Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.

Bild:
<< vorherige Seite



"setzte er nach seiner gemeinen Art zu reden hin-
"zu, sie sei so klug, daß sie es dem Ei an-
"sehen könnte, was für ein Vogel darin
"steckte.
"

Man sahe aus ihrer ganzen Aufführung und
Betragen deutlich, daß sie nicht eine so gute
Meinung von sich selber hatte, wie sie es ver-
diente. Dann wenn man sie nöthigte, ihre
Meinung worüber zu eröfnen, so schien sie,
obgleich alles, was sie zu sagen nöthig fand,
klar und verständlich war, zu eilen, daß sie aus-
gesprochen haben möchte. Dies that sie, wie
ich weiß, aus einer zwiefachen Ursache: Da-
mit sie nicht, wenn sie zu lange redete, den
Vortheil verlieren möchte, andrer Leute Mei-
nungen zu hören, und (das waren ihre Wor-
te) damit sie nicht durch das Lob andrer verfüh-
ret würde, geschwätzig zu werden, und sich
also um die gute Meinung brächte, die man
allemal bei seinen Freunden erhält, wenn man
die Zeit weiß, da man genug gesagt hat. Kurz
es war bei ihr eine Regel: "man müßte lie-
"ber dahin sehen, daß die, so uns zuhöreten,
"wünschten, wir hätten mehr gesagt, als ih-
"nen Anlaß geben, daß sie durch den Mangel
"der Aufmerksamkeit ihr Misvergnügen darüber
"verriethen, daß man so viel gesagt hätte."

Sie sind begierig u. s. w.

Th. VII. S. 816. L. 20. nach den Worten:
und Geschlechte hervorthat.
Was



„ſetzte er nach ſeiner gemeinen Art zu reden hin-
„zu, ſie ſei ſo klug, daß ſie es dem Ei an-
„ſehen koͤnnte, was fuͤr ein Vogel darin
„ſteckte.

Man ſahe aus ihrer ganzen Auffuͤhrung und
Betragen deutlich, daß ſie nicht eine ſo gute
Meinung von ſich ſelber hatte, wie ſie es ver-
diente. Dann wenn man ſie noͤthigte, ihre
Meinung woruͤber zu eroͤfnen, ſo ſchien ſie,
obgleich alles, was ſie zu ſagen noͤthig fand,
klar und verſtaͤndlich war, zu eilen, daß ſie aus-
geſprochen haben moͤchte. Dies that ſie, wie
ich weiß, aus einer zwiefachen Urſache: Da-
mit ſie nicht, wenn ſie zu lange redete, den
Vortheil verlieren moͤchte, andrer Leute Mei-
nungen zu hoͤren, und (das waren ihre Wor-
te) damit ſie nicht durch das Lob andrer verfuͤh-
ret wuͤrde, geſchwaͤtzig zu werden, und ſich
alſo um die gute Meinung braͤchte, die man
allemal bei ſeinen Freunden erhaͤlt, wenn man
die Zeit weiß, da man genug geſagt hat. Kurz
es war bei ihr eine Regel: „man muͤßte lie-
„ber dahin ſehen, daß die, ſo uns zuhoͤreten,
„wuͤnſchten, wir haͤtten mehr geſagt, als ih-
„nen Anlaß geben, daß ſie durch den Mangel
„der Aufmerkſamkeit ihr Misvergnuͤgen daruͤber
„verriethen, daß man ſo viel geſagt haͤtte.”

Sie ſind begierig u. ſ. w.

