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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
ist in Epiros am allerwenigsten unwahrscheinlich. Uebrigens spielt
ja auch in den Silberinkrustationen in Holz, die z. B. in Bosnien bis
auf den heutigen Tag erzeugt werden, die ausgemachte griechische
Palmette und die strenge Rankenführung die Hauptrolle.

Was könnte sich daraus für unser altattisches Muster Fig. 83 er-
geben? Da haben wir ein nächstverwandtes Muster, ausgeführt zwar
nicht in einer "Metalltechnik", aber doch in einer "textilen Technik".
Während Holwerda's Metalldraht- und Blech-Löthung völlig in der Luft
hängt, haben wir hier einen monumentalen Beweis dafür, dass die be-
treffende Technik das Schlingmuster mit "gegenständigen" Blüthen
wenigstens in neueren Zeiten gebraucht hat. Wäre es etwas Ungeheuer-
liches, den alten Griechen die Schnürchenstickerei zu vindiciren? Wie
sind denn die laufenden Hunde zu erklären, die an den Säumen der
gemalten Himatien und Chitons hinlaufen? Gewiss sind die Streumuster
und Thierfiguren etc. auf diesen Gewändern gemäss den antik-egyp-
tischen und taurischen Funden überwiegend als gewirkt anzunehmen;
warum soll aber der laufende Hund am Saum nicht in Schnürchen-
stickerei ausgeführt gewesen sein, genau so wie noch heute die Spiral-
säume albanesischer Westen? Es wäre wenigstens ein halbwegs palpables
Zwischenglied vorhanden, das sich zwischen das fertige Ornament und
die supponirte Technik einschieben liesse.

Und doch würde ich auch einen solchen Schluss noch für viel zu ge-
wagt halten, ja ich halte ihn geradezu für falsch und verfehlt. Auch dem
in Schnürchenstickerei ausgeführten Muster liegt eine künstlerische Con-
ception des ausführenden Menschen zu Grunde. Von selbst hat sich
die Linie nicht zu Schlingen zusammengeschoben. Gerade so wie wir
heute für jeden kunstgewerblichen Entwurf, in jedem Material, selbst
für die plastische Ausführung, eine Zeichnung schaffen, uns in linearen
Umrissen das Bild des fertig zu stellenden Gegenstandes vor Augen
führen, ebenso und nicht anders verfuhr der archaische Künstler.

Die Grundlage seiner schöpferischen Thätigkeit muss ebenfalls
eine zeichnerische gewesen sein: von diesem Gesichtspunkte betrachtet,
war es ihm aber gewiss natürlicher das Geschlinge aus den ihm bereits
durch die nationale Tradition oder durch erworbene fremde Gegenstände
bekannt und vertraut gewordenen Ranken mit dem Pinsel auf Thon
zu malen oder mit dem Stift zu graviren, als aus Drath zusammenzu-
löthen oder aus Schnürchen auf einen Gewandstoff hinzulegen. Wenn
wir dann schon durchaus von einer Technik reden sollen, so wäre es
diejenige der Malerei, der Zeichnung mit dem Pinsel, der Ritzung mit

B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
ist in Epiros am allerwenigsten unwahrscheinlich. Uebrigens spielt
ja auch in den Silberinkrustationen in Holz, die z. B. in Bosnien bis
auf den heutigen Tag erzeugt werden, die ausgemachte griechische
Palmette und die strenge Rankenführung die Hauptrolle.

Was könnte sich daraus für unser altattisches Muster Fig. 83 er-
geben? Da haben wir ein nächstverwandtes Muster, ausgeführt zwar
nicht in einer „Metalltechnik“, aber doch in einer „textilen Technik“.
Während Holwerda’s Metalldraht- und Blech-Löthung völlig in der Luft
hängt, haben wir hier einen monumentalen Beweis dafür, dass die be-
treffende Technik das Schlingmuster mit „gegenständigen“ Blüthen
wenigstens in neueren Zeiten gebraucht hat. Wäre es etwas Ungeheuer-
liches, den alten Griechen die Schnürchenstickerei zu vindiciren? Wie
sind denn die laufenden Hunde zu erklären, die an den Säumen der
gemalten Himatien und Chitons hinlaufen? Gewiss sind die Streumuster
und Thierfiguren etc. auf diesen Gewändern gemäss den antik-egyp-
tischen und taurischen Funden überwiegend als gewirkt anzunehmen;
warum soll aber der laufende Hund am Saum nicht in Schnürchen-
stickerei ausgeführt gewesen sein, genau so wie noch heute die Spiral-
säume albanesischer Westen? Es wäre wenigstens ein halbwegs palpables
Zwischenglied vorhanden, das sich zwischen das fertige Ornament und
die supponirte Technik einschieben liesse.

