Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.Die Arabeske. fassen, so gerathen wir in Verlegenheit. Zwar, dass es Blätter sind,ist bis auf eine geringe Anzahl von knospenartigen Endigungen völlig klar; welcher botanischen Species gehören aber dieselben an? Es ist eben nicht eine bestimmte südliche Blattflora, die uns da entgegentritt, sondern ein rein ornamentales Blattwerk. Der Charakter, den der Naturalismus der hellenistischen Zeit besessen hat, lässt sich kaum an einem anderen Beispiele so treffend nachweisen, wie an Fig. 176. Es ist das Akanthusornament, das hier dazu benutzt ist, um ein Blattwerk von rein ornamentaler Herkunft und Daseinsberechtigung zu schaffen, -- gleichwohl aber ein Blattwerk, das den Beschauer nicht einen Augen- blick darüber im Zweifel lässt, dass eben ein solches damit gemeint [Abbildung]
Fig. 177. ist. Während wir z. B. angesichts der alten strengen Palmette uns nichtReliefverzierung eines Steincylinders, aus Pompeji. bloss fragen, auf welche Blumenspecies sie wohl zurückgehen möchte, sondern vor Allem, ob überhaupt eine Blume dahinter zu suchen ist, fällt an dem Blattwerk in Fig. 176 eine solche Frage hinweg. Was in diesem Falle die Intention des Künstlers gewesen ist, leidet keinen Augenblick Zweifel: es galt ein ornamentales Blattwerk darzustellen, und zu diesem Zwecke verwendete der Künstler das ihm traditionell überkommene und für ähnliche Zwecke bewährte Akanthusornament. Der Naturalismus der hellenistischen Künstler ging in der Ornamentik nicht bis zum unmittelbaren Abschreiben der Natur72): die dekorative 72) Wohl aber, wenn die Absicht auf gegenständliche Darstellung vor-
handen war, in welchem Falle man der Natur ihre charakteristischen Seiten Die Arabeske. fassen, so gerathen wir in Verlegenheit. Zwar, dass es Blätter sind,ist bis auf eine geringe Anzahl von knospenartigen Endigungen völlig klar; welcher botanischen Species gehören aber dieselben an? Es ist eben nicht eine bestimmte südliche Blattflora, die uns da entgegentritt, sondern ein rein ornamentales Blattwerk. Der Charakter, den der Naturalismus der hellenistischen Zeit besessen hat, lässt sich kaum an einem anderen Beispiele so treffend nachweisen, wie an Fig. 176. Es ist das Akanthusornament, das hier dazu benutzt ist, um ein Blattwerk von rein ornamentaler Herkunft und Daseinsberechtigung zu schaffen, — gleichwohl aber ein Blattwerk, das den Beschauer nicht einen Augen- blick darüber im Zweifel lässt, dass eben ein solches damit gemeint [Abbildung]
Fig. 177. ist. Während wir z. B. angesichts der alten strengen Palmette uns nichtReliefverzierung eines Steincylinders, aus Pompeji. bloss fragen, auf welche Blumenspecies sie wohl zurückgehen möchte, sondern vor Allem, ob überhaupt eine Blume dahinter zu suchen ist, fällt an dem Blattwerk in Fig. 176 eine solche Frage hinweg. Was in diesem Falle die Intention des Künstlers gewesen ist, leidet keinen Augenblick Zweifel: es galt ein ornamentales Blattwerk darzustellen, und zu diesem Zwecke verwendete der Künstler das ihm traditionell überkommene und für ähnliche Zwecke bewährte Akanthusornament. Der Naturalismus der hellenistischen Künstler ging in der Ornamentik nicht bis zum unmittelbaren Abschreiben der Natur72): die dekorative 72) Wohl aber, wenn die Absicht auf gegenständliche Darstellung vor-
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Die Arabeske.
fassen, so gerathen wir in Verlegenheit. Zwar, dass es Blätter sind,
ist bis auf eine geringe Anzahl von knospenartigen Endigungen völlig
klar; welcher botanischen Species gehören aber dieselben an? Es ist
eben nicht eine bestimmte südliche Blattflora, die uns da entgegentritt,
sondern ein rein ornamentales Blattwerk. Der Charakter, den der
Naturalismus der hellenistischen Zeit besessen hat, lässt sich kaum an
einem anderen Beispiele so treffend nachweisen, wie an Fig. 176. Es
ist das Akanthusornament, das hier dazu benutzt ist, um ein Blattwerk
von rein ornamentaler Herkunft und Daseinsberechtigung zu schaffen,
— gleichwohl aber ein Blattwerk, das den Beschauer nicht einen Augen-
blick darüber im Zweifel lässt, dass eben ein solches damit gemeint
[Abbildung Fig. 177.
Reliefverzierung eines Steincylinders, aus Pompeji.]
ist. Während wir z. B. angesichts der alten strengen Palmette uns nicht
bloss fragen, auf welche Blumenspecies sie wohl zurückgehen möchte,
sondern vor Allem, ob überhaupt eine Blume dahinter zu suchen ist,
fällt an dem Blattwerk in Fig. 176 eine solche Frage hinweg. Was in
diesem Falle die Intention des Künstlers gewesen ist, leidet keinen
Augenblick Zweifel: es galt ein ornamentales Blattwerk darzustellen,
und zu diesem Zwecke verwendete der Künstler das ihm traditionell
überkommene und für ähnliche Zwecke bewährte Akanthusornament.
Der Naturalismus der hellenistischen Künstler ging in der Ornamentik
nicht bis zum unmittelbaren Abschreiben der Natur 72): die dekorative
72) Wohl aber, wenn die Absicht auf gegenständliche Darstellung vor-
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