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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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Die Arabeske.
aber ein ganzes Blüthenmotiv vorliegt, beweisen schon allein die zwei
seitlichen volutenartig gekrümmten Ausladungen, worin wir wohl den
Volutenkelch zu erkennen haben. Dieses Element, dessen Wichtig-
keit und Bedeutsamkeit für die gesammte Geschichte der Ornamentik
bereits bei der Erwähnung seines ersten Auftretens in der egyptischen
Kunst (S. 60) gebührend hervorgehoben wurde, begegnet uns an Fig. e-g
nicht bloss wie an a-d als Halbkelch eingezeichnet, sondern auch in
der Silhouette ausladend. Da der Volutenkelch in der antiken Pflanzen-
ornamentik einen wesentlichen und charakteristischen Theil der Blume
in halber Vollansicht, der von uns sogen. Palmette ausgemacht hat, so
wollen wir das analoge Motiv in der Arabeskenornamentik -- unbe-
schadet der vorzubehaltenden Frage nach einer etwaigen gegenständ-
lichen Bedeutung dieser Motive bei den saracenischen Kunstvölkern --
als saracenische Palmette bezeichnen. Innerhalb des Grundschemas sind
je nach dem Reichthum der Gliederung zahlreiche Varianten möglich;
die einfachste Form ist durch g repräsentirt, wofür wir ihres überaus
häufigen Wiederkehrens halber eine besondere Bezeichnung, als sara-
cenisches Dreiblatt festsetzen wollen.

Hieraus ergiebt sich unmittelbar auch die Bezeichnung, die wir
für die Motive c, d zu wählen haben. Erscheint d als die Hälfte der
Palmette g, so werden wir das erstere als saracenische Halbpalmette be-
zeichnen dürfen, umsomehr als auch für dieses Motiv ein entsprechend
bezeichnetes Analogon aus der Geschichte der antiken Pflanzenorna-
mentik vorliegt.

Die gegebenen Bezeichnungen haben wir vorerst bloss festgesetzt,
um für jedes der Einzelmotive, mit deren Geschichte wir uns im Fol-
genden zu befassen haben, ein Verständigungsmittel zu schaffen. Es
ist aber unausweichlich, dass dadurch schon von vornherein die Rich-
tung gewiesen, die Neigung erweckt wird, die vorläufig bloss nomi-
nellen Beziehungen zwischen der antiken und der saracenischen Pal-
metten-Ornamentik in sachlichem Sinne zu nehmen, wozu wir die
Berechtigung erst werden erweisen müssen. Um nun die Betrachtung
der beiderseitigen Motive von entwicklungsgeschichtlichem Gesichts-
punkte zu erleichtern und mögliche Missverständnisse zu vermeiden,
soll gleich hier Eingangs vorausgeschickt werden, dass es nicht so
sehr die strenge griechische Palmette ist, deren unmittelbaren Ab-
kömmlingen wir in der Arabesken-Ornamentik begegnen werden, son-
dern deren naturalisirte Fortbildungen aus der hellenistischen und der
römischen Kunst. Der Akanthus ist es, der uns z. B. in der Model-

Die Arabeske.
aber ein ganzes Blüthenmotiv vorliegt, beweisen schon allein die zwei
seitlichen volutenartig gekrümmten Ausladungen, worin wir wohl den
Volutenkelch zu erkennen haben. Dieses Element, dessen Wichtig-
keit und Bedeutsamkeit für die gesammte Geschichte der Ornamentik
bereits bei der Erwähnung seines ersten Auftretens in der egyptischen
Kunst (S. 60) gebührend hervorgehoben wurde, begegnet uns an Fig. e-g
nicht bloss wie an a-d als Halbkelch eingezeichnet, sondern auch in
der Silhouette ausladend. Da der Volutenkelch in der antiken Pflanzen-
ornamentik einen wesentlichen und charakteristischen Theil der Blume
in halber Vollansicht, der von uns sogen. Palmette ausgemacht hat, so
wollen wir das analoge Motiv in der Arabeskenornamentik — unbe-
schadet der vorzubehaltenden Frage nach einer etwaigen gegenständ-
lichen Bedeutung dieser Motive bei den saracenischen Kunstvölkern —
als saracenische Palmette bezeichnen. Innerhalb des Grundschemas sind
je nach dem Reichthum der Gliederung zahlreiche Varianten möglich;
die einfachste Form ist durch g repräsentirt, wofür wir ihres überaus
häufigen Wiederkehrens halber eine besondere Bezeichnung, als sara-
cenisches Dreiblatt festsetzen wollen.

