltem Relief en creux sind die Bildwerke in den Gräbern des alten Reiches ausgeführt; erst in der Kunst des mittleren Reiches, in den Felsengräbern von Beni Hassan be- gegnen wir reinen figürlichen Flachmalereien, wenngleich der Übergang zu den letzteren schon im alten Reiche sich vorbereitet hat. Aber auch die Betrachtung der Kunstgeschichte im Allgemeinen lässt sich zur Be- stätigung heranziehen: Seit den Tagen des Phidias ist die Skulptur niemals mehr zur gleichen Blüthe gediehen, weil schon seit hellenistischer Zeit immer ein mehr oder minder starkes malerisches Element in der Skulptur sich geltend gemacht hat, und zwar entsprechend dem allge- meinen Zuge der Zeit und ihrer Kunst mit eiserner Naturnothwendig- keit sich geltend machen musste. Dass es auf diesem Wege keine Umkehr giebt, dass Alles auf die Vervollkommnung der darstellungsfähigeren Malerei hindrängt, lehrt zur Genüge die moderne Kunstentwicklung.
Die Techniken, welche an den Erzeugnissen der Troglodyten Aqui- taniens zu beobachten sind, gehören nicht specifisch dem sogen. Kunst- handwerk, sondern vielmehr der sogen. höheren Kunst (Figuralskulptur) an, wodurch freilich das Sinnlose und Ungerechtfertigte, das in dieser Scheidung vom wissenschaftlichen Standpunkte aus liegt, erst recht augenfällig wird. Das Gleiche bestätigt uns die Betrachtung des Inhalts. Wie schon erwähnt, handelt es sich hiebei vorwiegend um Reproduc- tionen von Naturwesen, nicht um bedeutungsarme "bloss ornamentale" Flächenfüllungen. Die Thiere, die dem Menschen zur Nahrung dienten, oder mit denen er im Kampfe lebte, hat er auf seinen Geräthen bildlich dargestellt: Rennthier, Pferd, Bison, Steinbock, Rind, Bär, Fisch. Auch ihn selbst, den Menschen, finden wir, sowohl gravirt als in Rundwerk, aber weit unbeholfener als die Thierbilder wiedergegeben: eine Erschei- nung die wir in primitiven Künsten allenthalben wahrnehmen können.
Wenn man also bisher gewöhnlich die rein zwecklichen Techniken der Textilkunst an den Beginn des menschlichen Kunstschaffens gestellt hat, so widersprechen dem die Höhlenfunde der Dordogne in der aller-
Der geometrische Stil.
Bevor wir aber das Wesen dieses Triebes näher zu bezeichnen suchen, empfiehlt es sich, bei dem geschilderten Entwicklungsgang der Flachverzierung aus dem Plastischen noch einen Augenblick zu ver- weilen, um darzuthun, dass damit eigentlich gar nichts so Unerhörtes vorgebracht wurde.
Eine Bestätigung für das Gesagte bietet nämlich einmal auch das Studium der altegyptischen Kunst, d. i. jener Kunst, die weiter als irgend eine andere unter den antiken Künsten in die verflossenen Jahr- tausende der Menschheit hinaufreicht. In bemaltem Relief en creux sind die Bildwerke in den Gräbern des alten Reiches ausgeführt; erst in der Kunst des mittleren Reiches, in den Felsengräbern von Beni Hassan be- gegnen wir reinen figürlichen Flachmalereien, wenngleich der Übergang zu den letzteren schon im alten Reiche sich vorbereitet hat. Aber auch die Betrachtung der Kunstgeschichte im Allgemeinen lässt sich zur Be- stätigung heranziehen: Seit den Tagen des Phidias ist die Skulptur niemals mehr zur gleichen Blüthe gediehen, weil schon seit hellenistischer Zeit immer ein mehr oder minder starkes malerisches Element in der Skulptur sich geltend gemacht hat, und zwar entsprechend dem allge- meinen Zuge der Zeit und ihrer Kunst mit eiserner Naturnothwendig- keit sich geltend machen musste. Dass es auf diesem Wege keine Umkehr giebt, dass Alles auf die Vervollkommnung der darstellungsfähigeren Malerei hindrängt, lehrt zur Genüge die moderne Kunstentwicklung.
