keit der Mädgen vom Mittelstande so sehr rei- zen! waren das geringste, was sie erwartete. Aber bei allen diesen bedachten weder ihre Ael- tern, noch sie selbst, daß sie mit den Begierden kämpfen müßte, denen man zu sehr nachgege- ben hatte; daß sie eine Erziehung genossen, und ein feuriges Temperament besässe, welches sie zu einer Maitresse geschickter, als zu einer Ehefrau machte: da sie nicht durch gesunde Grundsätze und durch ein gutes Beispiel ver- wahret war.
Jhr zwanzigstes Jahr war zu ihrer grossen Verwunderung und Verdruß unvermerkt zu- rück gelegt, ohne daß ihr ein Antrag geschehen wäre, den ihr Stolz ihr anzunehmen verstat- tet hätte. Ein Mädgen zwischen funfzehen und achtzehen, deren Schönheit dann anfängt zu blühen, wird, als ein neues Ding, die Augen der Mannspersonen auf sich ziehen: Aber wenn sein Gesicht auf den öffentlichen Plätzen zu oft erscheinet, so wird sie finden, daß neue Ge- sichter mehr Aufmerksamkeit erwecken, als hübsche Gesichter, die man beständig siehet. Die Politick sollte also, wenn es auch keine andre Betrachtung wäre, schon eine junge Schönheit bewegen, wenn sie ihre Eitelkeit zäh- men könnte, daß sie sich nur eben zeigte, und wenn man kaum von ihr zu reden anfienge, gleich als aus Bescheidenheit weggienge. (und es würde doch auch in der That eine Beschei- scheidenheit seyn) Sie sollte lieber erwarten, daß
sie
keit der Maͤdgen vom Mittelſtande ſo ſehr rei- zen! waren das geringſte, was ſie erwartete. Aber bei allen dieſen bedachten weder ihre Ael- tern, noch ſie ſelbſt, daß ſie mit den Begierden kaͤmpfen muͤßte, denen man zu ſehr nachgege- ben hatte; daß ſie eine Erziehung genoſſen, und ein feuriges Temperament beſaͤſſe, welches ſie zu einer Maitreſſe geſchickter, als zu einer Ehefrau machte: da ſie nicht durch geſunde Grundſaͤtze und durch ein gutes Beiſpiel ver- wahret war.
Jhr zwanzigſtes Jahr war zu ihrer groſſen Verwunderung und Verdruß unvermerkt zu- ruͤck gelegt, ohne daß ihr ein Antrag geſchehen waͤre, den ihr Stolz ihr anzunehmen verſtat- tet haͤtte. Ein Maͤdgen zwiſchen funfzehen und achtzehen, deren Schoͤnheit dann anfaͤngt zu bluͤhen, wird, als ein neues Ding, die Augen der Mannsperſonen auf ſich ziehen: Aber wenn ſein Geſicht auf den oͤffentlichen Plaͤtzen zu oft erſcheinet, ſo wird ſie finden, daß neue Ge- ſichter mehr Aufmerkſamkeit erwecken, als huͤbſche Geſichter, die man beſtaͤndig ſiehet. Die Politick ſollte alſo, wenn es auch keine andre Betrachtung waͤre, ſchon eine junge Schoͤnheit bewegen, wenn ſie ihre Eitelkeit zaͤh- men koͤnnte, daß ſie ſich nur eben zeigte, und wenn man kaum von ihr zu reden anfienge, gleich als aus Beſcheidenheit weggienge. (und es wuͤrde doch auch in der That eine Beſchei- ſcheidenheit ſeyn) Sie ſollte lieber erwarten, daß
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keit der Maͤdgen vom Mittelſtande ſo ſehr rei-
zen! waren das geringſte, was ſie erwartete.
Aber bei allen dieſen bedachten weder ihre Ael-
tern, noch ſie ſelbſt, daß ſie mit den Begierden
kaͤmpfen muͤßte, denen man zu ſehr nachgege-
ben hatte; daß ſie eine Erziehung genoſſen,
und ein feuriges Temperament beſaͤſſe, welches
ſie zu einer Maitreſſe geſchickter, als zu einer
Ehefrau machte: da ſie nicht durch geſunde
Grundſaͤtze und durch ein gutes Beiſpiel ver-
wahret war.
Jhr zwanzigſtes Jahr war zu ihrer groſſen
Verwunderung und Verdruß unvermerkt zu-
ruͤck gelegt, ohne daß ihr ein Antrag geſchehen
waͤre, den ihr Stolz ihr anzunehmen verſtat-
tet haͤtte. Ein Maͤdgen zwiſchen funfzehen und
achtzehen, deren Schoͤnheit dann anfaͤngt zu
bluͤhen, wird, als ein neues Ding, die Augen
der Mannsperſonen auf ſich ziehen: Aber wenn
ſein Geſicht auf den oͤffentlichen Plaͤtzen zu
oft erſcheinet, ſo wird ſie finden, daß neue Ge-
ſichter mehr Aufmerkſamkeit erwecken, als
huͤbſche Geſichter, die man beſtaͤndig ſiehet.
Die Politick ſollte alſo, wenn es auch keine
andre Betrachtung waͤre, ſchon eine junge
Schoͤnheit bewegen, wenn ſie ihre Eitelkeit zaͤh-
men koͤnnte, daß ſie ſich nur eben zeigte, und
wenn man kaum von ihr zu reden anfienge,
gleich als aus Beſcheidenheit weggienge. (und
es wuͤrde doch auch in der That eine Beſchei-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/323>, abgerufen am 16.02.2025.
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