Th. VII. S. 816. L. 20. nach den Worten:
und Geſchlechte hervorthat.
Was
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0307" n="299"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201E;&#x017F;etzte er nach &#x017F;einer gemeinen Art zu reden hin-<lb/>
&#x201E;zu, &#x017F;ie &#x017F;ei &#x017F;o klug, <hi rendition="#fr">daß &#x017F;ie es dem Ei an-<lb/>
&#x201E;&#x017F;ehen ko&#x0364;nnte, was fu&#x0364;r ein Vogel darin<lb/>
&#x201E;&#x017F;teckte.</hi>&#x201D;</p><lb/>
          <p>Man &#x017F;ahe aus ihrer ganzen Auffu&#x0364;hrung und<lb/>
Betragen deutlich, daß &#x017F;ie nicht eine &#x017F;o gute<lb/>
Meinung von &#x017F;ich &#x017F;elber hatte, wie &#x017F;ie es ver-<lb/>
diente. Dann wenn man &#x017F;ie no&#x0364;thigte, ihre<lb/>
Meinung woru&#x0364;ber zu ero&#x0364;fnen, &#x017F;o &#x017F;chien &#x017F;ie,<lb/>
obgleich alles, was &#x017F;ie zu &#x017F;agen no&#x0364;thig fand,<lb/>
klar und ver&#x017F;ta&#x0364;ndlich war, zu eilen, daß &#x017F;ie aus-<lb/>
ge&#x017F;prochen haben mo&#x0364;chte. Dies that &#x017F;ie, wie<lb/>
ich weiß, aus einer zwiefachen Ur&#x017F;ache: Da-<lb/>
mit &#x017F;ie nicht, wenn &#x017F;ie zu lange redete, den<lb/>
Vortheil verlieren mo&#x0364;chte, andrer Leute Mei-<lb/>
nungen zu ho&#x0364;ren, und (das waren ihre Wor-<lb/>
te) damit &#x017F;ie nicht durch das Lob andrer verfu&#x0364;h-<lb/>
ret wu&#x0364;rde, <hi rendition="#fr">ge&#x017F;chwa&#x0364;tzig</hi> zu werden, und &#x017F;ich<lb/>
al&#x017F;o um die gute Meinung bra&#x0364;chte, die man<lb/>
allemal bei &#x017F;einen Freunden erha&#x0364;lt, wenn man<lb/>
die Zeit weiß, da man genug ge&#x017F;agt hat. Kurz<lb/>
es war bei ihr eine Regel: &#x201E;man mu&#x0364;ßte lie-<lb/>
&#x201E;ber dahin &#x017F;ehen, daß die, &#x017F;o uns zuho&#x0364;reten,<lb/>
&#x201E;wu&#x0364;n&#x017F;chten, wir ha&#x0364;tten mehr ge&#x017F;agt, als ih-<lb/>
&#x201E;nen Anlaß geben, daß &#x017F;ie durch den Mangel<lb/>
&#x201E;der Aufmerk&#x017F;amkeit ihr Misvergnu&#x0364;gen daru&#x0364;ber<lb/>
&#x201E;verriethen, daß man &#x017F;o viel ge&#x017F;agt ha&#x0364;tte.&#x201D;</p><lb/>
          <p>Sie &#x017F;ind begierig u. &#x017F;. w.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>Th. <hi rendition="#aq">VII.</hi> S. 816. L. 20. nach den Worten:<lb/><hi rendition="#fr">und Ge&#x017F;chlechte hervorthat.</hi></head><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Was</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[299/0307] „ſetzte er nach ſeiner gemeinen Art zu reden hin- „zu, ſie ſei ſo klug, daß ſie es dem Ei an- „ſehen koͤnnte, was fuͤr ein Vogel darin „ſteckte.” Man ſahe aus ihrer ganzen Auffuͤhrung und Betragen deutlich, daß ſie nicht eine ſo gute Meinung von ſich ſelber hatte, wie ſie es ver- diente. Dann wenn man ſie noͤthigte, ihre Meinung woruͤber zu eroͤfnen, ſo ſchien ſie, obgleich alles, was ſie zu ſagen noͤthig fand, klar und verſtaͤndlich war, zu eilen, daß ſie aus- geſprochen haben moͤchte. Dies that ſie, wie ich weiß, aus einer zwiefachen Urſache: Da- mit ſie nicht, wenn ſie zu lange redete, den Vortheil verlieren moͤchte, andrer Leute Mei- nungen zu hoͤren, und (das waren ihre Wor- te) damit ſie nicht durch das Lob andrer verfuͤh- ret wuͤrde, geſchwaͤtzig zu werden, und ſich alſo um die gute Meinung braͤchte, die man allemal bei ſeinen Freunden erhaͤlt, wenn man die Zeit weiß, da man genug geſagt hat. Kurz es war bei ihr eine Regel: „man muͤßte lie- „ber dahin ſehen, daß die, ſo uns zuhoͤreten, „wuͤnſchten, wir haͤtten mehr geſagt, als ih- „nen Anlaß geben, daß ſie durch den Mangel „der Aufmerkſamkeit ihr Misvergnuͤgen daruͤber „verriethen, daß man ſo viel geſagt haͤtte.” Sie ſind begierig u. ſ. w. Th. VII. S. 816. L. 20. nach den Worten: und Geſchlechte hervorthat. Was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/307
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/307>, abgerufen am 18.12.2024.