Die Techniken, welche an den Erzeugnissen der Troglodyten Aqui- taniens zu beobachten sind, gehören nicht specifisch dem sogen. Kunst- handwerk, sondern vielmehr der sogen. höheren Kunst (Figuralskulptur) an, wodurch freilich das Sinnlose und Ungerechtfertigte, das in dieser Scheidung vom wissenschaftlichen Standpunkte aus liegt, erst recht augenfällig wird. Das Gleiche bestätigt uns die Betrachtung des Inhalts. Wie schon erwähnt, handelt es sich hiebei vorwiegend um Reproduc- tionen von Naturwesen, nicht um bedeutungsarme „bloss ornamentale“ Flächenfüllungen. Die Thiere, die dem Menschen zur Nahrung dienten, oder mit denen er im Kampfe lebte, hat er auf seinen Geräthen bildlich dargestellt: Rennthier, Pferd, Bison, Steinbock, Rind, Bär, Fisch. Auch ihn selbst, den Menschen, finden wir, sowohl gravirt als in Rundwerk, aber weit unbeholfener als die Thierbilder wiedergegeben: eine Erschei- nung die wir in primitiven Künsten allenthalben wahrnehmen können.
Wenn man also bisher gewöhnlich die rein zwecklichen Techniken der Textilkunst an den Beginn des menschlichen Kunstschaffens gestellt hat, so widersprechen dem die Höhlenfunde der Dordogne in der aller-
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Der geometrische Stil.
Bevor wir aber das Wesen dieses Triebes näher zu bezeichnen
suchen, empfiehlt es sich, bei dem geschilderten Entwicklungsgang der
Flachverzierung aus dem Plastischen noch einen Augenblick zu ver-
weilen, um darzuthun, dass damit eigentlich gar nichts so Unerhörtes
vorgebracht wurde.
Eine Bestätigung für das Gesagte bietet nämlich einmal auch das
Studium der altegyptischen Kunst, d. i. jener Kunst, die weiter als
irgend eine andere unter den antiken Künsten in die verflossenen Jahr-
tausende der Menschheit hinaufreicht. In bemaltem Relief en creux sind
die Bildwerke in den Gräbern des alten Reiches ausgeführt; erst in der
Kunst des mittleren Reiches, in den Felsengräbern von Beni Hassan be-
gegnen wir reinen figürlichen Flachmalereien, wenngleich der Übergang
zu den letzteren schon im alten Reiche sich vorbereitet hat. Aber auch
die Betrachtung der Kunstgeschichte im Allgemeinen lässt sich zur Be-
stätigung heranziehen: Seit den Tagen des Phidias ist die Skulptur
niemals mehr zur gleichen Blüthe gediehen, weil schon seit hellenistischer
Zeit immer ein mehr oder minder starkes malerisches Element in der
Skulptur sich geltend gemacht hat, und zwar entsprechend dem allge-
meinen Zuge der Zeit und ihrer Kunst mit eiserner Naturnothwendig-
keit sich geltend machen musste. Dass es auf diesem Wege keine Umkehr
giebt, dass Alles auf die Vervollkommnung der darstellungsfähigeren
Malerei hindrängt, lehrt zur Genüge die moderne Kunstentwicklung.
Die Techniken, welche an den Erzeugnissen der Troglodyten Aqui-
taniens zu beobachten sind, gehören nicht specifisch dem sogen. Kunst-
handwerk, sondern vielmehr der sogen. höheren Kunst (Figuralskulptur)
an, wodurch freilich das Sinnlose und Ungerechtfertigte, das in dieser
Scheidung vom wissenschaftlichen Standpunkte aus liegt, erst recht
augenfällig wird. Das Gleiche bestätigt uns die Betrachtung des Inhalts.
Wie schon erwähnt, handelt es sich hiebei vorwiegend um Reproduc-
tionen von Naturwesen, nicht um bedeutungsarme „bloss ornamentale“
Flächenfüllungen. Die Thiere, die dem Menschen zur Nahrung dienten,
oder mit denen er im Kampfe lebte, hat er auf seinen Geräthen bildlich
dargestellt: Rennthier, Pferd, Bison, Steinbock, Rind, Bär, Fisch. Auch
ihn selbst, den Menschen, finden wir, sowohl gravirt als in Rundwerk,
aber weit unbeholfener als die Thierbilder wiedergegeben: eine Erschei-
nung die wir in primitiven Künsten allenthalben wahrnehmen können.
Wenn man also bisher gewöhnlich die rein zwecklichen Techniken
der Textilkunst an den Beginn des menschlichen Kunstschaffens gestellt
hat, so widersprechen dem die Höhlenfunde der Dordogne in der aller-
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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/47>, abgerufen am 23.11.2024.
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