Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.Die Arabeske. zwischen Pyrenäen und Hindukusch nicht anders geschehen konnte.Gewiss wird man beim weiteren Verfolgen der Geschichte der sarace- nischen Kunst dazu gelangen, bestimmte lokale Gruppen genau zu unterscheiden und zu charakterisiren. Heute handelt es sich noch darum, das Einheitliche in dem ganzen Entwicklungsgange aufzuzeigen, das seine -- einzig mögliche -- Wurzel in der gemeinsamen spätantik- byzantinischen Kunst hatte, d. h. in jener Kunst, die in allen diesen über drei Welttheile sich erstreckenden Ländern beim Aufkommen des Islam die herrschende gewesen ist. Erörtern wir nun kurz die vorhin fixirten, specifisch-saracenischen Vorerst wollen wir aber noch ein zweites Elfenbeinkästchen Die Arabeske. zwischen Pyrenäen und Hindukusch nicht anders geschehen konnte.Gewiss wird man beim weiteren Verfolgen der Geschichte der sarace- nischen Kunst dazu gelangen, bestimmte lokale Gruppen genau zu unterscheiden und zu charakterisiren. Heute handelt es sich noch darum, das Einheitliche in dem ganzen Entwicklungsgange aufzuzeigen, das seine — einzig mögliche — Wurzel in der gemeinsamen spätantik- byzantinischen Kunst hatte, d. h. in jener Kunst, die in allen diesen über drei Welttheile sich erstreckenden Ländern beim Aufkommen des Islam die herrschende gewesen ist. Erörtern wir nun kurz die vorhin fixirten, specifisch-saracenischen Vorerst wollen wir aber noch ein zweites Elfenbeinkästchen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0344" n="318"/><fw place="top" type="header">Die Arabeske.</fw><lb/> zwischen Pyrenäen und Hindukusch nicht anders geschehen konnte.<lb/> Gewiss wird man beim weiteren Verfolgen der Geschichte der sarace-<lb/> nischen Kunst dazu gelangen, bestimmte lokale Gruppen genau zu<lb/> unterscheiden und zu charakterisiren. Heute handelt es sich noch<lb/> darum, das Einheitliche in dem ganzen Entwicklungsgange aufzuzeigen,<lb/> das seine — einzig mögliche — Wurzel in der gemeinsamen spätantik-<lb/> byzantinischen Kunst hatte, d. h. in jener Kunst, die in allen diesen<lb/> über drei Welttheile sich erstreckenden Ländern beim Aufkommen<lb/> des Islam die herrschende gewesen ist.</p><lb/> <p>Erörtern wir nun kurz die vorhin fixirten, specifisch-saracenischen<lb/> Motive an Fig. 174. Es ist dies erstlich die Einrollung der Haupt-<lb/> ranke zu einem Polygon mit theilweise sphärischen Seiten. Dasselbe<lb/> dient als Rahmen einer Konfiguration von zwei einander doppelt über-<lb/> schneidenden Rankenzweigen. Besonders charakteristisch ist dabei<lb/> die untere Durchschneidung, die in der Weise geschehen ist, dass die<lb/> daran ansetzenden Halbblätter eine Art Vollblatt bilden. Die Blüthen-<lb/> motive sind aus akanthisirenden Blättern gebildet und zeigen zweierlei<lb/> Typen: in einander geschachtelte zwei Kelche mit krönendem, palmetten-<lb/> fächerartigem Blatt, oder (innerhalb des Kielbogens) seitwärts ge-<lb/> krümmte lange Fächer über einem Kelch aus kreisförmig eingerollten<lb/> Voluten. Die Ableitung dieser Blüthenformen wird uns weiter unten<lb/> des Besonderen beschäftigen.</p><lb/> <p>Vorerst wollen wir aber noch ein zweites Elfenbeinkästchen<lb/> (Fig. 175) in Betracht ziehen, woran so nahe Beziehungen zu dem<lb/> datirten Stück Fig. 174 zu beobachten sind, dass wir beiden wohl un-<lb/> gefähr die gleiche Zeitstellung einzuräumen gezwungen sind. Die<lb/> deutlich antikisirende Bildung des Akanthus und das Fehlen des Poly-<lb/> gons von Fig. 174 scheinen zwar geeignet, uns in Fig. 175 eher eine<lb/> frühere Entwicklungsstufe erblicken zu lassen; das Gleiche gilt von den<lb/> Spiralranken, die aus den Halbpalmetten am oberen Rande der Vorder-<lb/> wand gleichsam zwickelfüllend hervorbrechen. Aber anderseits fehlt<lb/> es auch wieder nicht an Punkten, welche den „saracenischen“ Cha-<lb/> rakter von Fig. 175 recht deutlich machen. So die vielfachen Ver-<lb/> schlingungen (namentlich am Deckel), die Durchschneidungen von<lb/> Blättern und Ranken und die Stilisirung der einzelnen Blattmotive.<lb/> In den Gabelungen rechts und links vom Schlossbeschlag auf der<lb/> Vorderwand erscheinen ganze Akanthusblätter eingesetzt, mit einer<lb/> Einziehung in der Mitte: es ist dies die leibhaftige saracenische Gabel-<lb/> ranke (Fig. 138, 139 a, b). Hinsichtlich der betonten Einziehung in<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [318/0344]
Die Arabeske.