Und doch würde ich auch einen solchen Schluss noch für viel zu ge-
wagt halten, ja ich halte ihn geradezu für falsch und verfehlt. Auch dem
in Schnürchenstickerei ausgeführten Muster liegt eine künstlerische Con-
ception des ausführenden Menschen zu Grunde. Von selbst hat sich
die Linie nicht zu Schlingen zusammengeschoben. Gerade so wie wir
heute für jeden kunstgewerblichen Entwurf, in jedem Material, selbst
für die plastische Ausführung, eine Zeichnung schaffen, uns in linearen
Umrissen das Bild des fertig zu stellenden Gegenstandes vor Augen
führen, ebenso und nicht anders verfuhr der archaische Künstler.

Die Grundlage seiner schöpferischen Thätigkeit muss ebenfalls
eine zeichnerische gewesen sein: von diesem Gesichtspunkte betrachtet,
war es ihm aber gewiss natürlicher das Geschlinge aus den ihm bereits
durch die nationale Tradition oder durch erworbene fremde Gegenstände
bekannt und vertraut gewordenen Ranken mit dem Pinsel auf Thon
zu malen oder mit dem Stift zu graviren, als aus Drath zusammenzu-
löthen oder aus Schnürchen auf einen Gewandstoff hinzulegen. Wenn
wir dann schon durchaus von einer Technik reden sollen, so wäre es
diejenige der Malerei, der Zeichnung mit dem Pinsel, der Ritzung mit

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[186/0212] B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst. ist in Epiros am allerwenigsten unwahrscheinlich. Uebrigens spielt ja auch in den Silberinkrustationen in Holz, die z. B. in Bosnien bis auf den heutigen Tag erzeugt werden, die ausgemachte griechische Palmette und die strenge Rankenführung die Hauptrolle. Was könnte sich daraus für unser altattisches Muster Fig. 83 er- geben? Da haben wir ein nächstverwandtes Muster, ausgeführt zwar nicht in einer „Metalltechnik“, aber doch in einer „textilen Technik“. Während Holwerda’s Metalldraht- und Blech-Löthung völlig in der Luft hängt, haben wir hier einen monumentalen Beweis dafür, dass die be- treffende Technik das Schlingmuster mit „gegenständigen“ Blüthen wenigstens in neueren Zeiten gebraucht hat. Wäre es etwas Ungeheuer- liches, den alten Griechen die Schnürchenstickerei zu vindiciren? Wie sind denn die laufenden Hunde zu erklären, die an den Säumen der gemalten Himatien und Chitons hinlaufen? Gewiss sind die Streumuster und Thierfiguren etc. auf diesen Gewändern gemäss den antik-egyp- tischen und taurischen Funden überwiegend als gewirkt anzunehmen; warum soll aber der laufende Hund am Saum nicht in Schnürchen- stickerei ausgeführt gewesen sein, genau so wie noch heute die Spiral- säume albanesischer Westen? Es wäre wenigstens ein halbwegs palpables Zwischenglied vorhanden, das sich zwischen das fertige Ornament und die supponirte Technik einschieben liesse. Und doch würde ich auch einen solchen Schluss noch für viel zu ge- wagt halten, ja ich halte ihn geradezu für falsch und verfehlt. Auch dem in Schnürchenstickerei ausgeführten Muster liegt eine künstlerische Con- ception des ausführenden Menschen zu Grunde. Von selbst hat sich die Linie nicht zu Schlingen zusammengeschoben. Gerade so wie wir heute für jeden kunstgewerblichen Entwurf, in jedem Material, selbst für die plastische Ausführung, eine Zeichnung schaffen, uns in linearen Umrissen das Bild des fertig zu stellenden Gegenstandes vor Augen führen, ebenso und nicht anders verfuhr der archaische Künstler. Die Grundlage seiner schöpferischen Thätigkeit muss ebenfalls eine zeichnerische gewesen sein: von diesem Gesichtspunkte betrachtet, war es ihm aber gewiss natürlicher das Geschlinge aus den ihm bereits durch die nationale Tradition oder durch erworbene fremde Gegenstände bekannt und vertraut gewordenen Ranken mit dem Pinsel auf Thon zu malen oder mit dem Stift zu graviren, als aus Drath zusammenzu- löthen oder aus Schnürchen auf einen Gewandstoff hinzulegen. Wenn wir dann schon durchaus von einer Technik reden sollen, so wäre es diejenige der Malerei, der Zeichnung mit dem Pinsel, der Ritzung mit

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/212>, abgerufen am 25.11.2024.