und Vergebung verworfen! - - Um welche sie doch noch nachher nebst dem letzten Seegen fle- hete, damit so wol jene bei ihren künftigen Ge- wissensbissen eine Erleichterung, und ihr eignes frommes Herz einen Trost fände! - - Dennoch, ob sie gleich mit einer wilden Grausamkeit ab- gewiesen wurde, weil man glaubte, sie sei ih- rem Ende nicht so nahe, als man vorgestellet hatte, verschied sie, indem sie allen ihren Be- leidigern verziehe, und sie segnete!
Dann bedachten sie, daß ihre Briefe, die nach ihrem Tode bekannt wurden, statt der Ver- weise, mit Tröstungen angefüllet waren: Daß sie sich in ihrem letzten Willen sie alle, auf ihre Art, verbindlich gemacht hatte, ohngeachtet sie es weder verdienten, noch erwarteten, als wenn sie die Ungerechtigkeit wieder gut machen woll- te, die sie, nach den Begriffen einer eigennützi- gen Partheilichkeit einiger ihrer Verwandten, ihnen bei ihrem Großvater durch sein Testament zugefüget hätte.
Diese Nachrichten und Betrachtungen gaben beständig Anlaß, sich einander alles zur Last zu legen; erhöheten ihre Betrübniß über den Ver- lust eines Kindes, welches die Ehre ihrer Fami- lie gewesen, und machten nicht selten, daß einer den andern zu der Zeit, da sie sich sonst zu ver- sammlen pflegten, vermied, um den gegenseiti- gen Verweisen zu entgehen, die sie einander in den Augen lasen, wenn auch der Mund nicht redete. - - Die Stacheln in ihren Gewissen wur-
den
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und Vergebung verworfen! ‒ ‒ Um welche ſie doch noch nachher nebſt dem letzten Seegen fle- hete, damit ſo wol jene bei ihren kuͤnftigen Ge- wiſſensbiſſen eine Erleichterung, und ihr eignes frommes Herz einen Troſt faͤnde! ‒ ‒ Dennoch, ob ſie gleich mit einer wilden Grauſamkeit ab- gewieſen wurde, weil man glaubte, ſie ſei ih- rem Ende nicht ſo nahe, als man vorgeſtellet hatte, verſchied ſie, indem ſie allen ihren Be- leidigern verziehe, und ſie ſegnete!
Dann bedachten ſie, daß ihre Briefe, die nach ihrem Tode bekannt wurden, ſtatt der Ver- weiſe, mit Troͤſtungen angefuͤllet waren: Daß ſie ſich in ihrem letzten Willen ſie alle, auf ihre Art, verbindlich gemacht hatte, ohngeachtet ſie es weder verdienten, noch erwarteten, als wenn ſie die Ungerechtigkeit wieder gut machen woll- te, die ſie, nach den Begriffen einer eigennuͤtzi- gen Partheilichkeit einiger ihrer Verwandten, ihnen bei ihrem Großvater durch ſein Teſtament zugefuͤget haͤtte.
Dieſe Nachrichten und Betrachtungen gaben beſtaͤndig Anlaß, ſich einander alles zur Laſt zu legen; erhoͤheten ihre Betruͤbniß uͤber den Ver- luſt eines Kindes, welches die Ehre ihrer Fami- lie geweſen, und machten nicht ſelten, daß einer den andern zu der Zeit, da ſie ſich ſonſt zu ver- ſammlen pflegten, vermied, um den gegenſeiti- gen Verweiſen zu entgehen, die ſie einander in den Augen laſen, wenn auch der Mund nicht redete. ‒ ‒ Die Stacheln in ihren Gewiſſen wur-
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und Vergebung verworfen! ‒ ‒ Um welche ſie
doch noch nachher nebſt dem letzten Seegen fle-
hete, damit ſo wol jene bei ihren kuͤnftigen Ge-
wiſſensbiſſen eine Erleichterung, und ihr eignes
frommes Herz einen Troſt faͤnde! ‒ ‒ Dennoch,
ob ſie gleich mit einer wilden Grauſamkeit ab-
gewieſen wurde, weil man glaubte, ſie ſei ih-
rem Ende nicht ſo nahe, als man vorgeſtellet
hatte, verſchied ſie, indem ſie allen ihren Be-
leidigern verziehe, und ſie ſegnete!
Dann bedachten ſie, daß ihre Briefe, die
nach ihrem Tode bekannt wurden, ſtatt der Ver-
weiſe, mit Troͤſtungen angefuͤllet waren: Daß
ſie ſich in ihrem letzten Willen ſie alle, auf ihre
Art, verbindlich gemacht hatte, ohngeachtet ſie
es weder verdienten, noch erwarteten, als wenn
ſie die Ungerechtigkeit wieder gut machen woll-
te, die ſie, nach den Begriffen einer eigennuͤtzi-
gen Partheilichkeit einiger ihrer Verwandten,
ihnen bei ihrem Großvater durch ſein Teſtament
zugefuͤget haͤtte.
Dieſe Nachrichten und Betrachtungen gaben
beſtaͤndig Anlaß, ſich einander alles zur Laſt zu
legen; erhoͤheten ihre Betruͤbniß uͤber den Ver-
luſt eines Kindes, welches die Ehre ihrer Fami-
lie geweſen, und machten nicht ſelten, daß einer
den andern zu der Zeit, da ſie ſich ſonſt zu ver-
ſammlen pflegten, vermied, um den gegenſeiti-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/315>, abgerufen am 16.02.2025.
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