[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.Welch ein Stolz war das schon, zu glauben, daß ich keinen Stolz hätte! - - Und der ver- steckte sich meinem Herzen, daß sich selbst nicht prüfte, unter dem Schleier der Demuth, da ich mir doch aus der liebreichen Art, mit wel- cher ich Wolthaten erwies, (die ich mir selbst so wol zuschrieb, als sie andre Leute an mir rühmten) ein doppeltes Verdienst machte. Und dennoch hatte ich nicht das geringste Verdienst, weil mich das Vergnügen, so mir meine klei- nen Gutheiten gewährten, reichlich und über- flüßig bezahlte, und ich überdem durch meine Neigung dazu angetrieben wurde, die mir ver- liehen war - - wozu? - - mir nichts darauf einzubilden. Kurz, daß ich eine solche Begierde hatte, als Jch bin für diese meine Eitelkeit genug ge- kommen L 2
Welch ein Stolz war das ſchon, zu glauben, daß ich keinen Stolz haͤtte! ‒ ‒ Und der ver- ſteckte ſich meinem Herzen, daß ſich ſelbſt nicht pruͤfte, unter dem Schleier der Demuth, da ich mir doch aus der liebreichen Art, mit wel- cher ich Wolthaten erwies, (die ich mir ſelbſt ſo wol zuſchrieb, als ſie andre Leute an mir ruͤhmten) ein doppeltes Verdienſt machte. Und dennoch hatte ich nicht das geringſte Verdienſt, weil mich das Vergnuͤgen, ſo mir meine klei- nen Gutheiten gewaͤhrten, reichlich und uͤber- fluͤßig bezahlte, und ich uͤberdem durch meine Neigung dazu angetrieben wurde, die mir ver- liehen war ‒ ‒ wozu? ‒ ‒ mir nichts darauf einzubilden. Kurz, daß ich eine ſolche Begierde hatte, als Jch bin fuͤr dieſe meine Eitelkeit genug ge- kommen L 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0171" n="163"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Welch ein Stolz war das ſchon, zu glauben,<lb/> daß ich keinen Stolz haͤtte! ‒ ‒ Und der ver-<lb/> ſteckte ſich meinem Herzen, daß ſich ſelbſt nicht<lb/> pruͤfte, unter dem Schleier der <hi rendition="#fr">Demuth,</hi> da<lb/> ich mir doch aus der liebreichen Art, mit wel-<lb/> cher ich Wolthaten erwies, (die ich mir ſelbſt<lb/> ſo wol zuſchrieb, als ſie andre Leute an mir<lb/> ruͤhmten) ein doppeltes Verdienſt machte. Und<lb/> dennoch hatte ich nicht das geringſte Verdienſt,<lb/> weil mich das Vergnuͤgen, ſo mir meine klei-<lb/> nen Gutheiten gewaͤhrten, reichlich und uͤber-<lb/> fluͤßig bezahlte, und ich uͤberdem durch meine<lb/> Neigung dazu angetrieben wurde, die mir ver-<lb/> liehen war ‒ ‒ wozu? ‒ ‒ mir nichts darauf<lb/> einzubilden.</p><lb/> <p>Kurz, daß ich eine ſolche Begierde hatte, als<lb/> ein <hi rendition="#fr">Muſter</hi> angeſehen zu werden! Eine Eitel-<lb/> keit, die mir meine partheiiſchen Bewunderer<lb/> in den Kopf ſetzten! Und daß ich in meiner eig-<lb/> nen Tugend ſo ſicher war!</p><lb/> <p>Jch bin fuͤr dieſe meine Eitelkeit genug ge-<lb/> ſtrafet, genug gedemuͤthiget! ‒ ‒ Jch hoffe, ge-<lb/> nug, ‒ ‒ wenn es demjenigen Weſen ſo gefaͤllt, das<lb/> es mir aufgeleget hat, und welches lauter Guͤ-<lb/> te iſt. Denn jetzt verachte ich mich in wahrem<lb/> Ernſt mehr wegen meiner uͤbermuͤthigen Sicher-<lb/> heit, als ich mich vorher jemals wegen meiner gu-<lb/> ten Neigungen heimlich gelobet habe. <hi rendition="#fr">Heimlich,</hi><lb/> muß ich doch ſagen. Denn ich hatte mir in War-<lb/> heit nicht Zeit genug gelaſſen, daruͤber nachzuden-<lb/> ken, bis ich ſo gedemuͤthiget war, wie unvoll-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">L 2</fw><fw place="bottom" type="catch">kommen</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [163/0171]
Welch ein Stolz war das ſchon, zu glauben,
daß ich keinen Stolz haͤtte! ‒ ‒ Und der ver-
ſteckte ſich meinem Herzen, daß ſich ſelbſt nicht
pruͤfte, unter dem Schleier der Demuth, da
ich mir doch aus der liebreichen Art, mit wel-
cher ich Wolthaten erwies, (die ich mir ſelbſt
ſo wol zuſchrieb, als ſie andre Leute an mir
ruͤhmten) ein doppeltes Verdienſt machte. Und
dennoch hatte ich nicht das geringſte Verdienſt,
weil mich das Vergnuͤgen, ſo mir meine klei-
nen Gutheiten gewaͤhrten, reichlich und uͤber-
fluͤßig bezahlte, und ich uͤberdem durch meine
Neigung dazu angetrieben wurde, die mir ver-
liehen war ‒ ‒ wozu? ‒ ‒ mir nichts darauf
einzubilden.
Kurz, daß ich eine ſolche Begierde hatte, als
ein Muſter angeſehen zu werden! Eine Eitel-
keit, die mir meine partheiiſchen Bewunderer
in den Kopf ſetzten! Und daß ich in meiner eig-
nen Tugend ſo ſicher war!
Jch bin fuͤr dieſe meine Eitelkeit genug ge-
ſtrafet, genug gedemuͤthiget! ‒ ‒ Jch hoffe, ge-
nug, ‒ ‒ wenn es demjenigen Weſen ſo gefaͤllt, das
es mir aufgeleget hat, und welches lauter Guͤ-
te iſt. Denn jetzt verachte ich mich in wahrem
Ernſt mehr wegen meiner uͤbermuͤthigen Sicher-
heit, als ich mich vorher jemals wegen meiner gu-
ten Neigungen heimlich gelobet habe. Heimlich,
muß ich doch ſagen. Denn ich hatte mir in War-
heit nicht Zeit genug gelaſſen, daruͤber nachzuden-
ken, bis ich ſo gedemuͤthiget war, wie unvoll-
kommen
L 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |