Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.

Bild:
<< vorherige Seite



ihrer Art erst genannt werden) merket sehr
wol an, (und wer kannte die menschliche Na-
tur
besser als er?)

Nec vera virtus, cum semel excidit,
Curat reponi deterioribus.

Und Ovid merket nicht minder weislich an:

Et mala sunt vicina bonis. Errore sub illo
Pro vitio virtus crimina saepe tulit.

Welcher Mensch, der die Weisheit aus
ihrer ersten Quelle, nemlich aus den Wer-
ken der Weisen des Alterthums
schöpfen
kann, (so wie sie durch die gelehrten Noten
der Neuern verbessert sind) würde nicht allen
andern das stille ruhige Leben vorziehen,
welches die nachdenkenden Menschen an den
Oertern führen, wo die Gelehrsamkeit ih-
ren Sitz
hat, wenn sie nicht (ihrer geweihe-
ten Bestimmung
gemäß) zum Dienst und
Unterricht der Welt abgerufen würden.

Noch ein andrer von meinen Leibpoeten,
(und der darum nicht weniger mein Leib-
poet
ist, daß er ein Christ gewesen ist) sagt
uns, es sei die Gewonheit einiger Leute, wenn
sie einen Fehler begangen, ihn andern Leu-
ten auf den Hals zu schieben

- - Hominum quoque mos est,
Quae nos cumque premunt, alieno impo-
nere tergo.
Mant.

Doch ich, ob ich gleich (in diesem Fall) verlei-
tet
bin, (wiewol bei allen dem aus guter Mei-

nung,



ihrer Art erſt genannt werden) merket ſehr
wol an, (und wer kannte die menſchliche Na-
tur
beſſer als er?)

Nec vera virtus, cum ſemel excidit,
Curat reponi deterioribus.

Und Ovid merket nicht minder weislich an:

Et mala ſunt vicina bonis. Errore ſub illo
Pro vitio virtus crimina ſaepe tulit.

Welcher Menſch, der die Weisheit aus
ihrer erſten Quelle, nemlich aus den Wer-
ken der Weiſen des Alterthums
ſchoͤpfen
kann, (ſo wie ſie durch die gelehrten Noten
der Neuern verbeſſert ſind) wuͤrde nicht allen
andern das ſtille ruhige Leben vorziehen,
welches die nachdenkenden Menſchen an den
Oertern fuͤhren, wo die Gelehrſamkeit ih-
ren Sitz
hat, wenn ſie nicht (ihrer geweihe-
ten Beſtimmung
gemaͤß) zum Dienſt und
Unterricht der Welt abgerufen wuͤrden.

Noch ein andrer von meinen Leibpoeten,
(und der darum nicht weniger mein Leib-
poet
iſt, daß er ein Chriſt geweſen iſt) ſagt
uns, es ſei die Gewonheit einiger Leute, wenn
ſie einen Fehler begangen, ihn andern Leu-
ten auf den Hals zu ſchieben

‒ ‒ Hominum quoque mos eſt,
Quae nos cumque premunt, alieno impo-
nere tergo.
Mant.

Doch ich, ob ich gleich (in dieſem Fall) verlei-
tet
bin, (wiewol bei allen dem aus guter Mei-

