"genug Elend in der Welt, ohne daß wir nö- "thig hätten, das Traurige mit in unsre Ver- "gnügungen zu mengen, und fremdes Elend zu "dem unsrigen zu machen."
Und wie hätte dieser glückliche Ausgang kön- nen veranstaltet werden? Nichts ist leichter zu erfinden, da es schon von andern Schriftstel- lern dieser Art genug gebraucht worden. Lo- velace hätte sich nur bekehren, und die Clarissa heirathen dürfen. - - Man dürfte deswegen, und zwar zum Vergnügen der zärtlichgesinn- ten Leserinnen, keine von ihren Versuchungen oder von ihren Leiden weglassen, die letzte Ent- ehrung ausgenommen. Denn damit hätte man sie, theils den Lovelace nicht gar zu ab- scheulich vorzustellen, theils weil die Delicateße dadurch beleidigt würde, gerne verschonet.
Allein dies Werk mag für ein Schicksal er- leben, was es will, so war der Verfasser doch entschlossen, einen andern Weg zu gehen. Er hat immer dafür gehalten, daß plötzliche Be- kehrungen, vornemlich solche, wo man es der Aufrichtigkeit des Lesers überläßt, ob er sie glauben und rechtfertigen will, weder Kunst, noch Natur, noch Warscheinlichkeit hät- ten, und überdem ein böses Veispiel gäben. Er konnte sich mit dem Gedanken nicht vertragen, daß ein Lovelace eine Reihe von Jahren in seiner Bosheit triumphiren, und denken sollte, er hätte weiter nichts zu thun, als, gleichsam aus Gnaden und Gutheit, seine Hand hinzuhal-
ten,
„genug Elend in der Welt, ohne daß wir noͤ- „thig haͤtten, das Traurige mit in unſre Ver- „gnuͤgungen zu mengen, und fremdes Elend zu „dem unſrigen zu machen.”
Und wie haͤtte dieſer gluͤckliche Ausgang koͤn- nen veranſtaltet werden? Nichts iſt leichter zu erfinden, da es ſchon von andern Schriftſtel- lern dieſer Art genug gebraucht worden. Lo- velace haͤtte ſich nur bekehren, und die Clariſſa heirathen duͤrfen. ‒ ‒ Man duͤrfte deswegen, und zwar zum Vergnuͤgen der zaͤrtlichgeſinn- ten Leſerinnen, keine von ihren Verſuchungen oder von ihren Leiden weglaſſen, die letzte Ent- ehrung ausgenommen. Denn damit haͤtte man ſie, theils den Lovelace nicht gar zu ab- ſcheulich vorzuſtellen, theils weil die Delicateße dadurch beleidigt wuͤrde, gerne verſchonet.
Allein dies Werk mag fuͤr ein Schickſal er- leben, was es will, ſo war der Verfaſſer doch entſchloſſen, einen andern Weg zu gehen. Er hat immer dafuͤr gehalten, daß ploͤtzliche Be- kehrungen, vornemlich ſolche, wo man es der Aufrichtigkeit des Leſers uͤberlaͤßt, ob er ſie glauben und rechtfertigen will, weder Kunſt, noch Natur, noch Warſcheinlichkeit haͤt- ten, und uͤberdem ein boͤſes Veiſpiel gaͤben. Er konnte ſich mit dem Gedanken nicht vertragen, daß ein Lovelace eine Reihe von Jahren in ſeiner Bosheit triumphiren, und denken ſollte, er haͤtte weiter nichts zu thun, als, gleichſam aus Gnaden und Gutheit, ſeine Hand hinzuhal-
ten,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0343"n="335"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>„genug Elend in der Welt, ohne daß wir noͤ-<lb/>„thig haͤtten, das Traurige mit in unſre Ver-<lb/>„gnuͤgungen zu mengen, und fremdes Elend zu<lb/>„dem unſrigen zu machen.”</p><lb/><p>Und wie haͤtte dieſer gluͤckliche Ausgang koͤn-<lb/>
nen veranſtaltet werden? Nichts iſt leichter zu<lb/>
