daß sie nicht wieder zu ihnen zurückkehren woll- te, ob diese gleich ihre erste Hitze bereueten, und sich wieder mit ihr auszusöhnen begehrten. Da sie zugleich die Favorit-Tochter ihrer Mutter Sinclair geworden, so ließ sie sich von diesem verruchten Weibe überreden, ihr Kind abzu- treiben, ob sie schon in ihrer Schwangerschaft bereits so weit gekommen war, daß es sie bei- nahe das Leben gekostet hätte.
So war ihr erstes Verbrechen Unkeuschheit, ihr zweites eine Mordthat, und nun verlohr sie alles Gefühl des Gewissens. Es konnte nicht fehlen, weil sie jung war, ihren Betrüger lieb- te, und von einer so abgefeimten Lehrmeisterin angeführet wurde, daß sie sich nicht bald über al- le Bedenklichkeiten wegsetzte, das Vergnügen eines Menschen mit allen ihren Kräften zu be- fördern, der sie ins Verderben gestürzet hatte; und mit einer teufelischen Gesinnung andere zu bestricken, daß sie ihrem Exempel folgen mußten. Man kann kaum glauben, wie viel Unglück von dieser Art sie angerichtet, da man sich auf sie, als ein Frauenzimmer, das Muth genug besaß, verlassen konnte; und sie, bei ih- rer grossen List, einen glänzenden Schein anzu- nehmen wußte.
Sally Martin machte sich, wenn es mög- lich ist, dies zu gedenken, noch einer nieder- trächtigern Bosheit schuldig.
Als ihr Vater starb, that ihre Mutter, in Hofnung, wie sie es nennete, sie von ihrem
gottlo-
Zusätze zur Cl. X
daß ſie nicht wieder zu ihnen zuruͤckkehren woll- te, ob dieſe gleich ihre erſte Hitze bereueten, und ſich wieder mit ihr auszuſoͤhnen begehrten. Da ſie zugleich die Favorit-Tochter ihrer Mutter Sinclair geworden, ſo ließ ſie ſich von dieſem verruchten Weibe uͤberreden, ihr Kind abzu- treiben, ob ſie ſchon in ihrer Schwangerſchaft bereits ſo weit gekommen war, daß es ſie bei- nahe das Leben gekoſtet haͤtte.
So war ihr erſtes Verbrechen Unkeuſchheit, ihr zweites eine Mordthat, und nun verlohr ſie alles Gefuͤhl des Gewiſſens. Es konnte nicht fehlen, weil ſie jung war, ihren Betruͤger lieb- te, und von einer ſo abgefeimten Lehrmeiſterin angefuͤhret wurde, daß ſie ſich nicht bald uͤber al- le Bedenklichkeiten wegſetzte, das Vergnuͤgen eines Menſchen mit allen ihren Kraͤften zu be- foͤrdern, der ſie ins Verderben geſtuͤrzet hatte; und mit einer teufeliſchen Geſinnung andere zu beſtricken, daß ſie ihrem Exempel folgen mußten. Man kann kaum glauben, wie viel Ungluͤck von dieſer Art ſie angerichtet, da man ſich auf ſie, als ein Frauenzimmer, das Muth genug beſaß, verlaſſen konnte; und ſie, bei ih- rer groſſen Liſt, einen glaͤnzenden Schein anzu- nehmen wußte.
Sally Martin machte ſich, wenn es moͤg- lich iſt, dies zu gedenken, noch einer nieder- traͤchtigern Bosheit ſchuldig.
Als ihr Vater ſtarb, that ihre Mutter, in Hofnung, wie ſie es nennete, ſie von ihrem
gottlo-
Zuſaͤtze zur Cl. X
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daß ſie nicht wieder zu ihnen zuruͤckkehren woll-
te, ob dieſe gleich ihre erſte Hitze bereueten, und
ſich wieder mit ihr auszuſoͤhnen begehrten. Da
ſie zugleich die Favorit-Tochter ihrer Mutter
Sinclair geworden, ſo ließ ſie ſich von dieſem
verruchten Weibe uͤberreden, ihr Kind abzu-
treiben, ob ſie ſchon in ihrer Schwangerſchaft
bereits ſo weit gekommen war, daß es ſie bei-
nahe das Leben gekoſtet haͤtte.
So war ihr erſtes Verbrechen Unkeuſchheit,
ihr zweites eine Mordthat, und nun verlohr ſie
alles Gefuͤhl des Gewiſſens. Es konnte nicht
fehlen, weil ſie jung war, ihren Betruͤger lieb-
te, und von einer ſo abgefeimten Lehrmeiſterin
angefuͤhret wurde, daß ſie ſich nicht bald uͤber al-
le Bedenklichkeiten wegſetzte, das Vergnuͤgen
eines Menſchen mit allen ihren Kraͤften zu be-
foͤrdern, der ſie ins Verderben geſtuͤrzet hatte;
und mit einer teufeliſchen Geſinnung andere
zu beſtricken, daß ſie ihrem Exempel folgen
mußten. Man kann kaum glauben, wie viel
Ungluͤck von dieſer Art ſie angerichtet, da man
ſich auf ſie, als ein Frauenzimmer, das Muth
genug beſaß, verlaſſen konnte; und ſie, bei ih-
rer groſſen Liſt, einen glaͤnzenden Schein anzu-
nehmen wußte.
Sally Martin machte ſich, wenn es moͤg-
lich iſt, dies zu gedenken, noch einer nieder-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/329>, abgerufen am 16.02.2025.
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