zwischen Pyrenäen und Hindukusch nicht anders geschehen konnte.
Gewiss wird man beim weiteren Verfolgen der Geschichte der sarace-
nischen Kunst dazu gelangen, bestimmte lokale Gruppen genau zu
unterscheiden und zu charakterisiren. Heute handelt es sich noch
darum, das Einheitliche in dem ganzen Entwicklungsgange aufzuzeigen,
das seine — einzig mögliche — Wurzel in der gemeinsamen spätantik-
byzantinischen Kunst hatte, d. h. in jener Kunst, die in allen diesen
über drei Welttheile sich erstreckenden Ländern beim Aufkommen
des Islam die herrschende gewesen ist.
Erörtern wir nun kurz die vorhin fixirten, specifisch-saracenischen
Motive an Fig. 174. Es ist dies erstlich die Einrollung der Haupt-
ranke zu einem Polygon mit theilweise sphärischen Seiten. Dasselbe
dient als Rahmen einer Konfiguration von zwei einander doppelt über-
schneidenden Rankenzweigen. Besonders charakteristisch ist dabei
die untere Durchschneidung, die in der Weise geschehen ist, dass die
daran ansetzenden Halbblätter eine Art Vollblatt bilden. Die Blüthen-
motive sind aus akanthisirenden Blättern gebildet und zeigen zweierlei
Typen: in einander geschachtelte zwei Kelche mit krönendem, palmetten-
fächerartigem Blatt, oder (innerhalb des Kielbogens) seitwärts ge-
krümmte lange Fächer über einem Kelch aus kreisförmig eingerollten
Voluten. Die Ableitung dieser Blüthenformen wird uns weiter unten
des Besonderen beschäftigen.
Vorerst wollen wir aber noch ein zweites Elfenbeinkästchen
(Fig. 175) in Betracht ziehen, woran so nahe Beziehungen zu dem
datirten Stück Fig. 174 zu beobachten sind, dass wir beiden wohl un-
gefähr die gleiche Zeitstellung einzuräumen gezwungen sind. Die
deutlich antikisirende Bildung des Akanthus und das Fehlen des Poly-
gons von Fig. 174 scheinen zwar geeignet, uns in Fig. 175 eher eine
frühere Entwicklungsstufe erblicken zu lassen; das Gleiche gilt von den
Spiralranken, die aus den Halbpalmetten am oberen Rande der Vorder-
wand gleichsam zwickelfüllend hervorbrechen. Aber anderseits fehlt
es auch wieder nicht an Punkten, welche den „saracenischen“ Cha-
rakter von Fig. 175 recht deutlich machen. So die vielfachen Ver-
schlingungen (namentlich am Deckel), die Durchschneidungen von
Blättern und Ranken und die Stilisirung der einzelnen Blattmotive.
In den Gabelungen rechts und links vom Schlossbeschlag auf der
Vorderwand erscheinen ganze Akanthusblätter eingesetzt, mit einer
Einziehung in der Mitte: es ist dies die leibhaftige saracenische Gabel-
ranke (Fig. 138, 139 a, b). Hinsichtlich der betonten Einziehung in
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