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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
kelch aus Akanthus, Dionysos und Ariadne, beiderseits auf den Ranken-
windungen sitzend musicirende Figuren. Das Motiv, in welches die
Ranken an beiden Enden auslaufen, hat in der hellenistischen und später
in der orientalischen Kunst eine grosse Rolle gespielt. Es ist wohl das-
selbe, das Jacobsthal50) mit einer in Griechenland heimischen Pflanze,
dem Dracunculus vulgaris, identificirt hat. Abgesehen von principiellen
Bedenken scheint mir die Verbreitung des Motivs, namentlich über
orientalischen Kunstboden, gegen jene Zuweisung zu sprechen. Aehn-
liche Motive, augenscheinlich als Palmen gedacht, finden sich schon in
der egyptischen Kunst der Pharaonenzeit dargestellt. Ich gebe als Bei-
spiel Fig. 124 nach Lepsius III. 69, vgl. ebenda III. 95. An Fig. 123 giebt
sich das Motiv als gleichsam zwickelfüllender Abschluss der Ranke. Man
sieht, dass in der Friesform eine Combination von Figuren und Ranken-
windungen verhältnissmässig leicht gefunden war. Das Gleiche gilt
[Abbildung] Fig. 124.

Stilisirte Baumkronen. Altegyptisch.

von Pilasterfüllungen, wofür eines der glänzendsten Beispiele in der
Villa Hadriana (Canina VI. 172) gefunden wurde. Schwieriger gestaltete
sich die Lösung, sobald es sich um die Einstreuung von Figuren in
eine grössere mit Rankenwerk überzogene Fläche handelte. Ein vol-
lendetes Beispiel hiefür liefert der Hildesheimer Silberkrater51)
Als Figuren sind Putten gewählt, offenbar ob ihrer schwebenden Leich-
tigkeit und Possirlichkeit, wodurch sie sich besser als Erwachsene zu
den heiteren spielenden Zwecken der Dekoration eigneten. Dazu das
kleine Seegethier, die Krebse, Seepferdchen, Fische, auf welche ein
Theil der Putten mit Poseidons Dreizack Jagd macht, während andere
sich behaglich in den Rankeneinrollungen wiegen. Die Entstehung des
Hildesheimer Silberkraters wird von Einigen in römische Zeit verlegt.
Selbst wenn dem so wäre, wird man nicht zweifeln können, dass der
seiner Dekoration zu Grunde liegende Gedanke -- die freie Ranken-

50) Arch. Zeit. 1884, Sp. 70.
51) Holzer, der Hildesheimer antike Silberfund, Taf. III. 1.

B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
kelch aus Akanthus, Dionysos und Ariadne, beiderseits auf den Ranken-
windungen sitzend musicirende Figuren. Das Motiv, in welches die
Ranken an beiden Enden auslaufen, hat in der hellenistischen und später
in der orientalischen Kunst eine grosse Rolle gespielt. Es ist wohl das-
selbe, das Jacobsthal50) mit einer in Griechenland heimischen Pflanze,
dem Dracunculus vulgaris, identificirt hat. Abgesehen von principiellen
Bedenken scheint mir die Verbreitung des Motivs, namentlich über
orientalischen Kunstboden, gegen jene Zuweisung zu sprechen. Aehn-
liche Motive, augenscheinlich als Palmen gedacht, finden sich schon in
der egyptischen Kunst der Pharaonenzeit dargestellt. Ich gebe als Bei-
spiel Fig. 124 nach Lepsius III. 69, vgl. ebenda III. 95. An Fig. 123 giebt
sich das Motiv als gleichsam zwickelfüllender Abschluss der Ranke. Man
sieht, dass in der Friesform eine Combination von Figuren und Ranken-
windungen verhältnissmässig leicht gefunden war. Das Gleiche gilt
[Abbildung] Fig. 124.

