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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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6. Das Rankengeschlinge.
Wir haben das Aufkommen dieses Motivs aus einem Bestreben nach
reicherer Ausgestaltung des bordürenartigen Rankenstreifens zu erklären
gesucht, und zwar auf Grund der geraden Entwicklung aus dem ge-
gebenen Vorbilde der intermittirenden Wellenranke, wofür Fig. 84 wohl
jede weitere Beweisführung überflüssig macht. Es ist dies aber nicht
der erste Erklärungsversuch, den man für dieses Motiv aufgestellt hat.
Dasselbe hat nämlich schon um seines augenfälligen Zusammenhanges
mit dem gegenständigen Palmetten-Lotus-Band die Aufmerksamkeit einiger
Forscher erregt. Am bündigsten und entschiedensten hat sich Holwerda
im Arch. Jahrb. 1890, S. 239 f. darüber ausgesprochen.

Es ist fast selbstverständlich, dass Holwerda's Erklärung an irgend
eine Technik anknüpfen musste. Diesmal fiel die Wahl auf eine Metall-

[Abbildung] Fig. 86.

Gemalte Rankenverzierung. Griechisch.

technik. "Die durchsetzenden Schlingen waren die genaue Nachahmung
von Metalldrahtgeflechten, deren Muster sich noch mit voller Sicherheit
erkennen lassen. Es war dieses ganze, sehr künstlich" (in der That!)
"erfundene Geflecht aus einem einzigen Metalldraht hergestellt, dessen
beide Enden, wenn das Ornament um einen Gegenstand herum gelegt
wurde, an einem Punkte zusammentrafen, welches aber durch seine
Windungen alle Elemente des Ornaments aufzunehmen geeignet war."
Die Blüthenmotive denkt er sich dann aus Metallblech ausgeschnitten
und an den Draht angelöthet. Ich will nun gar nicht in Abrede stellen,
dass einmal ein ostmittelländischer Goldschmied in jenen Jahrhunderten
die Lotusblüthen und Palmetten etwa aus Metall getrieben und die
Schlingranken in Filigran darauf gelöthet haben mochte. Aber der
sonderbare technische Vorgang, wie ihn Holwerda schildert, müsste erst
monumental erwiesen werden, und vollends die Entstehung eines be-
stimmten Ornamentmotivs aus solcher Wurzel wird selbst derjenige

6. Das Rankengeschlinge.
Wir haben das Aufkommen dieses Motivs aus einem Bestreben nach
reicherer Ausgestaltung des bordürenartigen Rankenstreifens zu erklären
gesucht, und zwar auf Grund der geraden Entwicklung aus dem ge-
gebenen Vorbilde der intermittirenden Wellenranke, wofür Fig. 84 wohl
jede weitere Beweisführung überflüssig macht. Es ist dies aber nicht
der erste Erklärungsversuch, den man für dieses Motiv aufgestellt hat.
Dasselbe hat nämlich schon um seines augenfälligen Zusammenhanges
mit dem gegenständigen Palmetten-Lotus-Band die Aufmerksamkeit einiger
Forscher erregt. Am bündigsten und entschiedensten hat sich Holwerda
im Arch. Jahrb. 1890, S. 239 f. darüber ausgesprochen.

Es ist fast selbstverständlich, dass Holwerda’s Erklärung an irgend
eine Technik anknüpfen musste. Diesmal fiel die Wahl auf eine Metall-

[Abbildung] Fig. 86.

Gemalte Rankenverzierung. Griechisch.

technik. „Die durchsetzenden Schlingen waren die genaue Nachahmung
von Metalldrahtgeflechten, deren Muster sich noch mit voller Sicherheit
erkennen lassen. Es war dieses ganze, sehr künstlich“ (in der That!)
„erfundene Geflecht aus einem einzigen Metalldraht hergestellt, dessen
beide Enden, wenn das Ornament um einen Gegenstand herum gelegt
wurde, an einem Punkte zusammentrafen, welches aber durch seine
Windungen alle Elemente des Ornaments aufzunehmen geeignet war.“
Die Blüthenmotive denkt er sich dann aus Metallblech ausgeschnitten
und an den Draht angelöthet. Ich will nun gar nicht in Abrede stellen,
dass einmal ein ostmittelländischer Goldschmied in jenen Jahrhunderten
die Lotusblüthen und Palmetten etwa aus Metall getrieben und die
Schlingranken in Filigran darauf gelöthet haben mochte. Aber der
sonderbare technische Vorgang, wie ihn Holwerda schildert, müsste erst
monumental erwiesen werden, und vollends die Entstehung eines be-
stimmten Ornamentmotivs aus solcher Wurzel wird selbst derjenige

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[183/0209] 6. Das Rankengeschlinge. Wir haben das Aufkommen dieses Motivs aus einem Bestreben nach reicherer Ausgestaltung des bordürenartigen Rankenstreifens zu erklären gesucht, und zwar auf Grund der geraden Entwicklung aus dem ge- gebenen Vorbilde der intermittirenden Wellenranke, wofür Fig. 84 wohl jede weitere Beweisführung überflüssig macht. Es ist dies aber nicht der erste Erklärungsversuch, den man für dieses Motiv aufgestellt hat. Dasselbe hat nämlich schon um seines augenfälligen Zusammenhanges mit dem gegenständigen Palmetten-Lotus-Band die Aufmerksamkeit einiger Forscher erregt. Am bündigsten und entschiedensten hat sich Holwerda im Arch. Jahrb. 1890, S. 239 f. darüber ausgesprochen. Es ist fast selbstverständlich, dass Holwerda’s Erklärung an irgend eine Technik anknüpfen musste. Diesmal fiel die Wahl auf eine Metall- [Abbildung Fig. 86. Gemalte Rankenverzierung. Griechisch.] technik. „Die durchsetzenden Schlingen waren die genaue Nachahmung von Metalldrahtgeflechten, deren Muster sich noch mit voller Sicherheit erkennen lassen. Es war dieses ganze, sehr künstlich“ (in der That!) „erfundene Geflecht aus einem einzigen Metalldraht hergestellt, dessen beide Enden, wenn das Ornament um einen Gegenstand herum gelegt wurde, an einem Punkte zusammentrafen, welches aber durch seine Windungen alle Elemente des Ornaments aufzunehmen geeignet war.“ Die Blüthenmotive denkt er sich dann aus Metallblech ausgeschnitten und an den Draht angelöthet. Ich will nun gar nicht in Abrede stellen, dass einmal ein ostmittelländischer Goldschmied in jenen Jahrhunderten die Lotusblüthen und Palmetten etwa aus Metall getrieben und die Schlingranken in Filigran darauf gelöthet haben mochte. Aber der sonderbare technische Vorgang, wie ihn Holwerda schildert, müsste erst monumental erwiesen werden, und vollends die Entstehung eines be- stimmten Ornamentmotivs aus solcher Wurzel wird selbst derjenige

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/209>, abgerufen am 26.06.2024.