nung,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0258" n="250"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/><hi rendition="#fr">ihrer Art er&#x017F;t</hi> genannt werden) merket &#x017F;ehr<lb/>
wol an, (und wer kannte die <hi rendition="#fr">men&#x017F;chliche Na-<lb/>
tur</hi> be&#x017F;&#x017F;er als er?)</p><lb/>
          <cit>
            <quote> <hi rendition="#aq">Nec vera virtus, cum &#x017F;emel excidit,<lb/>
Curat reponi deterioribus.</hi> </quote>
          </cit><lb/>
          <p>Und <hi rendition="#fr">Ovid</hi> merket nicht minder weislich an:</p><lb/>
          <cit>
            <quote> <hi rendition="#aq">Et mala &#x017F;unt vicina bonis. Errore &#x017F;ub illo<lb/>
Pro vitio virtus crimina &#x017F;aepe tulit.</hi> </quote>
          </cit><lb/>
          <p>Welcher Men&#x017F;ch, der die <hi rendition="#fr">Weisheit</hi> aus<lb/>
ihrer <hi rendition="#fr">er&#x017F;ten Quelle,</hi> nemlich aus den <hi rendition="#fr">Wer-<lb/>
ken der Wei&#x017F;en des Alterthums</hi> &#x017F;cho&#x0364;pfen<lb/>
kann, (&#x017F;o wie &#x017F;ie durch die <hi rendition="#fr">gelehrten Noten</hi><lb/>
der <hi rendition="#fr">Neuern</hi> verbe&#x017F;&#x017F;ert &#x017F;ind) wu&#x0364;rde nicht allen<lb/>
andern das <hi rendition="#fr">&#x017F;tille ruhige Leben</hi> vorziehen,<lb/>
welches die <hi rendition="#fr">nachdenkenden Men&#x017F;chen</hi> an den<lb/>
Oertern fu&#x0364;hren, <hi rendition="#fr">wo die Gelehr&#x017F;amkeit ih-<lb/>
ren Sitz</hi> hat, wenn &#x017F;ie nicht (ihrer <hi rendition="#fr">geweihe-<lb/>
ten Be&#x017F;timmung</hi> gema&#x0364;ß) zum <hi rendition="#fr">Dien&#x017F;t</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">Unterricht</hi> der Welt abgerufen wu&#x0364;rden.</p><lb/>
          <p>Noch ein <hi rendition="#fr">andrer</hi> von meinen <hi rendition="#fr">Leibpoeten,</hi><lb/>
(und der darum <hi rendition="#fr">nicht weniger mein Leib-<lb/>
poet</hi> i&#x017F;t, daß er ein Chri&#x017F;t gewe&#x017F;en i&#x017F;t) &#x017F;agt<lb/>
uns, es &#x017F;ei die Gewonheit einiger Leute, wenn<lb/>
&#x017F;ie einen <hi rendition="#fr">Fehler</hi> begangen, ihn <hi rendition="#fr">andern</hi> Leu-<lb/>
ten auf den Hals zu &#x017F;chieben</p><lb/>
          <cit>
            <quote>
              <lg type="poem">
                <l> <hi rendition="#aq">&#x2012; &#x2012; Hominum quoque mos e&#x017F;t,</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#aq">Quae nos cumque premunt, alieno impo-</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#et">nere tergo.</hi> </hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#i">Mant.</hi> </hi> </hi> </l>
              </lg>
            </quote>
          </cit><lb/>
          <p>Doch ich, ob ich gleich (in die&#x017F;em Fall) <hi rendition="#fr">verlei-<lb/>
tet</hi> bin, (wiewol bei allen dem aus guter Mei-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nung,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0258] ihrer Art erſt genannt werden) merket ſehr wol an, (und wer kannte die menſchliche Na- tur beſſer als er?) Nec vera virtus, cum ſemel excidit, Curat reponi deterioribus. Und Ovid merket nicht minder weislich an: Et mala ſunt vicina bonis. Errore ſub illo Pro vitio virtus crimina ſaepe tulit. Welcher Menſch, der die Weisheit aus ihrer erſten Quelle, nemlich aus den Wer- ken der Weiſen des Alterthums ſchoͤpfen kann, (ſo wie ſie durch die gelehrten Noten der Neuern verbeſſert ſind) wuͤrde nicht allen andern das ſtille ruhige Leben vorziehen, welches die nachdenkenden Menſchen an den Oertern fuͤhren, wo die Gelehrſamkeit ih- ren Sitz hat, wenn ſie nicht (ihrer geweihe- ten Beſtimmung gemaͤß) zum Dienſt und Unterricht der Welt abgerufen wuͤrden. Noch ein andrer von meinen Leibpoeten, (und der darum nicht weniger mein Leib- poet iſt, daß er ein Chriſt geweſen iſt) ſagt uns, es ſei die Gewonheit einiger Leute, wenn ſie einen Fehler begangen, ihn andern Leu- ten auf den Hals zu ſchieben ‒ ‒ Hominum quoque mos eſt, Quae nos cumque premunt, alieno impo- nere tergo. Mant. Doch ich, ob ich gleich (in dieſem Fall) verlei- tet bin, (wiewol bei allen dem aus guter Mei- nung,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/258
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/258>, abgerufen am 22.11.2024.