Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.Der geometrische Stil. nähen, wie zahlreich aufgefundene Nadeln aus Bein und Gräten be-weisen; als Material hiezu dienten ihnen die Sehnen der Thierfüsse, was sich ebenfalls aus den, an den Beinknochen vielfach beobachteten Einschnitten zur Evidenz ersehen lässt. Also das Zickzack als spontanes Produkt der Naht könnte man ihnen allenfalls lassen, wenn sie nicht nachweislich weit Grösseres und Vollkommeneres zu leisten im Stande gewesen wären. Denn diese halben Kannibalen mit ihren roh zube- hauenen, ungeglätteten Steinbeilen übten eine wirkliche und unan- zweifelbare Skulptur. Die Schnitzereien (Fig. 1) und Gravirungen (Fig. 2) in Thierknochen, [Abbildung]
Fig. 2. überaus genauen und gewissenhaften Grabungen und FundberichteGravirter Rennthierknochen. La Madeleine. namentlich Lartet's und de Christy's zum grössten Theile ausser allem Zweifel steht, sind schon eine Reihe von Decennien bekannt und ver- öffentlicht4). Bisher hat aber bloss die Anthropologie davon gebührende Notiz genommen; die Kunstgeschichte hat sie fast vollständig ignoriren zu dürfen geglaubt. Ich gebe nun vollständig Georges Perrot Recht, wenn er in der Einleitung zu seiner Histoire de l'art dans l'antiquite die bezüglichen Kunsterzeugnisse als ausserhalb des Rahmens seiner ge- schichtlichen Darstellung stehend erklärt und sich damit für berechtigt hält, dieselben ausser Erörterung zu lassen. In der That haben die aquitanischen Höhlenfunde mit der Entwicklung der antiken Künste, 4) Vgl. hiefür namentlich die Reliquiae Aquitanicae, ferner den Dictionnaire archeologique de la Gaule, (aus welchem unsere Figg. 2, 3 und 6 entlehnt sind), und die knapp zusammenfassende Bearbeitung von dem besonnenen Alex. Bertrand: La Gaule avant les Gaulois, woraus unsere Fig. 1. Riegl, Stilfragen. 2
Der geometrische Stil. nähen, wie zahlreich aufgefundene Nadeln aus Bein und Gräten be-weisen; als Material hiezu dienten ihnen die Sehnen der Thierfüsse, was sich ebenfalls aus den, an den Beinknochen vielfach beobachteten Einschnitten zur Evidenz ersehen lässt. Also das Zickzack als spontanes Produkt der Naht könnte man ihnen allenfalls lassen, wenn sie nicht nachweislich weit Grösseres und Vollkommeneres zu leisten im Stande gewesen wären. Denn diese halben Kannibalen mit ihren roh zube- hauenen, ungeglätteten Steinbeilen übten eine wirkliche und unan- zweifelbare Skulptur. Die Schnitzereien (Fig. 1) und Gravirungen (Fig. 2) in Thierknochen, [Abbildung]
Fig. 2. überaus genauen und gewissenhaften Grabungen und FundberichteGravirter Rennthierknochen. La Madeleine. namentlich Lartet’s und de Christy’s zum grössten Theile ausser allem Zweifel steht, sind schon eine Reihe von Decennien bekannt und ver- öffentlicht4). Bisher hat aber bloss die Anthropologie davon gebührende Notiz genommen; die Kunstgeschichte hat sie fast vollständig ignoriren zu dürfen geglaubt. Ich gebe nun vollständig Georges Perrot Recht, wenn er in der Einleitung zu seiner Histoire de l’art dans l’antiquité die bezüglichen Kunsterzeugnisse als ausserhalb des Rahmens seiner ge- schichtlichen Darstellung stehend erklärt und sich damit für berechtigt hält, dieselben ausser Erörterung zu lassen. In der That haben die aquitanischen Höhlenfunde mit der Entwicklung der antiken Künste, 4) Vgl. hiefür namentlich die Reliquiae Aquitanicae, ferner den Dictionnaire archéologique de la Gaule, (aus welchem unsere Figg. 2, 3 und 6 entlehnt sind), und die knapp zusammenfassende Bearbeitung von dem besonnenen Alex. Bertrand: La Gaule avant les Gaulois, woraus unsere Fig. 1. Riegl, Stilfragen. 2
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Der geometrische Stil.
nähen, wie zahlreich aufgefundene Nadeln aus Bein und Gräten be-
weisen; als Material hiezu dienten ihnen die Sehnen der Thierfüsse,
was sich ebenfalls aus den, an den Beinknochen vielfach beobachteten
Einschnitten zur Evidenz ersehen lässt. Also das Zickzack als spontanes
Produkt der Naht könnte man ihnen allenfalls lassen, wenn sie nicht
nachweislich weit Grösseres und Vollkommeneres zu leisten im Stande
gewesen wären. Denn diese halben Kannibalen mit ihren roh zube-
hauenen, ungeglätteten Steinbeilen übten eine wirkliche und unan-
zweifelbare Skulptur.
Die Schnitzereien (Fig. 1) und Gravirungen (Fig. 2) in Thierknochen,
die man auf mehreren Punkten von Westeuropa, insbesondere in den
Höhlen Aquitaniens gefunden hat, und deren Echtheit angesichts der
[Abbildung Fig. 2.
Gravirter Rennthierknochen. La Madeleine.]
überaus genauen und gewissenhaften Grabungen und Fundberichte
namentlich Lartet’s und de Christy’s zum grössten Theile ausser allem
Zweifel steht, sind schon eine Reihe von Decennien bekannt und ver-
öffentlicht 4). Bisher hat aber bloss die Anthropologie davon gebührende
Notiz genommen; die Kunstgeschichte hat sie fast vollständig ignoriren zu
dürfen geglaubt. Ich gebe nun vollständig Georges Perrot Recht, wenn
er in der Einleitung zu seiner Histoire de l’art dans l’antiquité die
bezüglichen Kunsterzeugnisse als ausserhalb des Rahmens seiner ge-
schichtlichen Darstellung stehend erklärt und sich damit für berechtigt
hält, dieselben ausser Erörterung zu lassen. In der That haben die
aquitanischen Höhlenfunde mit der Entwicklung der antiken Künste,
4) Vgl. hiefür namentlich die Reliquiae Aquitanicae, ferner den
Dictionnaire archéologique de la Gaule, (aus welchem unsere Figg. 2,
3 und 6 entlehnt sind), und die knapp zusammenfassende Bearbeitung von
dem besonnenen Alex. Bertrand: La Gaule avant les Gaulois, woraus
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