heit der vornehmste Zeitvertreib gewesen. Hät- te ich das unschuldige Vergnügen nicht ge- habt, so würde mir die Entfernung, die sie mir mannigmal aufgelegt hätte, unerträglich gefal- len seyn.
Sally merkte, wo ich hinaus wollte, und sagte: sie hätte die Ehre gehabt, zwei bis drei von meinen und des Herrn Belfords Briefen zu sehen, und sie wären so munter geschrieben, als sie sie je gelesen hätte.
Mein Freund Belford, sagte ich, hat eine glückliche Gabe im Briefschreiben, und zwar über alle Materien.
Jch erwartete, meine Liebste würde auf die Materien vorwitzig gewesen seyn. Aber sie saß und laurete, wie ich sahe, und sprach nicht ein Wort. Jch berührte den Artikel also selbst.
Wir schrieben sehr weitläuftig über verschie- dene Dinge an einander. Zuweilen über ge- lehrte Sachen; (da horchte sie recht) zuweilen über die öffentlichen Lustbarkeiten; zuweilen theilten wir aus dem Briefwechsel, den wir mit guten Freunden ausser Landes unterhielten, ein- ander Nachrichten mit; zuweilen über die Schwachheiten und Tugenden unsrer vertrau- testen Freunde; zuweilen über unsre gegenwär- tigen und zukünftigen Hofnungen; zuweilen suchten wir witzig zu schreiben, und einander auf- zuziehen. - - Es würde freilich nach Eitelkeit schmecken, wenn ich glauben wollte, eine Fräu- lein von ihrer feinen Einsicht, könnte an meinen
Briefen
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heit der vornehmſte Zeitvertreib geweſen. Haͤt- te ich das unſchuldige Vergnuͤgen nicht ge- habt, ſo wuͤrde mir die Entfernung, die ſie mir mannigmal aufgelegt haͤtte, unertraͤglich gefal- len ſeyn.
Sally merkte, wo ich hinaus wollte, und ſagte: ſie haͤtte die Ehre gehabt, zwei bis drei von meinen und des Herrn Belfords Briefen zu ſehen, und ſie waͤren ſo munter geſchrieben, als ſie ſie je geleſen haͤtte.
Mein Freund Belford, ſagte ich, hat eine gluͤckliche Gabe im Briefſchreiben, und zwar uͤber alle Materien.
Jch erwartete, meine Liebſte wuͤrde auf die Materien vorwitzig geweſen ſeyn. Aber ſie ſaß und laurete, wie ich ſahe, und ſprach nicht ein Wort. Jch beruͤhrte den Artikel alſo ſelbſt.
Wir ſchrieben ſehr weitlaͤuftig uͤber verſchie- dene Dinge an einander. Zuweilen uͤber ge- lehrte Sachen; (da horchte ſie recht) zuweilen uͤber die oͤffentlichen Luſtbarkeiten; zuweilen theilten wir aus dem Briefwechſel, den wir mit guten Freunden auſſer Landes unterhielten, ein- ander Nachrichten mit; zuweilen uͤber die Schwachheiten und Tugenden unſrer vertrau- teſten Freunde; zuweilen uͤber unſre gegenwaͤr- tigen und zukuͤnftigen Hofnungen; zuweilen ſuchten wir witzig zu ſchreiben, und einander auf- zuziehen. ‒ ‒ Es wuͤrde freilich nach Eitelkeit ſchmecken, wenn ich glauben wollte, eine Fraͤu- lein von ihrer feinen Einſicht, koͤnnte an meinen
Briefen
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heit der vornehmſte Zeitvertreib geweſen. Haͤt-
te ich das unſchuldige Vergnuͤgen nicht ge-
habt, ſo wuͤrde mir die Entfernung, die ſie mir
mannigmal aufgelegt haͤtte, unertraͤglich gefal-
len ſeyn.
Sally merkte, wo ich hinaus wollte, und
ſagte: ſie haͤtte die Ehre gehabt, zwei bis drei
von meinen und des Herrn Belfords Briefen
zu ſehen, und ſie waͤren ſo munter geſchrieben,
als ſie ſie je geleſen haͤtte.
Mein Freund Belford, ſagte ich, hat eine
gluͤckliche Gabe im Briefſchreiben, und zwar
uͤber alle Materien.
Jch erwartete, meine Liebſte wuͤrde auf die
Materien vorwitzig geweſen ſeyn. Aber ſie ſaß
und laurete, wie ich ſahe, und ſprach nicht ein
Wort. Jch beruͤhrte den Artikel alſo ſelbſt.
Wir ſchrieben ſehr weitlaͤuftig uͤber verſchie-
dene Dinge an einander. Zuweilen uͤber ge-
lehrte Sachen; (da horchte ſie recht) zuweilen
uͤber die oͤffentlichen Luſtbarkeiten; zuweilen
theilten wir aus dem Briefwechſel, den wir mit
guten Freunden auſſer Landes unterhielten, ein-
ander Nachrichten mit; zuweilen uͤber die
Schwachheiten und Tugenden unſrer vertrau-
teſten Freunde; zuweilen uͤber unſre gegenwaͤr-
tigen und zukuͤnftigen Hofnungen; zuweilen
ſuchten wir witzig zu ſchreiben, und einander auf-
zuziehen. ‒ ‒ Es wuͤrde freilich nach Eitelkeit
ſchmecken, wenn ich glauben wollte, eine Fraͤu-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/193>, abgerufen am 16.02.2025.
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