Hieraus ergiebt sich unmittelbar auch die Bezeichnung, die wir
für die Motive c, d zu wählen haben. Erscheint d als die Hälfte der
Palmette g, so werden wir das erstere als saracenische Halbpalmette be-
zeichnen dürfen, umsomehr als auch für dieses Motiv ein entsprechend
bezeichnetes Analogon aus der Geschichte der antiken Pflanzenorna-
mentik vorliegt.

Die gegebenen Bezeichnungen haben wir vorerst bloss festgesetzt,
um für jedes der Einzelmotive, mit deren Geschichte wir uns im Fol-
genden zu befassen haben, ein Verständigungsmittel zu schaffen. Es
ist aber unausweichlich, dass dadurch schon von vornherein die Rich-
tung gewiesen, die Neigung erweckt wird, die vorläufig bloss nomi-
nellen Beziehungen zwischen der antiken und der saracenischen Pal-
metten-Ornamentik in sachlichem Sinne zu nehmen, wozu wir die
Berechtigung erst werden erweisen müssen. Um nun die Betrachtung
der beiderseitigen Motive von entwicklungsgeschichtlichem Gesichts-
punkte zu erleichtern und mögliche Missverständnisse zu vermeiden,
soll gleich hier Eingangs vorausgeschickt werden, dass es nicht so
sehr die strenge griechische Palmette ist, deren unmittelbaren Ab-
kömmlingen wir in der Arabesken-Ornamentik begegnen werden, son-
dern deren naturalisirte Fortbildungen aus der hellenistischen und der
römischen Kunst. Der Akanthus ist es, der uns z. B. in der Model-

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[264/0290] Die Arabeske. aber ein ganzes Blüthenmotiv vorliegt, beweisen schon allein die zwei seitlichen volutenartig gekrümmten Ausladungen, worin wir wohl den Volutenkelch zu erkennen haben. Dieses Element, dessen Wichtig- keit und Bedeutsamkeit für die gesammte Geschichte der Ornamentik bereits bei der Erwähnung seines ersten Auftretens in der egyptischen Kunst (S. 60) gebührend hervorgehoben wurde, begegnet uns an Fig. e-g nicht bloss wie an a-d als Halbkelch eingezeichnet, sondern auch in der Silhouette ausladend. Da der Volutenkelch in der antiken Pflanzen- ornamentik einen wesentlichen und charakteristischen Theil der Blume in halber Vollansicht, der von uns sogen. Palmette ausgemacht hat, so wollen wir das analoge Motiv in der Arabeskenornamentik — unbe- schadet der vorzubehaltenden Frage nach einer etwaigen gegenständ- lichen Bedeutung dieser Motive bei den saracenischen Kunstvölkern — als saracenische Palmette bezeichnen. Innerhalb des Grundschemas sind je nach dem Reichthum der Gliederung zahlreiche Varianten möglich; die einfachste Form ist durch g repräsentirt, wofür wir ihres überaus häufigen Wiederkehrens halber eine besondere Bezeichnung, als sara- cenisches Dreiblatt festsetzen wollen. Hieraus ergiebt sich unmittelbar auch die Bezeichnung, die wir für die Motive c, d zu wählen haben. Erscheint d als die Hälfte der Palmette g, so werden wir das erstere als saracenische Halbpalmette be- zeichnen dürfen, umsomehr als auch für dieses Motiv ein entsprechend bezeichnetes Analogon aus der Geschichte der antiken Pflanzenorna- mentik vorliegt. Die gegebenen Bezeichnungen haben wir vorerst bloss festgesetzt, um für jedes der Einzelmotive, mit deren Geschichte wir uns im Fol- genden zu befassen haben, ein Verständigungsmittel zu schaffen. Es ist aber unausweichlich, dass dadurch schon von vornherein die Rich- tung gewiesen, die Neigung erweckt wird, die vorläufig bloss nomi- nellen Beziehungen zwischen der antiken und der saracenischen Pal- metten-Ornamentik in sachlichem Sinne zu nehmen, wozu wir die Berechtigung erst werden erweisen müssen. Um nun die Betrachtung der beiderseitigen Motive von entwicklungsgeschichtlichem Gesichts- punkte zu erleichtern und mögliche Missverständnisse zu vermeiden, soll gleich hier Eingangs vorausgeschickt werden, dass es nicht so sehr die strenge griechische Palmette ist, deren unmittelbaren Ab- kömmlingen wir in der Arabesken-Ornamentik begegnen werden, son- dern deren naturalisirte Fortbildungen aus der hellenistischen und der römischen Kunst. Der Akanthus ist es, der uns z. B. in der Model-

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/290>, abgerufen am 12.05.2024.