Stilisirte Baumkronen. Altegyptisch.

von Pilasterfüllungen, wofür eines der glänzendsten Beispiele in der
Villa Hadriana (Canina VI. 172) gefunden wurde. Schwieriger gestaltete
sich die Lösung, sobald es sich um die Einstreuung von Figuren in
eine grössere mit Rankenwerk überzogene Fläche handelte. Ein vol-
lendetes Beispiel hiefür liefert der Hildesheimer Silberkrater51)
Als Figuren sind Putten gewählt, offenbar ob ihrer schwebenden Leich-
tigkeit und Possirlichkeit, wodurch sie sich besser als Erwachsene zu
den heiteren spielenden Zwecken der Dekoration eigneten. Dazu das
kleine Seegethier, die Krebse, Seepferdchen, Fische, auf welche ein
Theil der Putten mit Poseidons Dreizack Jagd macht, während andere
sich behaglich in den Rankeneinrollungen wiegen. Die Entstehung des
Hildesheimer Silberkraters wird von Einigen in römische Zeit verlegt.
Selbst wenn dem so wäre, wird man nicht zweifeln können, dass der
seiner Dekoration zu Grunde liegende Gedanke — die freie Ranken-

50) Arch. Zeit. 1884, Sp. 70.
51) Holzer, der Hildesheimer antike Silberfund, Taf. III. 1.
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[238/0264] B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst. kelch aus Akanthus, Dionysos und Ariadne, beiderseits auf den Ranken- windungen sitzend musicirende Figuren. Das Motiv, in welches die Ranken an beiden Enden auslaufen, hat in der hellenistischen und später in der orientalischen Kunst eine grosse Rolle gespielt. Es ist wohl das- selbe, das Jacobsthal 50) mit einer in Griechenland heimischen Pflanze, dem Dracunculus vulgaris, identificirt hat. Abgesehen von principiellen Bedenken scheint mir die Verbreitung des Motivs, namentlich über orientalischen Kunstboden, gegen jene Zuweisung zu sprechen. Aehn- liche Motive, augenscheinlich als Palmen gedacht, finden sich schon in der egyptischen Kunst der Pharaonenzeit dargestellt. Ich gebe als Bei- spiel Fig. 124 nach Lepsius III. 69, vgl. ebenda III. 95. An Fig. 123 giebt sich das Motiv als gleichsam zwickelfüllender Abschluss der Ranke. Man sieht, dass in der Friesform eine Combination von Figuren und Ranken- windungen verhältnissmässig leicht gefunden war. Das Gleiche gilt [Abbildung Fig. 124. Stilisirte Baumkronen. Altegyptisch.] von Pilasterfüllungen, wofür eines der glänzendsten Beispiele in der Villa Hadriana (Canina VI. 172) gefunden wurde. Schwieriger gestaltete sich die Lösung, sobald es sich um die Einstreuung von Figuren in eine grössere mit Rankenwerk überzogene Fläche handelte. Ein vol- lendetes Beispiel hiefür liefert der Hildesheimer Silberkrater 51) Als Figuren sind Putten gewählt, offenbar ob ihrer schwebenden Leich- tigkeit und Possirlichkeit, wodurch sie sich besser als Erwachsene zu den heiteren spielenden Zwecken der Dekoration eigneten. Dazu das kleine Seegethier, die Krebse, Seepferdchen, Fische, auf welche ein Theil der Putten mit Poseidons Dreizack Jagd macht, während andere sich behaglich in den Rankeneinrollungen wiegen. Die Entstehung des Hildesheimer Silberkraters wird von Einigen in römische Zeit verlegt. Selbst wenn dem so wäre, wird man nicht zweifeln können, dass der seiner Dekoration zu Grunde liegende Gedanke — die freie Ranken- 50) Arch. Zeit. 1884, Sp. 70. 51) Holzer, der Hildesheimer antike Silberfund, Taf. III. 1.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/264>, abgerufen am 13.05.2024.