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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.

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und Comoedien, welche sie ohne Unterscheid las,
so wie sie ihr in die Hände fielen; sie mochten
zur Beförderung oder zum Verderb der guten
Sitten geschrieben seyn. Sie brachte daher
ihrer Tochter eben den Geschmack bei, und pfleg-
te in den Stunden, da sie keinen geschäftigern
und lebhaftern Zeitvertreib hatte, oder die Zeit
tödten konnte, wie es einige nennen, die Jung-
fer Horton sich vorlesen zu lassen. Glücklich
genug, in ihrer Einbildung, daß sie zu dersel-
ben Zeit, da sie ihre Ohren ergötzte, und zuwei-
len, nachdem das Stück war, ihr eignes, und
zugleich ihres Kindes, Herz verderbte, das jun-
ge Mädgen lesen lehrete, und ihren Verstand
ausbesserte! Es war auch bei dem Thee des
Nachmittags das ewige Rühmen: daß Jung-
fer Horton im Lesen, was den Ton und
den Nachdruck beträfe, den man den
Worten geben müßte, es allen jungen
Fräulein von ihrem Alter zuvor thäte.

Zu einer andern Zeit, bekam die mit ihrer Toch-
ter sehr vergnügte Mutter das Compliment:
Himmel! Madame, mit welcher erstau-
nenden Anmuth lieset die Jungfer Hor-
ton! Sie weiß recht in den Sinn des Ver-
fassers hinein zu gehen! Das konnte sie
nicht leicht von jemanden lernen, als von
Jhnen!
Dies sollte freilich ein Lob für sie seyn,
da es doch, nach der Beschaffenheit des Buchs,
in dem Munde eines Feindes eine starke Saty-
re gewesen seyn würde! - - Die Mutter, wel-

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und Comoedien, welche ſie ohne Unterſcheid las,
ſo wie ſie ihr in die Haͤnde fielen; ſie mochten
zur Befoͤrderung oder zum Verderb der guten
Sitten geſchrieben ſeyn. Sie brachte daher
ihrer Tochter eben den Geſchmack bei, und pfleg-
te in den Stunden, da ſie keinen geſchaͤftigern
und lebhaftern Zeitvertreib hatte, oder die Zeit
toͤdten konnte, wie es einige nennen, die Jung-
fer Horton ſich vorleſen zu laſſen. Gluͤcklich
genug, in ihrer Einbildung, daß ſie zu derſel-
ben Zeit, da ſie ihre Ohren ergoͤtzte, und zuwei-
len, nachdem das Stuͤck war, ihr eignes, und
zugleich ihres Kindes, Herz verderbte, das jun-
ge Maͤdgen leſen lehrete, und ihren Verſtand
ausbeſſerte! Es war auch bei dem Thee des
Nachmittags das ewige Ruͤhmen: daß Jung-
fer Horton im Leſen, was den Ton und
den Nachdruck betraͤfe, den man den
Worten geben muͤßte, es allen jungen
Fraͤulein von ihrem Alter zuvor thaͤte.

Zu einer andern Zeit, bekam die mit ihrer Toch-
ter ſehr vergnuͤgte Mutter das Compliment:
Himmel! Madame, mit welcher erſtau-
nenden Anmuth lieſet die Jungfer Hor-
ton! Sie weiß recht in den Sinn des Ver-
faſſers hinein zu gehen! Das konnte ſie
nicht leicht von jemanden lernen, als von
Jhnen!
Dies ſollte freilich ein Lob fuͤr ſie ſeyn,
da es doch, nach der Beſchaffenheit des Buchs,
in dem Munde eines Feindes eine ſtarke Saty-
re geweſen ſeyn wuͤrde! ‒ ‒ Die Mutter, wel-

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[325/0333] und Comoedien, welche ſie ohne Unterſcheid las, ſo wie ſie ihr in die Haͤnde fielen; ſie mochten zur Befoͤrderung oder zum Verderb der guten Sitten geſchrieben ſeyn. Sie brachte daher ihrer Tochter eben den Geſchmack bei, und pfleg- te in den Stunden, da ſie keinen geſchaͤftigern und lebhaftern Zeitvertreib hatte, oder die Zeit toͤdten konnte, wie es einige nennen, die Jung- fer Horton ſich vorleſen zu laſſen. Gluͤcklich genug, in ihrer Einbildung, daß ſie zu derſel- ben Zeit, da ſie ihre Ohren ergoͤtzte, und zuwei- len, nachdem das Stuͤck war, ihr eignes, und zugleich ihres Kindes, Herz verderbte, das jun- ge Maͤdgen leſen lehrete, und ihren Verſtand ausbeſſerte! Es war auch bei dem Thee des Nachmittags das ewige Ruͤhmen: daß Jung- fer Horton im Leſen, was den Ton und den Nachdruck betraͤfe, den man den Worten geben muͤßte, es allen jungen Fraͤulein von ihrem Alter zuvor thaͤte. Zu einer andern Zeit, bekam die mit ihrer Toch- ter ſehr vergnuͤgte Mutter das Compliment: Himmel! Madame, mit welcher erſtau- nenden Anmuth lieſet die Jungfer Hor- ton! Sie weiß recht in den Sinn des Ver- faſſers hinein zu gehen! Das konnte ſie nicht leicht von jemanden lernen, als von Jhnen! Dies ſollte freilich ein Lob fuͤr ſie ſeyn, da es doch, nach der Beſchaffenheit des Buchs, in dem Munde eines Feindes eine ſtarke Saty- re geweſen ſeyn wuͤrde! ‒ ‒ Die Mutter, wel- che X 3

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/333>, abgerufen am 25.11.2024.