erfinden, da es ſchon von andern Schriftſtel-<lb/>
lern dieſer Art genug gebraucht worden. <hirendition="#fr">Lo-<lb/>
velace</hi> haͤtte ſich nur bekehren, und die <hirendition="#fr">Clariſſa</hi><lb/>
heirathen duͤrfen. ‒‒ Man duͤrfte deswegen,<lb/>
und zwar zum Vergnuͤgen der zaͤrtlichgeſinn-<lb/>
ten Leſerinnen, keine von ihren Verſuchungen<lb/>
oder von ihren Leiden weglaſſen, die letzte Ent-<lb/>
ehrung ausgenommen. Denn damit haͤtte<lb/>
man ſie, theils den <hirendition="#fr">Lovelace</hi> nicht gar zu ab-<lb/>ſcheulich vorzuſtellen, theils weil die Delicateße<lb/>
dadurch beleidigt wuͤrde, gerne verſchonet.</p><lb/><p>Allein dies Werk mag fuͤr ein Schickſal er-<lb/>
leben, was es will, ſo war der Verfaſſer doch<lb/>
entſchloſſen, <hirendition="#fr">einen andern Weg</hi> zu gehen. Er<lb/>
hat immer dafuͤr gehalten, daß <hirendition="#fr">ploͤtzliche Be-<lb/>
kehrungen,</hi> vornemlich ſolche, wo man es der<lb/>
Aufrichtigkeit des Leſers uͤberlaͤßt, ob er ſie<lb/>
glauben und rechtfertigen will, weder <hirendition="#fr">Kunſt,</hi><lb/>
noch <hirendition="#fr">Natur,</hi> noch <hirendition="#fr">Warſcheinlichkeit</hi> haͤt-<lb/>
ten, und uͤberdem ein <hirendition="#fr">boͤſes</hi> Veiſpiel gaͤben. Er<lb/>
konnte ſich mit dem Gedanken nicht vertragen,<lb/>
daß ein <hirendition="#fr">Lovelace</hi> eine Reihe von Jahren in<lb/>ſeiner Bosheit triumphiren, und denken ſollte,<lb/>
er haͤtte weiter nichts zu thun, als, gleichſam<lb/>
aus Gnaden und Gutheit, ſeine Hand hinzuhal-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ten,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[335/0343]
„genug Elend in der Welt, ohne daß wir noͤ-
„thig haͤtten, das Traurige mit in unſre Ver-
„gnuͤgungen zu mengen, und fremdes Elend zu
„dem unſrigen zu machen.”
Und wie haͤtte dieſer gluͤckliche Ausgang koͤn-
nen veranſtaltet werden? Nichts iſt leichter zu
erfinden, da es ſchon von andern Schriftſtel-
lern dieſer Art genug gebraucht worden. Lo-
velace haͤtte ſich nur bekehren, und die Clariſſa
heirathen duͤrfen. ‒ ‒ Man duͤrfte deswegen,
und zwar zum Vergnuͤgen der zaͤrtlichgeſinn-
ten Leſerinnen, keine von ihren Verſuchungen
oder von ihren Leiden weglaſſen, die letzte Ent-
ehrung ausgenommen. Denn damit haͤtte
man ſie, theils den Lovelace nicht gar zu ab-
ſcheulich vorzuſtellen, theils weil die Delicateße
dadurch beleidigt wuͤrde, gerne verſchonet.
Allein dies Werk mag fuͤr ein Schickſal er-
leben, was es will, ſo war der Verfaſſer doch
entſchloſſen, einen andern Weg zu gehen. Er
hat immer dafuͤr gehalten, daß ploͤtzliche Be-
kehrungen, vornemlich ſolche, wo man es der
Aufrichtigkeit des Leſers uͤberlaͤßt, ob er ſie
glauben und rechtfertigen will, weder Kunſt,
noch Natur, noch Warſcheinlichkeit haͤt-
ten, und uͤberdem ein boͤſes Veiſpiel gaͤben. Er
konnte ſich mit dem Gedanken nicht vertragen,
daß ein Lovelace eine Reihe von Jahren in
ſeiner Bosheit triumphiren, und denken ſollte,
er haͤtte weiter nichts zu thun, als, gleichſam
aus Gnaden und Gutheit, ſeine Hand hinzuhal-
ten,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/343>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.